Wenn sich eine Nonprofit-Organisation für den Einsatz von Web 2.0-Instrumenten entschlossen hat, wie viel Stunden pro Woche muss sie dann für ihre Online-Aktivitäten einkalkulieren? Die Antwort: sehr viele. Wer sich im Mitmach-Internet engagieren möchte, muss bereit sein, dafür viel Zeit zur Verfügung zu stellen.
Um die Installation der Tools geht es hier nicht. Die Technik ist, was den Zeitaufwand angeht, vollkommen nachrangig. Was Zeit kostet, sind die Beziehungen, die man über Web 2.0 aufbaut, die Erstellung der eigenen Inhalte, der Dialog mit den Stakeholdern und die Vermarktung der eigenen Organisation. Der Begriff ‘Social Media’, der für die neuen Mitmach-Tools steht, drückt dies gut aus: es geht nicht primär um Technik, sondern um den Austausch mit Menschen, und der ist zeitaufwändig.
Beth Kanter , die amerikanische Fachfrau für das Thema Nonprofits und Web 2.0, hat nun in einem aktuellen Beitrag versucht, den Zeitaufwand zu ermitteln, der für den Einsatz von Social Media veranschlagt werden muss. Die Zahlen sind nur beispielhaft und hängen im Einzelfall davon ab, wie viel Erfahrung eine Organisation schon mit Web 2.0 gesammelt hat, wie gut die Mitarbeiter im Umgang mit den Tools geschult sind, wie effektiv eine Organisation arbeitet usw. Dennoch geben die Zahlen eine Tendenz wieder und zeigen, dass es sich beim Einsatz von Social Media um keine Aufgabe handelt, die mal so nebenbei erledigt werden kann.
Beth Kanter veranschlagt die folgenden Stundenzahlen:
- 5 Stunden pro Woche benötigt eine Organisation, um sich im Internet über relevante Beiträge bezüglich der eigenen Organisation und des eigenen Fachgebietes auf dem Laufenden zu halten. Kanter nennt diese Tätigkeit ‘Zuhören’. Sie läuft über Newsfeeds, Twitter, technorati usw.
- 5 Stunden pro Woche nimmt es in Anspruch, wenn man aktiv an Online-Diskussionen teilnimmt und Kommentare schreibt, auf einzelne Beiträge eingeht usw. Dieser Aufwand läuft unter dem Stichwort ‘Partizipieren’.
- 10-15 Stunden pro Woche muss eine Organisation für die Erstellung von eigenen Inhalten in Form von Blogs, Podcasts usw. veranschlagen. Da die Inhalte allein noch für keine Nachfrage sorgen, muss man diese entsprechend bekannt machen und im Netz vermarkten. Dies nennt Kanter ‘Generate Buzz’ . Die Vermarktung der eigenen Inhalte kostet eine Organisation noch einmal 10-15 Stunden pro Woche.
- Mehr als 20 Stunden pro Woche benötigt eine Organisation, wenn sie aktiv eigene Online-Netzwerke aufbaut und diese pflegt oder aktiv an bestehen Online-Communities wie Facebook teilnimmt. Die Beantwortung von Anfragen, der gemeinsame Dialog, die Entwicklung neuer Ideen, der wertschätzende Umgang mit den einzelnen Netzwerk-Mitgliedern, – all dies kostet sehr viel Zeit. Aber ohne diesen Stundeneinsatz bringt eine Community keinen Nutzen. Wenn man vom Mitmach-Internet profitieren will, muss man bereit sein, diese Stunden zu investieren.
Ein Kommentator in Beth’s Blog bringt es auf den Punkt: je wichtiger einer Organisation der Austausch mit ihren Stakeholdern ist, desto mehr Zeit investiert sie in Social Media. Wer keine Zeit investiert, hält den Online-Dialog für bedeutungslos: "zero time, zero importance".
Bei bwlzweinull.de und dem Kulturmanagement-Blog wurde in den letzten Tagen auch darüber diskutiert, wie zeitaufwändig Blogs – ein Tool aus dem Social Media Repertoire – sind und inwiefern sie sich für FreiberuflerInnen und Organisationen lohnen. Fazit der Debatte: es gibt kein Patentrezept, jeder Autor/jede Organisation muss für sich entscheiden, ob sie diese Zeit investieren will.
Ein gutes Argument für Blogs liefert jetzt Michael C. Gilbert . Blogs kosten zwar viel Zeit, aber sie helfen dem Autor oder der Organisation, die Informationsüberflutung in den Griff zu bekommen. Wer professionell bloggt, hat klare Themen und Ziele. Diese helfen, die eingehenden Informationen zu rastern und schneller zu verarbeiten, als wenn man ziellos den Informationen ausgesetzt ist. Sein Tipp: "Become a Blogger and relax".
Und es geht ja nicht nur um den Dialog, so wichtig und gut der ist. Ein strategisches Social Media Engagement dient neben dem Dialog mit den diversen Stakeholdern und dem Besetzen von Themen in eigenen Social Media Kanälen auch dazu, bei den relevanten Suchabfragen bei Google und anderen Suchmaschinen gut gelistet zu werden bzw. seine Standpunkte und Themen gut repräsentatiert zu finden. Wenn man die dafür eingesetzte Zeit und Kosten mit der eingesetzten Zeit und vor allem Kosten für (klassische) Werbung und Infosendungen vergleicht, kommt man meist darauf das ein Social Media Engagement weit aus effizienter und effektiver sein kann.
Die Zahlen von Beth Kanter halte ich auch für sehr realistisch, auch wenn das schmerzt: Denn es zeigt, dass allein schon ein gut geführtes Blog ein Halbtagsjob ist.
In dieser Rechnung noch nicht enthalten ist der interne Abstimmungsaufwand, der in jeder größeren Organisation dazu kommt: Der Blogger muss auf Themensuche (intern) gehen, Inhalte abstimmen und ebenfalls ein Beziehungsmanagement betreiben (Vorgesetze, Co-Autoren, interne Leser, Feedback von Kunden…).
Im Ergebnis macht dies deutlich, dass es für das Bloggen eine ganz erhebliche Hürde gibt: Den Zeitaufwand. So gesehen verstehe ich auch, warum so viele Unternehmen (und Nonprofit-Organisationen) noch davor zurückschrecken.
Was das Engagement in Social Communities betrifft, mögen die Zahlen ebenfalls stimmen, ich habe da wenig Erfahrung. Auch für meine Person kann ich auf dieser Ebene praktisch nichts tun, da mir dazu einfach die Zeit fehlt. Ich bin also weder aktiv auf Xing, noch auf Facebook unterwegs und nutze allenfalls Twitter in letzter Zeit verstärkt zur Kontaktpflege.
Ich glaube, diese Stundenzahlen würden die meisten Organisationen umhauen, die sich überlegen, Web 2.0-Tools in ihrer Kommunikation zu verwenden.
Bei großen Organisationen muss man bestimmt mit so einem hohen Stundenaufwand rechnen, bei einer kleinen 3-Mann-Truppe wird das nicht realisierbar sein.
Ich denke, wichtig ist es, zu überlegen, was man mit Social-Media-Maßnahmen erreichen möchte und kann. Es gibt auch Ziele, für die der Stundenaufwand und somit die Hürde, überhaupt zu beginnen, nicht so hoch ist, vielleicht sollte man damit einmal anfangen.
Die erwähnte Diskussion über Bloggen als Freiberufler habe ich übrigens in einem Beitrag auf dem Kulturmarketing Blog aufgegriffen und in den Kommentaren dazu weiter geführt, hier kamen auch noch ein paar interessante Argumente zusammen.
Der Aspekt, dass man durch Bloggen Herr der Informationsüberflutung wird, wurde noch nicht beleuchtet, danke für das Stichwort!
“Wer professionell bloggt, hat klare Themen und Ziele” – das hat was. Bloggen, um seine Gedanken zu ordnen, Prioritäten zu setzen, Ziele zu finden…
Ich kann für mich sagen, dass ich durch das Betreiben eines Blogs sehr viel effizienter mit Informationen umgehe. Aber den Satz “become a blogger and relax” würde ich so nicht unterschreiben. 🙂 Dazu ist der Zeitaufwand zu groß.
Die Tatsache, dass das Community-Building eigentlich schon fast ein Fulltime-Job ist, hat, denke ich, ziemlich konkrete Auswirkungen auf diejenigen, die als EinzelunternehmerInnen oder KMU auf das Internet setzen und sich hier ihren Markt aufbauen wollen. Zuzuhören und an Diskussionen teilzunehmen mag sich gerade noch so ausgehen. Mehr ist aber nicht drin.
Mir geht es ähnlich wie Matthias, man stößt irgendwann an seine Grenzen und muss sich vor Augen halten, dass die nächste Stufe unter diesen Rahmenbedingungen eigentlich nicht zu erreichen ist. Das heißt, hier haben dann “die Großen” wieder einen Vorteil, denn sie verfügen über genügend Ressourcen.
Danke für alle Kommentare!
@Timo: Dass Blogs dabei helfen, Webseiten bei Suchmaschinen gut zu listen, wird als ein Vorteil dieses Tools häufig erwähnt, so z.B. im Wild Apricot Blog (http://tinyurl.com/43dcmm).
@Matthias: Blogs sind tatsächlich ein sehr ambivalentes Instrument. Einerseits lassen sie sich relativ gut in hierarchische Steuerungskonzepte einbauen, da ihr Charakter kein ausgesprochen partizipativer ist. Andererseits müssen sie inhaltlich so gut und interessant geschrieben sein, dass sie auf Nachfrage stoßen. Überdies verschlingen sie viel Zeit. Dennoch gaben bei einer kleinen Untersuchung unter amerikanischen NPOs rd. 70% der Befragten an, dass sie Blogs führen und über die Hälfte der Befragten ist vom Nutzen von Blogs überzeugt (vgl. http://tinyurl.com/664nmf) .
Vielleicht kann man die Komplexität von und den Zeitaufwand für Blogs reduzieren, indem man sie so aufzieht wie bei Ärzte ohne Grenzen: als eine Art Kolumne, die ein Praktiker im Einsatz vor Ort schreibt (vgl. http://tinyurl.com/4dbk9x). Das entspräche auch gut dem Tagebuchcharakter von Blogs. Wenn die Organisationsspitze selbst bloggt und aus der gesamten Organisation berichtet, wird es schon schwieriger und auf aufwändiger. Gut meistert dies das Blog der Welthungerhilfe (http://www.welthungerhilfe-blog.de/). Allerdings ist es seit Juli nicht mehr aktualisiert worden und das Blog-Experiment vielleicht beendet?
@Karin: in der eben erwähnten amerikanischen Studie, die ich im Frühjahr besprochen habe (vgl. http://tinyurl.com/664nmf) kommt auch heraus, dass speziell kleine NPOs den Nutzen von Blogs und Communities schätzen. Bei kleinen Organisationen wird der Aufwand für Blogs auch nicht so groß ausfallen, es kann eher improvisiert werden. Niemand von außen wird hier dieselben Ansprüche stellen wie an den Blog einer großen NPO mit Millionenetat.
@Christian: für Nonprofits im Sozialbereich macht es ökonomisch und strategisch Sinn, in Communities zu investieren. Da zwischenmenschliche Beziehungen die Grundlage der NPO-Aktivitäten bilden, ist der Aufbau und die Pflege von (Online) Beziehungen essentiell. Ob Communities für KMU und EinzelunternehmerInnen genauso wichtig sind, kann ich im Moment nicht beurteilen. Aber im Fall von NPOs bin ich von der Sinnhaftigkeit von Communities überzeugt.
Na da muss ich dem Herrn Michael C. Gilbert aber recht geben. Von wissenschaftlicher Seite finde ich Blogs äußerst sinnreich, weil man (a) die Autor(innen) kennen lerenen kann und (b) super schnell, super viel erfährt. Man muss eben bloß wollen. 😉
Hallo! Dass Bloggen und Social-Media-Aktivitäten wirklich Zeit kosten hat jeder Blogger im eigenen Arbeitsprozes bemerkt. Insofern freue ich mich immer wieder über Versuche diesen Aufwand (und Nutzen) zu quantifizieren. Mich würde interessieren was der Punkt “Vermarktung der Inhalte” beinhaltet? Ich kann mir darunter wenig vorstellen. Danke im Voraus und viele Grüße, Ludwig
Die eigenen Inhalte müssen im Netz bekannt gemacht werden.
Wenn eine Organisation durch ein Blog oder durch Podcasting usw. ins Gespräch mit ihren Stakeholdern kommen möchte, dann muss sie schauen, dass sie diese Inhalte auch entsprechend verteilt, denn ohne Traffic oder ‘Buzz’, wie Kanter es nennt, werden sich nicht viele finden, mit denen man schlussendlich einen Dialog führen kann.
Instrumente wie Twitter, Netzwerkprofile, Gruppenmitgliedschaften, FriendFeed, Vernetzung von Blogs durch die Blogroll, aktives Kommentieren usw. erhöhen den Bekanntheitsgrad einer Organisation und ihrer Botschaft.