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Macht und Abhängigkeit in Nonprofit-Beziehungen

Der letzte Blog-Beitrag befasste sich mit der Bildung von Kooperationen auf der lokalen Quartiersebene. Hier vernetzen sich gemeinnützige Organisationen häufig mit anderen zivilgesellschaftlichen Akteuren. Wo Organisationen und Initiativen zusammenarbeiten, entstehen auch Macht- und Abhängigkeitsverhältnisse. Darüber wird nicht so offen geredet und auch nicht viel geschrieben, obwohl es eigentlich sehr viel Literatur zum Thema Macht und Abhängigkeit gibt, wenn auch nicht bezogen auf den Nonprofit-Sektor,  sondern im Hinblick auf die gewerblichen Wirtschaft.

Wie kommt es zu Macht und Abhängigkeit in Kooperationen?

Organisationen brauchen Ressourcen, um zu überleben. Dafür gehen sie Austauschbeziehungen mit anderen Organisationen ein. Die Ressourcenabhängigkeit einer Organisation verschafft der anderen, die diese Ressource vorhält, Machtpotenziale. In freiwilligen Beziehungen und Netzwerken sind Abhängigkeitsverhältnisse aber zumeist nicht einseitig, sondern wechselseitig. Hier schließen sich Organisationen zusammen, weil sie voneinander Ressourcen brauchen, was beiden Seiten Machtpotenziale verleiht aber auch wechselseitige Abhängigkeiten schafft. Dies macht die Macht-Abhängigkeits-Beziehungen in mehrseitigen Kooperationen und Netzwerken sehr komplex.

In der Vergangenheit konzentrierte sich die Forschung auf die Untersuchung von Machtungleichgewichten in Austauschbeziehungen. Neuere Studien setzen nun einen anderen Schwerpunkt und konzentrieren sich auf die wechselseitige Abhängigkeit der Akteure.  Und hier  gibt es nun die interessante Erkenntnis, dass eine hohe wechselseitige Abhängigkeit die Kooperationspartner zusammen schmiedet, Vertrauen und Selbstverpflichtung wachsen lässt. Die Leistungsfähigkeit von Kooperationen ist bei Beziehungen mit einer hohen Abhängigkeit voneinander größer als bei Beziehungen, die auf Machtungleichgewichte setzen.  Die wechselseitige Abhängigkeit wird in erfolgreichen Organisationsbeziehungen sogar bewusst erhöht, um gemeinsam erfolgreicher zu werden.

Diese Forschungsergebnisse zitieren O’Brien und Evans (2017) in ihrem Aufsatz über “Civil Society Partnerships” in Voluntas, Bd. 28, Heft 4, S. 1399-1421 und untersuchen dann selbst Nonprofit-Partnerschaften im (internationalen) Bereich der Kinderrechtsorganisationen. Sie fragten 32 Vertreter/innen solcher Organisationen, welche Ressourcen sie in  Partnerschaften suchen und wie sie die wechselseitigen Macht-Abhängigkeits-Verhältnisse in Nonprofit-Partnerschaften einschätzen. Sie kommen zu folgenden Ergebnissen:

Nonprofits suchen bei anderen Gemeinnützigen in erster Linie Informationen und praktisches Wissen (Erfahrungen, Best Practice-Beispiele, transferierbares Know-how) (O’Brien/Evans 2017, 1409f). Finanzielle Interessen bleiben im Hintergrund. Die kommen erst wieder ins Spiel, wenn eine Kooperation nicht effektiv ist. Dann wird überlegt, wie man das Engagement reduzieren kann, um Ressourcen zu sparen. Aussteigen aus einer Kooperation? Das sei zumindest in diesem Politikfeld unüblich (ebd., 1411). Hier verlassen Nonprofits auch dann nicht die Kooperation, wenn ein Machtungleichgewicht zwischen Partnern herrscht. Dieses wird in Kauf genommen, wenn es dabei hilft, das gemeinsame Ziel zu erreichen.

Machtungleichgewichte werden von den Befragten gar nicht so sehr thematisiert, – in ihrem Fokus stehen ganz klar die wechselseitigen Abhängigkeiten. Diese bilden den Mittelpunkt, wenn es darum geht, Partnerschaften zu bilden und kollektive Ziele voranzubringen.  Machtungleichgewichte zu tolerieren wird von den Autorinnen als bewusste Strategie von Nonprofits in Partnerschaften bezeichnet (O’Brien/Evans 2017, 1417). Ungleiche Abhängigkeits- und Machtverhältnisse können, wie die untersuchten Organisationen zeigen, sogar zu Vorteilen für das Gemeinwesen führen.

Das sind Schlussfolgerungen mit erheblicher Tragweite. Die Frage bleibt, wie lebendig und effektiv solche Beziehungen sind, die nicht auf Augenhöhe stattfinden. Vielleicht werden sie nicht abgebrochen, aber haben keinen großen output mehr, verglichen mit Beziehungen mit hoher wechselseitiger Abhängigkeit und größerer Leistungsfähigkeit (siehe oben) . Die Frage ist auch, ob diese Ergebnisse auf andere Politikfelder und räumliche Ebenen übertragen werden können oder ob es sich hier um eine ganz spezielle Nonprofit-Community handelt. Interessant ist es aber, den Blick von den Machtverhältnissen weg und stärker auf die wechselseitigen Abhängigkeiten hin zu lenken.

Quartiersvernetzung fördern (Teil 11) – Kooperationen im Quartier

Eine gut verständliche Handreichung für die Bildung von gelingenden Kooperationen im Quartier hat jüngst die Stiftung Mitarbeit veröffentlicht.

Das 40-seitige Papier basiert auf den Ergebnissen eines empirischen Forschungsprojektes in Niedersachsen, welches die Quartiersarbeit in einzelnen Stadtteilen dreier Kommunen untersuchte. Zwei dieser Quartiere gehören zum Bund-Länder-Programm “Soziale Stadt”, das Kooperationen fördert. Ein Quartier setzt die Kooperation in Eigenregie um, – hier war eine Bewohnerinitiative der zentrale Akteur.

Was wird in der Handreichung unter “Kooperation” verstanden? “Ein Zusammenschluss von Akteur/innen auf Quartiersebene, die zusammenarbeiten, um ein bestimmtes Projekt oder Ziel zu verwirklichen”(Gliszczynski 2017, 7), – im Mittelpunkt steht also das konkrete Umsetzen und nicht der bloße Informationsaustausch.

Folgende Bedingungen fördern Kooperationen im Quartier (Gliszczynski 2017, 9f):

  • Ressourcen wie Zeit/Geld/Material/Räume müssen ausreichend verfügbar sein. Sie bilden die Mindestvoraussetzung für eine gelingende Kooperation, weil ohne Zeit Kontakte nicht gepflegt werden können
  • “belastbare persönliche Beziehungen” zwischen den Akteur/innen im Quartier
  • feste Kommunikationsstrukturen, u.a. durch regelmäßige Treffen im Quartier. Dies erleichtert die Kontaktaufnahme zu neuen Akteuren, die man noch nicht kennt und fördert das Wissen über die Strukturen im Viertel und die Potenziale anderer Akteure
  • ein regelmäßiger Austausch über die Quartiersentwicklung unter den Kooperationspartnern, entweder im Rahmen formeller oder informeller Treffen
  • gerade bei intensiven und formalisierten Kooperationen sind klare Ziele, die messbar sind und gut planbare Umsetzungsschritte erlauben, sehr wichtig
  • ebenso sind bei intensiven und formalisierten Formen der Kooperation  klare Verantwortlichkeiten, einschließlich klarer Führungs- und Koordinationsrollen, von Bedeutung

Es verwundert, dass bei diesen Bedingungen nicht der “Netzwerk-Katalysator” oder der “Netzwerk-Treiber” auftaucht, – eine Rolle, die bei Bott (2014, 27ff) oder Mehnert/Kremer-Preiß (2016, 74) stärker betont wird. Auch Miriam Zimmer schreibt in ihrem Beitrag für die Handreichung, dass es Initiator/innen braucht, die für eine Kooperation werben, speziell in deren Anfangsphase (Zimmer 2017, 18).

Netzwerk-Katalysatoren sind aus meiner Sicht immer wichtig, auch nach der Gründungsphase eines Netzwerks. Sie setzen inhaltliche Impulse, holen neue Akteure ins Netzwerk, überwinden Flauten und suchen nach Unterstützern. Aber ihre Rolle ist in selbstorganisierten Netzwerken wahrscheinlich größer als in Kooperationen, die im Rahmen öffentlicher Programme initiiert und gefördert werden.

Quartiersvernetzung fördern (Teil 8) – Kooperationen bilden

Dies ist der 8. Teil einer Blogserie, die unter der Kategorie “Quartier” oder über das Archiv nachgelesen werden kann.

Einen Leitfaden für die Bildung von Kooperationen zwischen gemeinnützigen und privat-wirtschaftlichen Unternehmen hat UPJ e.V. vorgelegt,  das Netzwerk engagierter Unternehmen und gemeinnütziger Mittlerorganisationen in Deutschland, das seit 1996 aktiv ist.

Der Leitfaden “Neue Verbindungen schaffen. Unternehmenskooperationen für gemeinnützge Organisationen” basiert auf dem Gedanken, dass sektorübergreifende Kooperationen zukunftsträchtig sind, weil komplexe gesellschaftliche Probleme nicht im Alleingang, sondern nur im Rahmen konzertierter Aktionen zu lösen sind: wir brauchen eine “Kultur gesellschaftlicher Kooperation und die Bereitschaft und Fähigkeit zur Zusammenarbeit” (UPJ, S. 6).

Speziell auf der regionalen und kommunalen Ebene liegt UPJ zufolge der Schlüssel für die Initiierung und Verbreitung von Kooperationen zwischen dem gemeinnützigen und privatwirtschaftlichen Sektor (S. 64). Gerade im Quartier können meines Erachtens wegen der räumlichen Nähe und der wechselseitigen Bekanntheit Kooperationen gut initiiert und begleitet werden. Tatsächlich erfolgt 90% des Engagements von Unternehmen regional bzw. am Unternehmensstandort (siehe BT-Drucksache 17/10580, S. 233), so dass die lokale Ebene ein guter Startpunkt für Unternehmenskooperationen ist.

Bei den Kooperationen geht es im Idealfall um mehr als um Geld bzw. klassisches Sponsoring und Charity.  Vielmehr bieten Kooperationen die Chance, dass gemeinnützige Organisationen und die lokale Wirtschaft gemeinsam Wissen und Kompetenzen poolen, um Lösungen zu entwickeln, die jeder Sektor für sich alleine nicht entwickeln könnte. Außer finanzielle Ressourcen können Unternehmen hier Dienstleistungen, Produkte, Logistik, Zeit, Wissen, Kompetenzen, Kontakte und Einfluss beisteuern.

Der UPJ-Leitfaden zählt den Nutzen auf, den Unternehmen und Nonprofits von einer Kooperation haben. Unternehmen gewinnen neue Erfahrungen und Qualifikationen, erschließen sich neue Beziehungen, fördern ihre eigene Reputation und ein intaktes Umfeld im Quartier (S. 21). Nonprofits gewinnen durch Kooperationen neue Ressourcen hinzu und können ihre Angebote ausbauen. Beide Seiten können durch Kooperationen Gemeinsinn und Eigennutz verbinden.

Wie gemeinnützige Organisationen eine Unternehmenskooperation aufbauen können, wird in dem Leitfaden ausführlich besprochen. Es handelt sich um sechs Arbeitsschritte (UPJ, S. 45ff):

  1. Das Profil der eigenen Organisation herausarbeiten
  2. Kooperationsbedarfe und -möglichkeiten identifizieren
  3. Kooperationsbereitschaft und -fähigkeit klären
  4. Recherche und Auswahl möglicher Partner
  5. Partner für Kooperationsprojekte gewinnen
  6. Kooperationsprojekte planen, umsetzen, auswerten

Einen einfachen Einstieg in eine Unternehmenskooperation bietet UPJ zufolge der “Marktplatz für Gute Geschäfte”, den es in vielen Kommunen schon gibt. Ich persönlich finde dieses Format auch gut. Aber für den flächendeckenden Aufbau von Begegnungsmöglichkeiten für Wirtschaft und Zivilgesellschaft bräuchte man noch dringend Formate auf Quartiersebene. D.h. der “Marktplatz für Gute Geschäfte” müsste gerade in Großstädten dezentralisiert werden und auch auf Quartiersebene stattfinden. Alternativ hierzu sind auch andere Formen der regelmäßigen Begegnung denkbar. Diese müssten durch Online-Plattformen unterstützt werden, vergleiche den hier im Blog schon einmal angeführten WOW Exchange.