Alle Artikel von Brigitte Reiser

Wofür stehen Diakonie und Caritas?

Weihnachten ist eine gute Zeit, um über Nonprofit-Organisationen aus dem kirchlichen Bereich nachzudenken. Zwei große kirchliche Träger bestimmen unsere sozialen Dienste: Diakonie (evangelisch) und Caritas (katholisch). Beide Verbände zusammen betreiben über 57.000 Einrichtungen mit mehr als 2 Millionen Betreuungsplätzen und rund 940.000 Mitarbeitern (Daten aus dem Jahr 2004. Die Daten findet man in der Gesamtstatistik der Freien Wohlfahrtspflege).

Welche Botschaft haben Caritas und Diakonie an die Menschen? Welchen Satz aus allen möglichen Sätzen haben diese Organisationen ausgewählt, um ihre Mission auszudrücken?

Das Motto der Diakonie lautet: “Diakonie. Stark für andere”. Das Motto ist recht beliebig, denn gibt es nicht viele andere gemeinnützigen Träger, die sich engagiert für andere Menschen einsetzen? Das Motto der Caritas ist zupackender : “Not sehen und handeln. Caritas”. Aber auch diesen Satz könnten viele, viele andere freien Träger im Sozialbereich unterschreiben und für sich nutzen.

Worin besteht nun das Besondere von Diakonie und Caritas? Weshalb sollten die Menschen aus allen möglichen Anbietern einen den beiden kirchlichen Träger auswählen? Auf diese Fragen eine Antwort zu finden wird m.E. die Hauptaufgabe für die Führung der beiden Verbände in den nächsten Jahren sein, wenn der zunehmende Wettbewerb eine bessere Selbstdefinition erzwingen wird.

Für mich persönlich ist die Antwort klar. Caritas und Diakonie müssen m.E. mit ihrer Botschaft “back to the roots”. Etwas aus ihrem religiösen Fundament muss in ihrer Botschaft sichtbar sein, so dass auch die spirituellen Bedürfnisse der Menschen angesprochen werden.

Best Practice III: schnellehilfewirkt.at

Vor kurzem erst habe ich hier den Webauftritt von Ärzte ohne Grenzen (MSF) besprochen, den ich hervorragend finde. Nun überrascht mich diese Organisation bzw. ihre österreichische Sektion zum zweiten Mal mit einer großartigen Kampagne: schnelleHilfewirkt.at.

Ein Auftritt, der mich den Hut ziehen läßt vor der Agentur Blinklicht, die die Kampagne mit Hilfe einiger Blogger umgesetzt hat, und vor Ärzte ohne Grenzen, die sich neuen Technologien gegenüber so offen zeigen. Die Kampagnen-Website kann – neben der ‘normalen’ Organisations-Website von Ärzte ohne Grenzen – als Lehrbeispiel dafür gelten, was man mit Web 2.0 alles machen kann.

Als “erste österreichische NGO”, wie der Wiener Standard schreibt, setzen MSF auf Social Networking und Fundraising via Mobiltelefon. Das Spendensammeln über Mobiltelefon habe ich schon auf britischen Nonprofit-Seiten gesehen (siehe YouthNet), aber noch nie im deutschsprachigen Raum. Im Rahmen der Kampagne kann man nicht nur per SMS spenden, sondern auch Klingeltöne, Screensaver und handy videos herunterladen.

Dann gibt es auf der schnelleHilfewirkt-Seite noch eine Verlinkung zu flickr, wo man Photos von Ärzten bei Auslandseinsätzen ansehen kann, Youtube-Videos (- toll das Video zum Aufruf für Spenden via SMS), Kurznachrichten über Twitter, Podcasts mit Klängen aus fernen Ländern.

Und das Beste: es gibt Banner und Spendenbuttons zum herunterladen. Freunde und Fans von Ärzte ohne Grenzen können als Fundraiser für diese Organisation aktiv werden, indem sie den Button auf ihre eigene Webseite stellen, was in Österreich schon einige Leute gemacht haben. Auf dem Button kann man die Spendensumme sehen, die der einzelne Unterstützer für Ärzte ohne Grenzen akquirieren konnte. Im angloamerikanischen Bereich habe ich entsprechende Fundraising-Widgets schon öfters gesehen, aber noch nie im deutschsprachigen Raum bzw. in Zusammenhang mit einer Nonprofit-Organisation im Sozialbereich.

Als ich mir gestern die schnellehilfewirkt-Kampagne angesehen habe, dachte ich: o.k., die Zukunft hat nun endgültig begonnen, auch im Nonprofit-Bereich. In ein paar Jahren werden solche Seiten sehr häufig und irgendwann Standard im NPO-Bereich sein.

Übrigens wurde die Kampagne gesponsort und technisch unterstützt von der mobilkom austria. Ein Grund dafür, dass das Handy so im Mittelpunkt steht, aber ganz klar zum Vorteil von Ärzte ohne Grenzen.

Der “digitale Graben” in der NPO-Landschaft

Welche Chancen bietet das Web 2.0 gemeinnützigen Organisationen und werden diese Chancen derzeit schon von allen hier genutzt? Um diese Fragen kreist das Interview, das Markus Beckedahl mit den Blogpiloten führte. Beckedahl ist seit langen Jahren Teil der Internetszene und betreibt das mehrfach ausgezeichnete Weblog netzpolitik.org, das sich mit dem Thema ‘Freiheit’ im Internet befasst.

In dem Interview mit den Blogpiloten stellt Beckedahl die These auf, dass ein “digitaler Graben” die politische Landschaft in Deutschland durchzieht. Auf der einen Seite sieht er die traditionellen Verbände und Organisationen, für die das Internet lediglich ein “verlängertes Presseorgan” ist, auf der anderen Seite jene meist jungen Organisationen, die das volle Potential des Internets erkannt haben und erfolgreich für sich nutzen.

Beckedahl betont die Chancen, die speziell auch für kleinere Organisationen im Netz liegen. Unabhängig von irgendwelchen Gatekeepern, die einer Einrichtung den Zugang versperren, weil ihr Thema nicht im Trend liegt, kann heutzutage jede Nonprofit-Organisation ihre Botschaft in die Welt tragen. Und ihren Webauftritt u.a. als Kanal für Videos und Audiobeiträge nutzen. Beckedahl bedauert, dass viele arrivierte NPOs die politische Bedeutung des Internets als Instrument für Kampagnen und die eigene Vernetzung noch nicht erkannt hätten.

Insgesamt ein informatives Interview mit einem Fachmann, der die Entwicklungen im Netz kennt und neue Trends früher sieht als andere.

Den Hinweis auf das Interview verdanke ich Matthias Schwenk und Martin Koser, – vielen Dank!