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Qualitätskriterien für “gutes Engagement”

Der Arbeitskreis “Bürgergesellschaft und Demokratie”  der Friedrich-Ebert-Stiftung hat im Juni 2017 unter dem Titel “Gutes Engagement” ein Impulspapier vorgelegt, das die Qualitätsmerkmale “guten Bürgerengagements” für eine  demokratische Zivilgesellschaft definiert. Dahinter steht die Erkenntnis, dass nicht “jede freiwillige Tätigkeit (…) die Zivilgesellschaft, den sozialen Zusammenhalt und die Demokratie ” stärkt, sondern es auch unziviles, antidemokratisches Bürgerengagement gibt: “Fremdenfeindliche und rechtspopulistische Mobilisierungen „besorgter Bürger_innen“ zwingen zur demokratisch-normativen Positionsbestimmung. Wir halten es für unabdingbar, zwischen gutem, zivilem, demokratischem Engagement auf der einen Seite und unzivilem, antidemokratischem Engagement auf der anderen, der dunklen Seite der Zivilgesellschaft, zu unterscheiden.” (Impulspapier, S. 4).  Und diese Unterscheidung sollte den Autoren des Papiers zufolge berücksichtigt werden, wenn es darum geht, Engagement zu fördern oder nicht zu fördern.

Der Staat und gemeinnützige Organisationen sollten also steuernd eingreifen und nicht jedes Engagement unterstützen, sondern nur das “gute”, das die Demokratie stärkt. Wobei es hier “nicht um einen Tugendkatalog oder gar um Vorschriften für Engagierte” gehen soll (S. 5),  d.h. die Pluralität des Engagements wird nicht angetastet, sondern es geht eher um das Recht der fördernden Institutionen, festzulegen “Welches Engagement wollen wir?” , “Was ist gutes Engagement?”. Das Impulspapier will die Komponenten des “guten Engagements” definieren, wobei es meines Erachtens besser gewesen wäre, das Papier “demokratisches Engagement” zu nennen, um den Tugend-Beigeschmack des Titels  zu vermeiden und den eigenen programmatischen Standpunkt deutlich sichtbar zu machen.

Was gehört dem Impulspapier zufolge zu einem “guten Engagement” und was folgt daraus für die Politik? Zusammengefasst ist gutes Engagement

  • zivil: Vielfalt wird akzeptiert, Toleranz geübt und Konflikte werden friedlich ausgetragen. Zivilität sollte eingeübt und gelernt werden. Dazu sind Fortbildungsprogramme für Professionelle notwendig (und für Ehrenamtliche? – dazu sagt das Papier nichts). Die öffentlich finanzierten Engagementberichte sollten zukünftig zwischen zivilem und unzivilem Engagement klar unterscheiden.
  • partizipativ: Die Mitgestaltungschancen von Engagierten sollten sich verbessern, indem die öffentliche Förderung des Engagements und die Förderung gemeinnütziger Organisationen an das Vorhandensein von Mitwirkungsrechten Engagierter gekoppelt werden. Um die Zivilgesellschaft in ihrer demokratischen Substanz zu stärken, sollten das Vereinsrecht, das Gemeinnützigkeits- und Stiftungsrecht verändert werden. Auch die Mitsprache der Klienten sozialer Einrichtungen ist zu sichern. Durch “kommunale Bildungslandschaften” soll die aktive Bürgerschaft gefördert werden, denn Engagement muss man erlernen und einüben. Es ist zumeist nicht naturgegeben vorhanden.
  • inklusiv: Alle sollten sich engagieren können, auch Menschen mit Behinderungen, Erwerbslose, Arme, Benachteiligte, Zugewanderte. Deshalb sollte die Inklusion gestärkt und als Kriterium in Förderprogramme aufgenommen werden. Durch eine “aufsuchende Engagementförderung” unterstützt man engagementferne Gruppen. Die Selbstorganisation von Menschen “am Rand” ist zu stärken. Ebenso ihre materielle Absicherung im Rahmen sozialer Bürgerrechte.
  • Gutes Engagement wird anerkannt, gefördert und lernt: Engagierte brauchen Mitmach- und Fortbildungsmöglichkeiten in allen gesellschaftlichen Bereichen und das Hauptamt muss den Umgang mit Freiwilligen noch besser lernen. Finanzielle Töpfe sollten die Förderung kleiner, sozialräumlicher Projekte unterstützen. Die Vereinbarkeit von Beruf, Familie und Ehrenamt ist stärker in den Blick zu nehmen.
  • Gutes Engagement ist eigensinnig und gelegentlich unbequem: Politische Beteiligung gehört zum Bürgerengagement dazu. Das Gemeinnützigkeitsrecht sollte so reformiert werden, dass der demokratischen Funktion des Bürgerengagements Rechnung getragen wird und politisches Engagement kein K.-o. -Kriterium ist, wenn es um die Verleihung der Gemeinnützigkeit geht.

Da sich die Autoren des Impulspapiers auf das Verhältnis Staat – Bürgerengagement konzentrieren, gerät aus ihrem Blick, dass Bürgerengagement, das auf Beteiligung zielt, auch die lokale Wirtschaft verändern kann. Genossenschaften und Sozialunternehmen können aus Bürgerengagement und Bürgerprojekten hervorgehen. Deshalb sollte man dringend Schnittstellen zwischen Freiwilligenagenturen und der Startup-Förderung aufbauen. Hinzufügen müsste man auch, dass “gutes Engagement” Netzwerke aufbaut, um gemeinschaftlich und kooperativ Ziele umzusetzen, die einer alleine nicht umsetzen kann.

Überhaupt müsste man diesem ersten Impulspapier ein zweites folgen lassen, das die Kriterien des demokratischen Engagements aus zivilgesellschaftlicher Perspektive behandelt und fragt “Was folgt daraus für unser Engagement?”. Aber ein solches Papier müsste aus regionalen Engagement-Netzwerken kommen und kann nicht top-down erstellt werden.

Netzwerke – Stärken und Schwächen

Auf lokaler Ebene bilden sich immer häufiger Netzwerke. Der Grund dafür sind knappe Budgets im öffentlichen und gemeinnützigen Bereich, komplexe Probleme, die De-Institutionalisierung sozialer Hilfen und eine zunehmende Sozialraumorientierung. Organisationen und Bürger schließen sich deshalb in immer mehr Fachbereichen zu Netzwerken zusammen. Auch das Bürgerengagement selbst findet zunehmend in Form von Netzwerken statt, ein gutes Beispiel sind hier die  Flüchtlingsfreundeskreise Stuttgart. Bürgerinnen und Bürger bilden auch über das Internet Aktions- und Hilfsnetzwerke, siehe die “refugees welcome”-Initiativen.

Netzwerke sind durch Freiwilligkeit und Kooperation gekennzeichnet. Die Bildung eines Netzwerks macht dann Sinn, wenn Ziele nicht alleine, sondern nur in Kooperation mit anderen umgesetzt werden können. Gerade im bürgerschaftlichen Bereich sind Netzwerke häufig nur gering formalisiert, d.h. es gibt hier keinen festen institutionellen Rahmen, keine offiziellen prozeduralen Regeln, keine hauptamtliche Steuerung, kein ausgearbeitetes Leitbild. – vielleicht nur einen informellen Code of Conduct. Welches sind die Stärken und Schwächen von Netzwerken?

Die Stärken von Netzwerken

  • sie bieten den Teilnehmern durch das Poolen und Teilen von Ressourcen (wie: Wissen, Kompetenzen, Räume, Kontakte, Gelder, Mitarbeiter usw.) neue Handlungschancen, um komplexe Probleme zu bewältigen
  • sie sparen durch Wissens- und Erfahrungsaustausch Entwicklungs- und Umsetzungskosten ein
  • sie bieten wegen der geringen Formalisierung Flexibilität und kurze Reaktionszeiten
  • sie ermöglichen einen Umgang auf Augenhöhe
  • sie fördern konsensuale Entscheidungen unter den Teilnehmern
  • sie fördern den inhaltlichen  Austausch über  Fach-, Sektoren- und Raumgrenzen hinweg
  • sie schaffen die Basis für gemeinsames Lernen durch horizontalen Wissenstransfer und damit gute Voraussetzungen für Innovation
  • Bürger und Organisationen, aber auch Themen, werden durch Netzwerke sichtbarer
  • Netzwerke können die Reputation ihrer Teilnehmer stärken

Die Auflistung ist sicher nicht vollständig, – je weiter man in die Netzwerkpraxis vordringt, desto mehr Netzwerk-Stärken werden sichtbar. Aber es gibt aufgrund der geringen Formalisierung auch Netzwerk-Schwächen und kritische Fragen nach ihrer Verbindlichkeit, Nachhaltigkeit und demokratischen Legitimation nach außen und innen.

Die Schwächen von Netzwerken

  • Verbindlichkeit – wie ernst kann man Netzwerk-Zusagen nehmen?
  • Nachhaltigkeit – wie lange wird das Netzwerk leben?
  • Demokratie im Innern – wie werden im Netzwerk Entscheidungen gefällt?
  • Repräsentation nach außen – wie demokratisch legitimiert ist die Vertretung nach außen?
  • Legitimität des Netzwerks als Ganzes – wer ermächtigt das Netzwerk, für ein Politikfeld zu sprechen?
  • Haftung – wer haftet für Entscheidungen des Netzwerks?
  • Transparenz – wie werden Mittel verwaltet?
  • Zielverschiebungen – wenn offizielle Leitbilder fehlen, wie kann dann eine Entwicklung in unzivile Richtungen verhindert werden?

Trotz ihrer Schwächen sind Netzwerke lokal auf dem Vormarsch. Viele engagierte Bürgerinnen und Bürger – mich eingeschlossen – schätzen sie wegen ihrer Flexibilität und weil sie das  unkomplizierte, effektive Arbeiten über Organisations- und Fachgrenzen hinweg ermöglichen.

Für öffentliche Förderinstitutionen und private Stiftungen stellt sich die Frage, wie mit Bürgernetzwerken umzugehen ist, die quer zu Bürokratie und Vergaberecht liegen.  Häufig können bürgerschaftliche Engagement-Netzwerke sich nicht um öffentliche Fördermittel bewerben, sondern nur Organisationen, die als gemeinnützig eingetragen sind, zum Teil auch nur Organisationen aus dem wohlfahrtsverbandlichen Bereich. Um dem Bürgerengagement in Netzwerkform Rechnung zu tragen, sollten inhaltliche Förder-Leitlinien ausgearbeitet werden, die Netzwerke in ihren Stärken stabilisieren und ihren Schwächen begegnen. Wie weit sind die öffentliche Hand und Stiftungen hier schon mit der Entwicklung zukunftsweisender Konzepte? Über Literatur und Hinweise freue ich mich.

Palliativnetze auf lokaler Ebene – Strukturen und Trends

In einigen Gemeinden und Landkreisen haben sich Palliativnetze aus Akteuren gebildet, die sich mit der Versorgung und Begleitung schwerstkranker und sterbender Menschen befassen. Die Kooperation zwischen diesen Anbietern, seien es medizinische und pflegerische Dienste oder die ehrenamtliche Sterbebegleitung, wird vom Gesetzgeber erwartet. Auch Krankenkassen und Spitzenverbände der Palliative Care-Träger streben eine „vernetzte Versorgungsstruktur“ an, die derzeit aber noch „zu wenig ausgeprägt“ sei, wie es im verabschiedeten Hospiz- und Palliativgesetz heißt (BT-Drs. 18/5170, S. 1).

Wie viel Palliativnetze gibt es auf lokaler Ebene? Dazu existiert keine amtliche Statistik. Auch die Gesundheitsberichterstattung und einschlägige Verbände bieten hier keinen systematischen und vor allem aktuellen Überblick an. Man findet nur Einzelfragmente zum Thema, z.B. eine Auflistung von sechs Palliativnetzen auf der Webseite des Hospiz-und PalliativVerbands Baden-Württemberg, eine Webseite des bayerischen Staatsministerium mit neun Palliativnetzen oder das (private) Palliativportal mit einer bundesweiten Karte über Palliativeinrichtungen und -netzwerke. Neben den in diesen Quellen genannten Palliativnetzen gibt es sicherlich noch viele informelle Arbeitskreise und Runde Tische, die sich mit der lokalen Situation in der Pflege befassen und damit auch das Thema palliative Versorgung streifen, aber nicht als “Palliativnetz” firmieren.

Analysiert man die sechs Palliativnetze in Baden-Württemberg fällt folgendes auf:

  • die Strukturen reichen von gering formalisierten Netzwerken bis zu gGmbHs
  • die Professionalisierung der Palliativnetze nimmt zu. Die meisten bieten eine spezialisierte ambulante Palliativversorgung (SAPV)
  • die Bedeutung des medizinischen Bereichs nimmt zu. Damit geraten unter Umständen andere Themen (spirituelle, soziale etc.) in den Hintergrund
  • die ambulanten ehrenamtlichen Hospizdienste und damit die freiwillig Engagierten gehören nicht durchgängig zum Kern des Netzwerks.

Die Hospizbewegung war ursprünglich eine Bürgerbewegung. Es gibt noch heute ca. 1500 ambulante ehrenamtliche Hospizdienste. Die ambulanten Hospizdienste könnten überall die Initiatoren von Palliativnetzen sein, – sind dies aber nicht. Warum? Vielerorts sind sie durch die Professionalisierung und den Bedeutungszugewinn des medizinischen Bereichs in die Defensive geraten.

Dabei wären ambulante ehrenamtliche Hospizdienste mit einer/einem hauptamtlichen Koodinator/in eigentlich die passenden Netzwerk-Knüpfer, weil sie eine Anbindung an die Bürgerschaft besitzen und zwischen den Interessen der betroffenen Bürgern und den Vorstellungen der Professionen vermitteln könnten.  Auch sollten die Themen “Tod” und “Sterben” nicht nur medizinisch und pflegerisch besetzt werden, sondern in der Mitte der Gesellschaft verwurzelt sein. Dementsprechend sollten auch die Palliativnetze nicht ohne bürgerschaftliche Anbindung existieren.

Ambulante ehrenamtliche Hospizdienste sollten dort, wo noch kein Palliativnetz existiert, die lokale Vernetzung der Angebote aktiv in die Hand nehmen. Ihre Anbindung an die Bürgerschaft, ihr Bürgerbewegungswissen, ihre psychosozialen Kompetenzen sind Aktivposten, von denen ein lokales Netzwerk profitiert. Die Zusammenarbeit von engagierten Bürgern und professionellen Vertretern verläuft aber nicht immer reibungslos. Wo hier die Probleme liegen (zusätzlich zu den interprofessionellen Kooperationsproblemen zwischen dem medizinischen und dem pflegerischen Bereich) und wie Abhilfe geschaffen werden kann, thematisiert der nächste Blogbeitrag.