Kategorie-Archiv: Fundraising

Trends der Bürgergesellschaft

Nach meinem letzten Beitrag über eine britische Veröffentlichung, die sich mit der zukünftigen Entwicklung im Bereich Ehrenamt auseinandersetzt, gehe ich heute auf eine deutsche Studie zum selben Thema ein. Es handelt sich um ein Diskussionspapier des Bundesnetzwerkes für Bürgerschaftliches Engagement vom Herbst 2007 mit dem Titel: “Zukunftstrends der Bürgergesellschaft” und liegt als pdf-Datei vor. Interessant wird der Vergleich der beiden Veröffentlichungen sein.

Auch die deutsche Studie stellt, wie die britische, folgende Trends bezüglich des Ehrenamtes fest:

Das freiwillige Engagement wird in Zukunft zeitlich begrenzter und eher projektorientiert sein; die Ehrenamtlichen wünschen sich für ihre Tätigkeit mehr Selbstbestimmung und Partizipation; Freiwilligenarbeit wird immer häufiger finanziell entschädigt werden; freiwillige Helfer werden verstärkt Zertifikate über ihre Mitarbeit erhalten, die auch auf dem Arbeitsmarkt anerkannt werden; durch die demographische Entwicklung wird das Potential an freiwilligem Engagement unsicherer sein als in der Vergangenheit; um Ehrenamtliche wird es zwischen Nonprofit-Organisationen mehr Konkurrenz geben.

Was in der Studie ausgeblendet und in der britischen behandelt wird: das ist die These von der schwächeren Bindung der Menschen an geographische Orte. Diese Entwicklung wird gefördert durch das Internet. Der einzelne kann weltweit nach Freunden suchen und weltweit nach sozialen Projekten, die er materiell oder immateriell unterstützen will. Er ist nicht auf seine Wohnortgemeinde und die dort ansässigen Sozialeinrichtungen und Kirchengemeinden angewiesen, sondern er hat die freie Wahl, wo er sich einbringen möchte.

Diese Entwicklung verändert die Situation von Nonprofit-Organisationen fundamental, die plötzlich nicht nur örtlich, sondern auch überörtlich und häufig weltweit um Spender und Freiwillige konkurrieren müssen, – ein Trend, der sich in den nächsten Jahren noch deutlicher zeigen wird.

In dem Bericht des Bundesnetzwerkes über die Zukunft des Bürgerengagements im 21. Jahrhundert ist das Internet als Trend oder Strategie nicht präsent. Die Studie bleibt dem Offline-Denken verhaftet, so als würde es das Internet und die Entwicklung hin zur Online-Gesellschaft – mit Folgen für den Nonprofit-Sektor – nicht geben.

Im letzten Teil der Studie wird gefordert, eine Infrastruktur für die Förderung von bürgerschaftlichem Engagement, z.B. in Form von Freiwilligenagenturen, Bürgerbüros etc. flächendeckend aufzubauen. Speziell die öffentliche Hand sei hier in der Verantwortung. Diese Forderung ist legitim. Andererseits haben Nonprofits das Potential noch nicht ausgeschöpft, welches das Internet für die Organisation von bürgerschaftlichem Engagement bietet und stehen hier noch in der Bringschuld. Über das Netz können – kostengünstig – Communities von engagierten Bürgern aufgebaut werden. Ein Teil der notwendigen Infrastruktur wird sich also ins Netz verlagern, mit einer anderen Kostenstruktur und einer anderen Dynamik als offline.

Nonprofits als geschlossene Systeme

Vielleicht bewirkt der Fall Unicef eine Wende im Nonprofit-Sektor. Er zeigt, dass sich Intransparenz, Verdecken und Abstreiten nicht auszahlen. Früher oder später kommen die kritischen Dinge doch an die Öffentlichkeit. Der Schaden ist dann um so größer. Die Druckausgabe der Stuttgarter Zeitung zitiert heute eine Umfrage, nach der jeder vierte in Deutschland von der Unicef-Affäre verunsichert ist und weniger Geld spenden möchte. Die Schäden inbesondere für Entwicklungshilfeträger sind noch nicht absehbar. Möglicherweise verändern Spender ihre Strategie und unterstützen eher Projekte im Nahbereich. Gewinner der Affäre könnten bürgerschaftliche Initiativen ohne Verwaltungsapparat sein, die mit ihrem Namen dafür einstehen, dass Spenden zu 100% bei den Adressaten ankommen.

Professionelle Nonprofit-Organisationen haben sich dieses Misstrauen der Öffentlichkeit selbst zuzuschreiben. Seit Jahrzehnten und auch noch heute ähneln die meisten dieser Organisationen einer Black Box, – keiner weiß so genau, was sich in ihrem Innern abspielt. Verantwortlich hierfür ist die defensive Haltung der gemeinnützigen Träger: man versteckt sich eher vor den Stakeholdern als dass man sie offensiv umarmen würde.

Der Dialog mit den Spendern findet nicht auf Augenhöhe statt. Sonst müsste man den Einsatz von professionellen Fundraisern, der zwischenzeitlich zur Normalität gehört (vgl. den Artikel in der Wirtschaftswoche), nicht verbergen, sondern würde ihn öffentlich machen und es dem Urteil des Spenders überlassen, ob er eine Spende unter diesen Bedingungen tätigen möchte. Dem Spender wird diese Chance aber nicht eingeräumt.

Vielleicht ist das Expertentum in den Nonprofits verantwortlich dafür, dass Spender zwar gern gesehene Ressourcenbeschaffer sind, aber als inhaltliche Gesprächspartner nicht ernst genommen werden. Das hierarchische Gefälle zwischen Experten und Laien ist im Sozialsektor meines Erachtens stark ausgeprägt und Ursache dafür, dass Nonprofits in ihrer Innovationsfähigkeit und ihrem Vernetzungsgrad weit hinter dem zurückbleiben, was möglich wäre.

Fundraising-Plattformen und die Effektivität von Spenden

Online Fundraising-Plattformen fördern die Entstehung neuer Hilfsprojekte, denn der Eintritt in den Spendenmarkt wird für ein Projekt durch Plattformen sehr einfach. Speziell kleinere Initiativen mit geringem Budget profitieren hiervon. Anstatt Adressen von potentiellen Spendern sammeln oder kaufen zu müssen, stapelweise Spendenbriefe zu drucken etc. reicht die (kostengünstige oder sogar kostenlose) Anmeldung auf einer Plattform.

Es entstehen so Märkte, auf denen der potentielle Spender zwischen hunderttausenden von Trägern und unzähligen Hilfsprojekten wählen kann. Wie effektiv ist dieses Fundraising-System, bei dem die Spenden wie mit der Gießkanne auf tausende von Empfängern verteilt werden?

Die Fundraising-Plattformen bieten in der Regel keinen Mechanismus, um Spendenströme effektiv zu steuern. Man überlässt hier alles dem Spendenmarkt bzw. dem freien Spiel von Angebot und Nachfrage. Eine Ausnahme bilden Fundable, ThePoint und GiveMeaning, die jeweils eine bestimmte Zahl von Unterstützern voraussetzen, bevor Spenden oder Kampagnen wirksam werden.

Um die Effektivität des Systems müssen sich folglich die Nonprofit-Organisationen selbst kümmern. Give and Take befasst sich mit Rosetta Thurmans These, dass Nonprofits kooperieren sollten, um ihre Kräfte zu bündeln. Nur die Kooperation zwischen Trägern ermögliche Ihnen, im Wettbewerb um Spendern, Kunden und Mitarbeitern zu bestehen. Und nur die Kooperation verhindere, dass mit Ressourcen (und damit auch Spenden) xfach dieselbe Infrastruktur parallel aufgebaut werde.

Was ist Thurmans Rat an engagierte Menschen, die selbst ein Hilfsprojekt starten wollen und einen Auftritt auf einer Fundraising-Plattform planen? “Even if you think your idea for social change is the best ever in the world, there is at least a handful of organizations already doing this work” (Thurman). Deshalb empfiehlt sie sozial Engagierten, nach einer Nonprofit-Organisation zu suchen, die das ausgewählte Thema schon bearbeitet, und sich hier um Partizipationsmöglichkeiten zu bemühen.

Auf jeden Fall macht es meines Erachtens keinen Sinn, das hunderttausendste Projekt zur Entwicklungshilfe oder ähnlichem zu starten und mit anderen winzigen Trägern auf Plattformen um ein paar Euro oder Dollar zu konkurrieren. Das beruhigt vielleicht das Gewissen der engagierten Akteure, aber ist nicht unbedingt effektiv. Die Spenden sind meiner Meinung nach bei größeren Trägern oder Trägerkooperationen mit entsprechender Expertise, Erfahrung und Verwaltung besser angelegt.