Kategorie-Archiv: Partizipation

Web 2.0 am Ende? Die technologische Revolution beginnt erst

Anfang des Jahres las ich bei silicon.de die Schlagzeile “2008 ist es aus mit dem Web-2.0-Boom” . In dem dazugehörigen Beitrag werden die Ergebnisse der Studie eines britischen Unternehmens, das Web-Anwendungen testet, zusammen gefasst. Der Tenor der britischen Studie: die Menschen (und auch die Unternehmen) würden die Lust am Mitmach-Netz verlieren, u.a. wegen der schlechten Qualität der nutzergenerierten Inhalte und wegen einer allgemeinen Übersättigung durch die vielzähligen Angebote im Netz.

Diese Einschätzung überrascht mich. Denn aus meiner Sicht ist das Web 2.0 bei den Massen noch gar nicht richtig angekommen bzw. haben die Mehrheit der Menschen und Institutionen das Mitmach-Netz noch nicht für sich entdeckt. Sicherlich werden sich langfristig die Interessen und Schwerpunkte im Netz verändern. Aber einen Schritt zurück hinter die neuen Technologien und hinter die verstärkte Partizipation der Menschen wird es meines Erachtens nicht geben.

Wir befinden uns inmitten einer technologischen Revolution und die Zukunft wird nicht frei vom Internet, sondern noch viel internetbezogener als bisher sein. Es werden noch viele neue Anwendungen entwickelt werden. Besonders dreidimensionale Anwendungen wird man verstärkt einsetzen, die dem Nutzer neue Informations- und Entdeckungsmöglichkeiten bieten.

Auch Nonprofits werden irgendwann mit 3D-Tools arbeiten: Naturschutzverbände werden virtuelle Welten im Netz erschaffen, in denen man sich über die (gefährdete) Flora und Fauna informieren kann. Museen und Kunstvereine können virtuelle Rundgänge in dreidimensional aufbereiteten Ausstellungen anbieten. Und Sozialeinrichtungen haben die Chance, potentiellen Kunden virtuelle Rundgänge in betreuten Senioren-Wohnanlagen oder Altenhilfeeinrichtungen anzubieten, damit sich Interessenten schon im Vorfeld und von zu Hause aus über die Gebäude informieren können. Die Führung erfolgt durch den Avatar (den virtuellen Stellvertreter) des Einrichtungsleiters/der Einrichtungsleiterin im Netz.

Wer jetzt sagt: das brauchen wir nicht, spürt nichts von der Faszination dieser neuen Welten und den Chancen, die sie speziell den Menschen eröffnen, die in ihrer Mobilität eingeschränkt sind. Da unsere Gesellschaft stark altert, werden kommende Senioren-Generationen, deren Mobilität aus körperlichen Gründen abnimmt, an einem Internet, das Informations- und Partizipationschancen bietet, noch dankbar sein.

Best Practice I: dieGesellschafter.de

Im Rahmen einer Best-Practice-Serie sollen hier in loser Folge die Webseiten von Sozialorganisationen vorgestellt werden, die durch die Integration von Web 2.0 Tools dialogorientiert sind und die Binnenperspektive hinter sich gelassen haben.

Die hier vorgestellten Webauftritte wurden – anders als beim Durchschnitt der NPO-Webseiten – zu einem guten Teil aus Sicht der Nutzer erstellt: was möchten die Besucher auf den NPO-Seiten machen? In die Diskussion mit anderen Benutzern eintreten? Sich für ein freiwilliges Engagement melden? Sich mit einer Idee oder einem Projekt einbringen? Einer Community als registriertes Mitglied beitreten? Online Geld spenden? Kampagnen per Mail oder Banner unterstützen?

Wer sich so in die Bedürfnisse und Wünsche der Benutzer hineinversetzt, wird eine andere Webseite kreieren, als die Organisation, die aus der Binnenperspektive heraus im Netz veröffentlicht. Da es letztlich für gemeinnützige Träger darum geht, Ressourcen aus der Umwelt zu erhalten, ist es ökonomisch rationaler, dialogorientierte Webseiten zu erstellen anstatt in einem binnenorientierten Webauftritt zu verharren.

Hier in Deutschland gibt es im Sozialbereich noch nicht viele dialogorientierte NPO-Webseiten. Web 2.0-Tools, die den Dialog ermöglichen, muss man mit der Lupe suchen. Aber es gibt sie, – die Organisationen, die voranschreiten, die neue Instrumente und Ideen aufgreifen und nutzen, um damit ihrer Botschaft und ihrer Klientel zu dienen.

Beispielhaft ist ein Projekt der Aktion Mensch. Die Aktion Mensch fördert Projekte der Behinderten(selbst)hilfe und Kinder- und Jugendhilfe. Im März 2006 hat sie das Projekt dieGesellschafter.de ins Leben gerufen. Unter der Überschrift: “In was für einer Gesellschaft wollen wir leben” bietet die Seite den Bürgern die Möglichkeit zu diskutieren, Mitglied des Projekts zu werden, sich für ein Ehrenamt zu melden und zu partizipieren, indem Projektvorschläge eingebracht und deren Förderung beantragt werden kann.

Noch ist keine Vernetzung mit anderen Benutzern möglich, d.h. der Unterstützerkreis (“ich will Gesellschafter werden”), der hier samt Adressdatenbank aufgebaut wird, nutzt derzeit nur der Aktion Mensch und nicht den Seitenbesuchern, die vielleicht nach Gleichgesinnten Ausschau halten.

Es werden einige Web 2.0-Tools genutzt, u.a. gibt es ein Projektblog, zusätzlich ein Blog mit wechselnden Autoren, Foren, RSS-Feeds. Für die Menschen, die nicht online sind, werden die wichtigsten Diskussionen auf der Webseite in einer Zeitung gedruckt, die an öffentlichen Stellen kostenlos ausliegt. Das ist ein schönes Beispiel für Benutzerfreundlichkeit, das Menschen ohne PC miteinschließt.

Insgesamt macht das Projekt dieGesellschafter.de, das übrigens von den großen Wohlfahrtsverbänden, von den Verbänden der Behinderten(selbst)hilfe und diversen Medien unterstützt wird, einen sehr frischen Eindruck, der eine Aufbruchstimmung vermittelt und sich aus dem statischen Einerlei der anderen NPO-Webseiten im Sozialbereich wohltuend abhebt.

Wie interaktiv sind Webauftritte von Sozialorganisationen – Auswertung unseres Workshops

Im gestrigen Workshop haben wir die folgenden Thesen vertreten:

Usability 1.0 bezieht sich auf das Verhältnis Benutzer- Technik, Usability 2.0 rückt die Beziehungen zwischen Benutzer und der Organisation, die Seiten ins Netz stellt, in den Mittelpunkt.

Der Benutzer will in Dialog treten, die Sozialeinrichtung will Beziehungen aufbauen, um daraus Ressourcen zu schöpfen. Beide Interessen können durch interaktive Webseiten, die Web 2.0-Tools benutzen, befriedigt werden. Insofern schafft Usability 2.0, die Benutzerfreundlichkeit mit Interaktivität gleichsetzt, eine win-win-Situation für beide Seiten.

Die meisten Workshop-Teilnehmer, die ehrenamtlich oder beruflich mit Nonprofit-Organisationen zu tun haben, fanden die Thesen interessant. Sie bieten eine neue Perspektive, weil sich Usability ansonsten eher auf technische/kognitive/visuelle/manuelle Aspekte konzentriert und weniger auf soziale.

Dass Benutzer auf Webseiten den Austausch mit der Organisation und anderen Benutzern suchen und sich häufig auch aktiv einbringen wollen, halte ich m.E. für ein sichhaltiges Argument. Die Netzgeneration, die heranwächst, aber auch die Silversurfer, die sich zwischenzeitlich an das Internet gewöhnt haben und es schätzen lernten, werden den Dialog und die Partizipation auf Webseiten immer stärker einfordern.

Teilnehmer mit Kontakt zu NPOs bemängelten die dortigen langsamen Entscheidungsabläufe, die sich auch negativ auf das Erscheinungsbild der Einrichtungen auswirken: notwendige Maßnahmen, um statische Webseiten auf ein zeitgemäßes Niveau zu bringen, verzögerten sich so enorm. Grundsätzlich waren alle Teilnehmer des Workshops davon überzeugt, dass hinsichtlich der NPO-Webseiten Handlungsbedarf besteht, um sie interaktiver zu gestalten. Aus allen Beiträgen war die Sympathie für NPOs herauszuhören, deren wichtige Rolle für die Gesellschaft durchweg anerkannt wurde.