Staat und Freie Wohlfahrtspflege arbeiten in unserem Land seit über einem Jahrhundert eng zusammen. Soziale Dienstleister wie Caritas, Diakonie, Arbeiterwohlfahrt, Rotes Kreuz usw. erhalten einen Großteil ihrer Mittel von der öffentlichen Hand. Wie nehmen die gemeinnützigen Träger das Verhältnis zu staatlichen Institutionen wahr? Als Partnerschaft auf Augenhöhe oder als Beziehung, die durch ein Machtungleichgewicht zugunsten des Staates gekennzeichnet ist?
Von der Beantwortung dieser Frage hängt ab, wie selbstbewusst die freien Träger gegenüber ihrem Key Stakeholder – dem Staat – auftreten und wie offensiv sie Handlungschancen nutzen.
Aus empirischen Studien und Aussagen von gemeinnützigen Trägern geht hervor, dass sich die Freie Wohlfahrtspflege gegenüber staatlichen Einrichtungen in der Defensive fühlt. Als besonders belastend werden empfunden:
- die finanzielle Abhängigkeit von der öffentlichen Hand
- die gesetzlich auferlegte Ökonomisierung der sozialen Dienste
- die staatliche Kontrolle der Leistungserbringung
- und der Rückgang der politischen Einflussmöglichkeiten von Nonprofits (vgl. Zimmer/Priller 2004 )
Seit den 90er Jahren versucht der Staat, den Sozialsektor zu vermarktlichen. Er stellte gewerbliche Anbieter mit den freien Trägern gleich, er führte einen Wettbewerb um staatliche Aufträge ein und erwartet von den Dienstleistern wirtschaftliches Handeln und Effektivität. Durch diese Vermarktlichung konnte der Staat, so paradox es klingt, die Freigemeinnützigen noch stärker an sich ketten und sein Kontrollvermögen aufgrund der überbordenden Berichtspflichten auf Seiten der Einrichtungen noch ausbauen. Gleichzeitig ziehen sich die öffentlichen Vertreter aus der Kooperation mit den freien Trägern zurück, so dass die Freie Wohlfahrtspflege an Einfluss verliert (Möhring-Hesse 2008). Die Lage hat sich also aus Sicht der Wohlfahrtsverbände im letzten Jahrzehnt noch verschlimmert. Grund genug, sich als unterlegener Partner in dem Verhältnis mit der öffentlichen Hand zu fühlen?
Ganz sicher nicht. Denn eine Perspektive, die nur die Macht des Staates in den Blick nimmt, dessen Abhängigkeit von freigemeinnützigen Einrichtungen aber nicht thematisiert, ist unvollständig. Sie übersieht, dass Staat und Wohlfahrtspflege durch ein wechselseitiges Macht-Abhängigkeits-Verhältnis aneinander gebunden sind. Das heißt, auch die Freie Wohlfahrtspflege verfügt aufgrund ihres großen Hilfsapparates, ihrer Mitarbeiter, ihres Fachwissens, ihrer langen Tradition und ihrer Kontakte zur Bürgerschaft usw. über Ressourcen, von denen die öffentliche Hand abhängig ist.
Die freien Träger müssen sich über die eigenen Potentiale und Stärken sicherer werden. Es gibt keinen Grund, sich im Verhältnis zur öffentlichen Hand unterlegen zu fühlen. Die freien Träger produzieren so viele immaterielle Werte, die nicht messbar sind, aber unerlässlich für das Funktionieren einer Gesellschaft. Insofern werden sie auch nie durch gewerbliche Träger ersetzt werden können, die mit ihrer Forprofit-Perspektive die Werte von Nonprofit-Einrichtungen nicht vermitteln können. Die Abhängigkeit des Staates von freien Trägern ist ein Faktum – und sollte Nonprofits das entsprechende Selbstbewußtsein vermitteln.
Wenn man sich als schwacher Partner in einer Beziehung begreift, hat dies im Zweifel nichts mit einem objektiven Ungleichgewicht zu tun, sondern basiert auf dem eigenen Unvermögen, die Stärken und Handlungspotentiale, über die man verfügt, auch zu nutzen . In einer solchen Situation sehe ich die Freie Wohlfahrtspflege. Sie starrt auf den Staat und dessen vermeintliche Überlegenheit und vergisst darüber, die eigenen Potentiale zu aktivieren.
Aus dieser defensiven Haltung heraus kann man nicht effektiv Einfluß nehmen, weder auf den Staat noch auf die Wirtschaft oder auf die Bürgerschaft. Gerade die Bügerschaft wird aber als Handlungspartner von der Freien Wohlfahrtspflege dringend gebraucht.
Fazit: die gemeinnützigen Träger müssen sich als erstes ihrer Stärken bewußt werden und ihre Handlungspotentiale erkennen, wenn sie mit staatlichen Akteuren auf Augenhöhe kooperieren wollen.
… und das wird hoffentlich auch in Zukunft passieren. Leider sehe ich da im Moment nur wenig Licht am Ende des Tunnels, denn die Sozialarbeiter(innen) / -pädagog(innen), die gerade auf den “Markt” kommen, sind noch zu sehr großen Teilen von dem Bewusstsein geprägt nichts halbes und nichts ganzes gelernt zu haben. Jugendliche “bemuddeln”, einem / einer Trinker(innen) “ins Gewissen reden” oder “Opfer trösten”: das kann doch jede(r). Und — so offensichtlich die weitverbreitete Ansicht — vor allem können es Angehörige anderer Professionen besser als Sozialarbeiter(innen). Schließlich werden diese ja *noch* von solchen ausbegebildet. Hoffentlich wird sich das Bald ändern. Hoffentlich haben wir bald nur noch Lehrende in den Fachbereichen Sozialwesen an den FHs, die wirklich aus der Sozialen Arbeit kommen und keine Philosopohen, Soziologen, Pychologen und was weiß ich noch alles sind. So lange Sozialarbeiter(innen) — die neben den Erzieher(innen) die hauptsächliche Manpower im dritten Sektor stellen — noch der Meinung sind, dass ihre Arbeit auch von anderen (besser) gemacht werden kann, bleibt alles wie es ist!
Ich frage mich, ob die defensive Selbsteinschätzung der Sozialarbeiter/
innen, von der Sie berichten, wirklich aus deren Ausbildung herrührt, oder ob sie nicht eine Folge der Situation ist, in der sich die Soziale Arbeit und die Pädagogischen Fachkräfte in unserem Land befinden: sinkende Einkommen und befristete Arbeitsverträge, ein abnehmendes Jobangebot, – Konditionen also, die sich ganz schnell negativ auf das Selbstbewusstsein einer Berufsgruppe auswirken.
Die negative Jobsituation hängt wiederum auch mit der defensiven Haltung der freigemeinnützigen Dienstleister gegenüber den Kostenträgern zusammen.