Dies ist der 7. Teil einer Blogserie, die ich in loser Folge fortführen werde, sofern mir ein spannendes Papier, ein guter Gedanke oder ein interessantes Projekt aus der Praxis vorliegen. Nach den Beiträgen über die Bedeutung der Quartiersvernetzung (Teil1), den Wissensaustausch (Teil 2), das Bürgerengagement (Teil 3), die Rolle von Unternehmen und Stiftungen (Teil 4), die Rolle von Innovationen und Sozialunternehmen (Teil 5) und die von örtlichen Kirchengemeinden (Teil 6) folgt hier ein Beitrag über die Bedeutung des Internets in der Quartiersvernetzung.
In der Online-Publikation Nr. 07/2015 des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung: “Virtuelle und reale öffentliche Räume” werden die Auswirkungen der Digitalisierung auf den Stadtraum und auf die Herausbildung von städtischer Öffentlichkeit “als Wesensmerkmal der Europäischen Stadt” (S. 6) untersucht. Das Papier unterscheidet drei Arten von Öffentlichkeit:
- die politische (Austausch, Verhandlung)
- die diskursive (Informationsverbreitung, Diskurs über Informationen)
- die symbolische (interagieren, um Gemeinschaft zu bilden)
Sowohl für die politische Öffentlichkeit in einer Stadt als auch für die symbolische spielen reale Räume eine sehr große Rolle, während sich die diskursive Öffentlichkeit sehr gut im Internet herstellen lässt (S. 91). Generell kann Öffentlichkeit aber in jedem Raum und Medium entstehen und auch da, wo reale Räume wichtig sind, werden sie durch virtuelle ergänzt (aber nicht ersetzt).
Quartiersvernetzung ist nach dieser Systematik der symbolischen und der politischen Öffentlichkeit zuzuordnen. Um neue Nachbarschaften im Quartier zu bilden, brauchen Menschen den persönlichen Kontakt und reale Treffen. Aber ihre Aktivitäten und ihr Austausch im realen Raum kann durch Aktivitäten im virtuellen ergänzt werden. Über das Internet können entstehende Netzwerke organisiert und gepflegt sowie Aktivitäten abgesprochen und vorbereitet werden. Auch wer nicht regelmäßig bei den realen Treffen dabei sein kann, bleibt über das Internet auf dem Laufenden. Die Öffentlichkeit kann über den Rahmen des Netzwerks hinaus erweitert werden, wenn Nachbarschafts- und Stadtteilinitiativen sich im Internet mit einer Webseite präsentieren oder einen der großen Social Network-Dienste nutzen. Auch gibt es viele Plattformen, die sich speziell dem Aufbau neuer Nachbarschaften verschrieben haben, wie bspw. Wir Nachbarn, nicer2gether, Nextdoor, und – in Gründung – deine-strasse.de aus Stuttgart.
Welche Internet-Tools es jenseits von Facebook und Twitter gibt, um lokal die Vernetzung unter Bürgern zu fördern und die Organisation des Bürgerengagements in Netzwerken, Initiativen und Vereinen zu erleichtern, das zeigte Martin Kunzelnick bei der Socialbar Stuttgart im Juni, die sich mit dem Thema “Quartiersvernetzung” befasste. Sein Vortrag präsentiert eine Menge Tools, die allesamt in der Freiwilligenarbeit und in Vereinen schon erfolgreich angewandt wurden. Viele eignen sich auch gut für Einsteiger ins Netz.
Immer noch gibt es eine erheblich Anzahl von Bürgern, aber auch von Vereinen und sozialen Diensten im Stadtteil, die das Internet noch zu wenig nutzen, um sich die Arbeit zu erleichtern und sich untereinander zu vernetzen. Dies wurde hier im Blog schon oft beschrieben und bedauert, z.B. in diesem Artikel. Andererseits sind alle digitalen Tools mit Bedacht auszuwählen, weil die meisten von kommerzieller Seite angeboten werden und mit dem Datensammeln und -verkaufen Geschäfte machen, andererseits aber keine Mitbestimmung oder Kontrolle von Bürgern zulassen.
Was wir brauchen sind alternative digitale Instrumente, die Bürgerrechte respektieren. Die Entwicklung solcher Tools auf lokaler Ebene sollte viel stärker in den Fokus rücken. Digitale Bürgerschaftlichkeit drückt sich nicht darin aus, dass man auf Facebook ist. Digitale Bürgerschaftlichkeit bedeutet, dass Bürger eine große Bandbreite digitaler Instrumente beherrschen und auch digitale Tools für sich und ihre (lokale) Community entwickeln können, die passgenau die vorhandenen Bedarfe abdecken.
Initiativen wie die Detroit Digital Justice Coalition bräuchte es auch hierzulande auf örtlicher Ebene. Diese Initiative fördert einerseits die digitale Inklusion der Bürgerschaft, speziell von Menschen, die bisher am Rand stehen, u.a. durch Veranstaltungen wie “Discotechs” (Discovering Technology). Und andererseits soll die Kompetenz der Bürger gefördert werden, die neuen Internet-Angebote nicht nur zu nutzen, sondern auch selbst welche zu entwickeln. Die Initiative tritt ein für digitale Gerechtigkeit, dazu gehören die Prinzipien Zugang, Partizipation und gemeinsame Eigentümerschaft im Hinblick auf digitale Angebote.
“Community Informatics”, d.h. die Informatiken, die auf die Bildung von Smart Communities zielen, sollten lokal gestärkt werden. Auch die Stadtplanung sollte die Rolle von Community Informatics im Blick haben, wenn es darum geht, in Städten die soziale Quartiersentwicklung zu stärken. Wer sich für dieses Thema interessiert, findet im Journal of Community Informatics viele interessante Aufsätze zum Weiterlesen.