Warum reden im Fundraising alle immer nur von ‘Spendern’ und nicht von Stakeholdern? Der Begriff des ‘Spenders’ reduziert die Unterstützer von Nonprofit-Organisationen hauptsächlich auf ihre Rolle als Geldgeber und blendet die anderen Potentiale eines Unterstützers aus. Dabei kann ein ‘Spender’ für eine NPO noch so vieles andere sein, zum Beispiel:
- ein dauerhafter Anhänger der guten Sache, dessen Engagement sich nicht auf eine einmalige Spende reduziert
- ein Multiplikator , der bei anderen für ein Hilfsprojekt wirbt
- ein freiwilliger Helfer, der seine Kompetenzen einbringt, offline oder online
- ein Vernetzer , der andere mit einem Hilfsprojekt verbindet
- ein Fundraiser , der über Online- und Offline-Aktionen selbst Mittel für ein Projekt sammelt
- ein Wissenslieferant und Ideengeber , der Informationen in ein Hilfsprojekt einspeist
- ein Kritiker , der die Art und Weise, wie die Hilfe erbracht wird, immer wieder hinterfragt
- ein Betroffener , der schon selbst Erfahrungen mit den angebotenen Hilfeleistungen gesammelt hat
Der Begriff des ‘Spenders’ kann die Komplexität und die Potentiale eines NPO-Unterstützers nicht abbilden. Der Begriff entpuppt sich – eben weil er im Fundraising und auch innerhalb von Nonprofit-Organisationen so dominiert – als funktionalistischer Käfig, der Unterstützer auf eine bestimmte Tätigkeit reduziert, so dass andere Handlungsoptionen eines ‘Spenders’ aus dem Blick geraten. Begriffe legen Rollen und Erwartungen fest und stecken einen Handlungsspielraum ab. Von einem ‘Spender’ erwartet man in erster Linie, das er Geld gibt, – und sich ansonsten aus den Angelegenheiten der Nonprofit-Organisation heraushält. Der Unterstützer als bloßer ‘Geldspender’ kollidiert am wenigsten mit den Autonomievorstellungen einer NPO, die durch Mitgestaltungswünsche herausgefordert wird.
Viel offener als der Begriff des ‘Spenders’ ist der des ‘Stakeholders’. Er sagt aus, dass ein Akteur durch ein Interesse mit einer Nonprofit-Organisation verbunden ist. Welcher Art das Interesse ist und welche Handlung daraus resultiert, – ob jemand Geld geben möchte oder Zeit oder Wissen, oder nur seine kritischen Anmerkungen – bleibt offen. Damit bietet der Begriff das Potential, sämtliche Facetten von Akteuren wahrzunehmen und offen zu sein für die Potentiale derjenigen, die mit einer NPO verbunden sind.
Auch wenn Nonprofit-Organisationen – und hier speziell die traditionelle Fraktion der Wohlfahrtsverbände – Stakeholder am liebsten als ‘Spender’ sehen, so wird doch die Zukunft etwas ganz anderes bringen, nämlich den Stakeholder, der partizipiert , der mitgestalten möchte und der immer häufiger selbst Hilfsaktionen auf die Beine stellt oder ganze Projekte initiiert. Geldspenden bleiben wichtig, aber sie werden nur einen Teil der Aktivitäten ausmachen, die von Seiten der Unterstützer kommen. Der andere wird darin bestehen, dass sich Menschen an den Aufgaben von Nonprofits inhaltlich – und auch praktisch – stärker beteiligen und sie immer häufiger als Initiatoren und Hilfs- und Leistungsanbieter in Erscheinung treten. Christian Kreutz vom crisscrossed-Blog formuliert es treffend: "Donating was yesterday, engaging yourself is next".
Dieser Wille zur Partizipation und zum Selbt-aktiv-werden ist auf diversen Fundraising-, Vernetzungs- und Aktivitätsplattformen wie change.org , betterplace , Helpedia , reset.to , fairdo , Weltretter , Weltbeweger usw. sichtbar. Immer häufiger wird für das Engagement nicht einmal mehr eine NPO als intermediäre Organisation benötigt, weil Hilfesuchende und Unterstützer gemeinsam Netzwerke bilden, in denen direkt zwischen Hilfsanfragen und Hilfsangeboten vermittelt wird. Christian Kreutz zählt hier das Beispiel von Nabuur auf, eine Plattform, die Online-Freiwillige und und Dörfer/lokale Gruppen in Entwicklungsländern zusammenbringt.
Durch die Möglichkeiten des Internets ist kein Unterstützer mehr auf die örtlich vorhandenen NPOs angewiesen. Sondern jeder kann weltweit recherchieren und sich jenes Projekt heraussuchen, das ihn/sie am meisten interessiert. Es ist zu beobachten, dass die Bindungen an eine NPO abnehmen und sich Engagementwillige verstärkt um Themen/Projekte herum gruppieren.
Aus diesem Grund wird es für Nonprofit-Organisationen in Zukunft sehr wichtig werden, dass sie sich nicht nur mit ihren Stakeholdern vernetzen – online und offline – um über eine stabile Unterstützerbasis zu verfügen. Sondern sie Netzwerke mit anderen Nonprofits eingehen, die sich um bestimmte Themen herum bilden. Denn die einzelne Organisation wird in Zukunft nicht mehr so wichtig sein wie das Nonprofit-Netzwerk, in dem sie sich bewegt. Oder anders ausgedrückt: die NPO, die als Einzelkämpferin unterwegs ist, wird es in Zukunft sehr schwer haben. Denn sowohl das Fundraising als auch das Campaigning wird zukünftig immer stärker über Nonprofit-Netzwerke erfolgen, in denen Organisationen ihre Ressourcen bündeln, um im Internet die Aufmerksamkeit erzeugen zu können, die erfolgreiche Kampagnen und eine erfolgreiche Ressourcenakquise benötigen.
Angesichts der Partizipationswünsche von Stakeholdern und ihre wachsende Rolle als (Ko)Produzenten im Nonprofit-Bereich muss das Fundraising der Zukunft ganz anders aussehen als das Fundraising der Vergangenheit. Der Schwerpunkt darf nicht darauf liegen, Geld von möglichst viel Spendern einzusammeln. Sondern der Schwerpunkt muss darin bestehen, stabile Netzwerke mit Unterstützern aufzubauen und deren Ressourcen ganzheitlich in die Nonprofit-Organisation zu integrieren. Dies impliziert die Beteiligung der Stakeholder an der Programmformulierung und Programmumsetzung, -weil das Wissen und die Ideen der Stakeholder nicht außen vor bleiben können.
Das Fundraising der Zukunft muss dialogisch sein, partizipativ und in Netzwerken erfolgen. Ein Fundraising, das in Stakeholdern lediglich ‘Spender’ und nicht Mitgestalter sieht, wird langfristig scheitern.
Die Integration der Stakeholder in Programmabläufe wird sehr aufwändig werden, ist aber machbar, wenn Nonprofits die Ressourcen erkennen und nutzen, die ihre Stakeholder ihnen bieten. Entgegen ihrer subjektiven Ressourceneinschätzung, die von einer Knappheitsideologie geprägt ist, sitzen Nonprofits heute schon "on top of social assets that we often ignore (…) We can no longer afford to do that. We must turn our attention, our resources, and our strategies to social capital. We must uncover the social capital we have, we must use it and nurture it, and we must grow more of it." (Gilbert, s. hier ). Dies setzt Vertrauen voraus, – in die Kompetenzen der Stakeholder und in eine gesellschaftliche Umwelt, die als Chance begriffen wird und nicht als potentielle Bedrohung.
Hallo Brigitte, vielen Dank für den Beitrag, auch wenn ich mich nun fast genötigt sehe meine Diplomarbeit auf den letzten Metern noch einmal zu überarbeiten :-).
Freiwillige sind Spender — so meine These –, Spender sind Stakeholder — so deine These –, das passt anundfürsich ganz gut zu sammen. Es hilft das freiwillige Engagement (in welcher Form auch immer) umfassender zu begreifen. obwohl ich noch nicht so richtig mit dem Begriff “Stakeholder” klar komme. Kann man das nicht “Unterstützer” nennen?
Gruß Hannes
Liebe Frau Dr. Reiser,
ich kann nicht ganz so vorbehaltlos zustimmen und habe zwei Einwände.
Für die kleinen und mittleren Organisationen sehe ich wirklich viele Chancen im digitalen zeitalter Stakeholder zu begeistern und zur Mitwirkung in welcher Form auch immer anzuregen – auch in netzwerken und durch Kooperation. Die großen 200 Spendenorganisationen in Deutschland aber leben von Ihrer Positionierung und Alleinstellung im Spendenmarkt und von Ihrer Präsenz. Sie haben starke Marken aufgebaut und werden darüber auch zukünftig genügend Spender erreichen und überzeugen. Sie werden lediglich die Strategie des Online-Fundraising neu überdenken müssen. Die Stabilität dieser Spender-NPO-Beziehung ist die Emotionalität und Glaubwürdigkeit der Marke und diese wirkt sich auf die Stabilität des Netzwerks der Spender mit der NPO aus. Dies ist auch ein Ergebnis des SwissFundraisingday in Bern im Juni. Die Großen Organisationen gehen weiterhin davon aus, das sie nur das richtige Angebot machen müssen. Das sollte aber von der Organisation und nicht vom Spender bestimmt sein. Das dieser dabei zukünftig mehr gefragt und eingebunden werden muß ist unstrittig, aber ich sehe es nicht so radikal, das die einzelne NPO sich überlebt habt.
Der zweite Einwand betrifft den Begriff des Stakeholders. Ich verwende zunehmend den Begriff Förderer. Erstens ist er deutsch, was bei Förderern gut ankommt und zweitens deckt er 90 % der genannten Eigenschaften der Stakeholder ab (abzüglich Betroffener). Immer daran denken: die über 50- jährigen sind die Hauptföderer in Deutschland und nicht die hippen 18 -24-jährigen. 😉
Viele Grüße aus Dresden
Matthias Daberstiel
Hi Hannes!
Hoffe doch sehr, dass die Diplomarbeit dann auch online zu finden sein wird, oder? 😉
Ein Stakeholder ist nicht automatisch ein Unterstützer einer NPO. Er ist lediglich an ihr interessiert. Aus diesem Interesse können sich Handlungen zugunsten einer NPO entwickeln. Dies führt zu unterschiedlichen Arten von Stakeholdern: jenen, die eng mit einer NPO zusammenarbeiten und jenen, die Beobachter bleiben. Grundsätzlich sind viele Positionen denkbar, die ein Stakeholder auf einer Geraden einnehmen kann, die von ‘wenig involviert’ bis ‘stark involviert’ reicht. Mit dem Grad der Einbindung eines Stakeholders wächst dessen Macht bzw. die Abhängigkeit einer NPO von diesem Akteur.
An dem Begriff ‘Stakeholder’ gefällt mir die Offenheit bzw. seine definitorische Weite. Was von manchen als inhaltliche Unschärfe kritisiert werden mag, erweist sich aus meiner Sicht als Vorteil, weil es den Blick auf Akteure lenkt, die eine NPO von sich aus nicht unbedingt ins Visier nehmen würde, da sie nicht zu den Gruppen gehören, die zu den üblichen NPO-Unterstützern zählen.
@Herr Daberstiel, zu Ihren Einwänden:
1. Tatsächlich denke ich, dass der Kooperation von Nonprofits und damit NPO-Netzwerken die Zukunft gehört. Auch wenn eine Organisation in der Lage sein sollte, selbstständig ihre Aufgabe zu erledigen und Ressourcen einzuwerben, so macht es doch zugunsten der Effektivität und des outcomes Sinn, wenn Wissen, Erfahrung, Ressourcen, örtliche Kontakte usw. von NPOs gebündelt werden. Auch die kritische Öffentlichkeit fragt sich, weshalb NPOs so häufig nebeneinander statt miteinander arbeiten und das Rad so quasi von jeder Organisation neu erfunden werden muss.
2. Nein, die “starke Marke” wird nicht das Merkmal sein, dem die Zukunft im Fundraising gehört, auch wenn es die Szene so einschätzt. Die Zukunft wird der Kooperation gehören, die zwischen einer NPO und ihren Stakeholdern stattfindet. Die Zukunft gehört dem Arbeiten und Denken über Grenzen hinweg, und nicht dem binnenorientierten Blick, der sich auf den ‘Markenaufbau’ konzentriert. NPOs sind keine Unternehmen, – auch wenn sie die Konzepte aus dem Forprofit-Bereich übernehmen.
3. Die Positionierung und Alleinstellung auf dem deutschen Spendenmarkt, die von großen NPOs angestrebt wird, wird schwierig zu halten sein. Da um den deutschen Spendenmarkt kein Zaun entlang läuft, ist es für internationale Organisationen nicht schwierig, über Twitter und über Webseiten, die eine Partizipation der Nutzer bieten, hier ebenfalls Spenden für ihr Anliegen zu sammeln. Wir werden sehen, wer sich dann durchsetzen wird.
4. Sie haben recht: dem Begriff ‘Stakeholder’ haftet der Nachteil an, dass er aus einer anderen Sprache stammt. ‘Förderer’ ist auch kein schlechter Begriff, aber wie oben erwähnt:nicht jeder Stakeholder ist automatisch ein Förderer. Vielleicht ist er sogar ein großer Kritiker, – und dennoch der NPO verbunden.
Einen guten Artikel zum Thema liefert auch Steve Bridger, der britische Social Media und NPO-Experte
http://www.socialbysocial.com/book/what-means-charities
Man muss in der Tat unterscheiden zwischen grossen und kleinen NPOs. Letztere können Communities mit grossem bonding social capital pflegen, wo die Mitglieder (des Netzwerks) noch weitgehend untereinander vernetzt sind. Grosse NPOs haben so viele Mitglieder, dass faktisch nur noch die Einweg-Kommunikation (Broadcast-Modell) möglich ist. Das kann sich dann ändern, wenn man die Mitglieder sich in kleinen Netzwerken organisieren lässt, die dann untereinander bzw. mit der NPO vernetzt sind. Die Entwicklung geht tatsächlich in diese Richtung, somit ist der Beitrag wegweisend, aber gleichzeitig auch scheinbar irreführend. Aber nur scheinbar, weil es nämlich nicht um entweder-oder geht, sondern in Zukunft sowohl das eine als auch das neue Modell nebeneinander existieren werden.
@Peter Metzinger: Tatsächlich besteht die Chance für große Organisationen darin, dass sich ihre Mitglieder in vielen kleineren Netzwerken untereinander verbinden. Schon heute sind große Verbände regional in Landesgruppen/Kreis- und Ortsgruppen organisiert und zusätzlich noch um Themen herum wie Seniorenarbeit, Blutspende usw. Wo diese Netzwerke schon offline existieren, sollt man sie auch zur Grundlage für online-Communities machen.
Unabhängig davon denke ich, dass das Broadcast-Modell es in Zukunft sehr schwer haben wird. Es wird meines Erachtens ganz klar an Bedeutung verlieren.
Der Begriff des Stakeholders ist tatsächlich hochinteressant. Ich selbst wundere mich, wieso hierzulande so wenig gespendet wird und dies auch viel zu selten als wert- und sinnvolles PR-Vehikel genutzt wird. Wir haben heute eine Aktion gestartet, bei der wir für jede bezahlte Rechnung 10 Euro an Horizont e.V. spenden: http://www.brandcreation.de/10E
Wir würden uns freuen, wenn die Idee Schule macht, wobei das Spenden oder Online-Spenden momentan noch eine Differenzierungsmöglichkeit bietet. Vielleicht böte es nicht mehr die Attraktivität für manche Stakeholder, wenn es auch alle Wettbewerber täten. Dennoch kann hier von einer Sättigung noch keine Rede sein. Hoffen wir also, dass auch andere Unternehmen das Spenden für sich entdecken.