Kategorie-Archiv: Empowerment

Podknast.de – Radio aus dem Jugendarrest

Podcasts aus dem Knast – über die Stuttgarter Zeitung bin ich auf das Hörangebot des Düsseldorfer Jugendarrestes aufmerksam geworden. “Live aus der Zelle” berichten jugendliche Straftäter über ihr Leben und ihre Zeit in der Arrestanstalt. Herausgegeben werden die Podcasts vom Justizministerium in NRW, in Kooperation mit der nordrhein-westfälischen Landesmedienanstalt.

Die Podcasts sollen der Abschreckung dienen und gefährdete Jugendliche über die Zustände im Jugendarrest informieren. Das Ganze trägt paternalistische Züge, – einerseits. Andererseits erzählen die Jugendlichen ziemlich ungeschminkt von ihren Gefühlen, die Beiträge wirken authentisch. Sie bieten einen kleinen Einblick in die Seele der Gefangenen, z.B. in die Gefühlslage von “Marco” dem Nachdenker.

Grundsätzlich finde ich Medienprojekte, die in geschlossenen/stationären Einrichtungen von den dortigen Klienten produziert werden, sehr begrüßenswert. Vor kurzem habe ich über das Internetradio des Paritätischen Landeswohlfahrtsverbandes geschrieben, der Podcasts aus Sozialeinrichtungen bietet. Aber noch sind solche Projekte in der Minderzahl.

Im Allgemeinen “verschwinden” die Menschen in den Einrichtungen, seien es nun psychiatrische Anstalten, Gefängnisse, Behinderteneinrichtungen, Pflegeheime – und wenn man nicht gerade persönlich mit ihnen bekannt ist, verliert man sie als Mitbürger vollkommen aus dem Gesichtsfeld. Sie sind sozusagen aufgeräumt, weggesteckt und “behelligen” niemanden außerhalb mehr mit ihren Problemen und ihrer Präsenz.

Podcasts wie Podknast.de bringen ein wenig Licht in das Dunkel der Betroffenen. Sinnvoll wäre es nun, wenn es eine Kommentarfunktion zu den Podcasts gäbe, damit sich die Zielgruppe zu Wort melden kann und die Einrichtung/die Sprecher der Podcasts in eine Diskussion mit dem Publikum eintreten könnten, um Fragen zu klären und inhaltlich nachzulegen. Das langfristige Ziel muss ein Dialog mit der Umwelt sein und nicht die einseitige Kommunikation vom Sender zum Empfänger. Aber das Problem bei solchen Projekten ist in der Regel – woher das Geld nehmen für die Mitarbeiter, die eine solche interaktive Seite betreuen könnten?

Best Practice IV: Internetradio vom Paritätischen Wohlfahrtsverband

In der Regel wird in den Medien über die Empfänger von Sozialleistungen berichtet. Ganz anders funktioniert das Projekt s-pod des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes Baden-Württemberg. Hier kommen die Betroffenen im Rahmen von Podcasts selbst zu Wort. Sie berichten über ihre Situation oder sind als Reporter unterwegs und informieren über die Problemlagen anderer Gruppen. Alle, die am Projekt beteiligt sind, haben eine kostenlose Internetradio-Schulung erhalten und sind in der Lage, die Podcasts selbst zu erstellen. Das Ergebnis sind interessante und ungewöhnliche Hörerlebnisse.

Wer wissen will, wie Obdachlose, Blinde, psychisch Kranke usw. ihre Situation sehen (und nicht andere ihre Lage bewerten), der kann hier Entdeckungen machen. Das Projekt ist eine Form des Empowerments der Klientel von Sozialeinrichtungen. Und es ist dem Paritätischen Wohlfahrtsverband hoch anzurechnen, dass er so unkonventionelle Wege geht.

Die Podcasts kann man bei SWEF (Social Web Focus), dem Radioportal für Soziales abhören, das sich auf der Internetseite des Paritätischen in Baden-Württemberg befindet.
Hier gibt es unterschiedliche Kanäle, den Kanal für Selbsthilfe, den Kanal für freiwilliges Engagement usw.

Insgesamt ist das Projekt s-pod ein gutes Beispiel dafür, wie Nonprofit-Organisationen das Internet nutzen können. Jede andere Einrichtung könnte mit Hilfe von Podcasts ihr Profil schärfen oder ihren Kunden eine Möglichkeit zur Artikulation geben. Ich persönlich warte auf die ersten Podcasts aus dem Altenheim und darauf, dass auch alte Menschen endlich ihren Platz und eine Stimme im Netz erhalten.

Web 2.0 als Instrument der Segregation?

Gerald Czech nimmt in seinem Blog redcross sociologist Bezug auf meinen Beitrag ‘Nonprofits und Web 2.0’. Er weist daraufhin, dass ein Großteil der Klientel von Nonprofit-Organisationen von der neuen Social Software nicht ereicht wird, weil alte Menschen, Arme, gering Gebildete nicht im Netz sind oder sich zumindest nicht mit Blogs, Podcasts etc. auskennen.

Er befüchtet, das Web 2.0 könne die soziale Segregation noch befördern. Diese Befürchtung ist absolut gerechtfertigt und treibt mich selbst um. Nur die Schlussfolgerung kann nicht heißen: lassen wir die neue Technik und die neuen Medien! Das wäre genauso, als würde man Opernhäuser und Theater schliessen, weil manche Schichten dort nicht vertreten sind. Sondern die Forderung muss heißen: Bildung und Web 2.0 für alle! Was wir brauchen ist eine Bildungsoffensive, die alle Menschen erreicht und mitnimmt. Die Grundidee hinter Web 2.0 ist ja: Bildung und Partizipation für alle und nicht nur für eine kleine Gruppe von Eingeweihten.

Wir stehen erst am Anfang der Entwicklung, deshalb müssen Nonprofits auch zweigleisig arbeiten: Social Software integrieren, um neue Gruppen anzusprechen und gleichzeitig weiterhin Broschüren drucken für die Leute, die nicht im Netz sind. Im übrigen müsste es gerade auch die Aufgabe von gemeinnützigen Organisationen sein, ihre eigene Klientel im Umgang mit den neuen Medien zu schulen, das würde ihrer Vermittlungs- und Integrationsfunktion entsprechen. Keine Organisation im Nonprofit-Bereich sollte nur sozialer Dienstleister sein, jede sollte auch emanzipatorische Aufgaben wahrnehmen.