Welche Methoden gibt es, um in der Alltagspraxis Technologien aus ethischer Perspektive zu bewerten?
Im letzten Beitrag wurden ethische Grundprinzipien aufgelistet, die im Umgang mit Daten und Algorithmen von Bedeutung sind: die Würde des Menschen, Selbstbestimmung, Privatheit, Sicherheit, Demokratie, Gerechtigkeit und Solidarität, Nachhaltigkeit. Aber wie kann man in der Praxis das ethische Assessment von Technologien durchführen? Wie können Nonprofits ihre IKT-Auswahl, -Nutzung, – Evaluation in ethischer Hinsicht reflektieren oder sich im Hinblick auf Zukunftstechnologien positionieren, am besten gemeinsam mit ihren Stakeholdern?
Wessel Reijers hat dazu gemeinsam mit sechs Kolleg*innen 2018 einen Beitrag in Science and Engineering Ethics veröffentlicht, der auf der Auswertung von 136 wissenschaftlichen Aufsätzen basiert. Diese stammen aus einem breiten Spektrum, von Medizin über IKT, Nanotechnologie, Agrarwissenschaft, bis hin zu Texten, die sich ganz allgemein mit Technologien und ihren Folgen befassen. Die Autoren haben in diesen 136 Aufsätzen 35 Methoden gefunden, mit deren Hilfe man ein ethisches Assessment von Technologien durchführen kann. Die Methoden ordnen sie drei Kategorien zu (S. 1448):
- Ex ante (8 Methoden): diese Methoden befassen sich mit Technologien und Anwendungen, die gerade neu aufkommen bzw. sich am Horizont abzeichnen
- Intra (14 Methoden): diese Methoden konzentrieren sich auf Technologien und Anwendungen, die im Moment konkret entwickelt werden
- Ex post (13): diese Methoden befassen sich mit Technologien und Anwendungen, die schon vorliegen und in Organisationen bzw. im Alltag genutzt werden
Bei den Ex ante-Methoden sind Szenario- und Foresight-Ansätze stark vertreten. Sie visualisieren Zukünfte oder verdeutlichen diese durch Geschichten. Diese Methoden richten sich in erster Linie an Experten wie Ethiker. Die Einbeziehung unterschiedlicher Stakeholder ist hier eher selten. Kritisiert wird an Ex ante-Methoden, dass eine Schau in die Zukunft spekulativ ist und Zukunftsanalysen durch unvorhergesehene Ereignisse konterkariert werden.
Bei den Intra-Methoden, die die Technologieentwicklung begleiten, setzt man z.B. auf “value sensitive design” und “human driven design”. Auch diese Methoden wenden sich eher an Experten (Ethiker, Forscher, Designer). Ihre Schwachstelle liegt laut Reijers u.a. darin, dass sie in den Arbeitsalltag von Forschern nur schwer zu integrieren sind und der Zusammenhang zwischen Werten und Design in theoretischer Hinsicht nicht klar ausgearbeitet ist.
Ex post-Methoden, die sich mit vorhandenen Technologien befassen, arbeiten oft mit Checklisten oder einer ethischen Matrix, um die ethischen Fragen zu identifizieren, die von den Technologien aufgeworfen werden. Auch diese Methoden wenden sich eher an Experten, zum Teil aber auch an größere Stakeholder-Kreise. Speziell bei einer “ethischen Matrix” wird nach den ethischen Auswirkungen einer Technologie auf unterschiedliche Gruppen gefragt. Kritisiert wird von Reijers und Kolleg*innen an Ex post-Methoden, dass Konflikte zwischen Normen (z.B. Sicherheit versus Autonomie) im Rahmen dieser Methoden nicht gelöst werden können, weil sie keine Wertehierarchie zur Verfügung stellen. Und auch die Wertkonflikte zwischen Stakeholdern finden keine Auflösung.
An allen Methoden kritisiert die Forschergruppe, dass sie zu wenig partizipativ seien. Die Methoden könnten die Fragen: “Wie kann man Partizipation organisieren? Wer sind die Stakeholder?” nicht beantworten, weil sie zumeist top down konzipiert sind. Deshalb plädieren die Autor*innen dafür, auch beim ethischen Technologie-Assessment stärker auf Co-Design und “power sharing” zu setzen (S. 1459).
Als Fazit kann man festhalten, dass es im Moment noch nicht die optimale Methode gibt, um die ethische Wirkung von Technologien zu klären, seien die Technologien “Zukunftsmusik”, in der Entwicklung oder schon in der Anwendung. Dennoch wäre es wichtig, dass sich die soziale Profession, die Wohlfahrtsverbände und ihre Einrichtungen und die ganze Zivilgesellschaft, mit ethischen Fragen bezüglich neuer Technologien auseinandersetzten (siehe dazu meinen Vorschlag der Digitalwerkstätten).
Im nächsten Beitrag stelle ich diskursethische Methoden für die Evaluation von Technologien vor, die in der hiesigen Forschungspraxis erfolgreich erprobt wurden und vielleicht eine Alternative für Nonprofits darstellen.