Die Förderung des bürgerschaftlichen Engagements ist ein populäres Thema, dem sich Politik, Verwaltung und Nonprofit-Sektor gerne widmen. In diesem Punkt sind sich alle einig, auch jene, die ansonsten unterschiedliche Meinungen vertreten: dass sich die Bürger in unserem Land stärker freiwillig engagieren sollten. Zwar sind schon 23 Mio. Menschen ehrenamtlich aktiv, aber das Potential gilt als noch nicht ausgeschöpft. So jagt eine Initiative die andere, um Bürger zum Mitmachen zu motivieren.
Von staatlicher Seite wurde im Dezember die Initiative ZivilEngagement samt Internetportal lanciert. Der Bundesverband Deutscher Stiftungen folgte mit der Kampagne Geben gibt. Im Mai fand die ARD-Themenwoche ‘Ist doch Ehrensache statt’. Und das Portal ‘Engagiert in Deutschland’ startete im Frühjahr und will zum “Drehkreuz der Engagementförderung” werden.
Alle diese Initiativen sind sehr löblich, aber sie blenden eines aus: die Rolle der Organisationen, in denen das freiwillige Engagement geleistet wird, und deren (Mit)Verantwortung für den Erfolg und die Attraktivität von ehrenamtlichem Engagement. Bestimmt gibt es Fachzirkel, in denen hinterfragt wird, ob die Strukturen von öffentlichen und gemeinnützigen Organisationen der Förderung des bürgerschaftlichen Engagements dienlich sind. Aber in der (digitalen) Öffentlichkeit sind diese Diskussionen nicht präsent. Hier schiebt man die Verantwortung für die Stärke (oder Schwäche) des freiwilligen Engagements ganz den Bürgern zu. Und alle Initiativen dienen dem Ziel, den Bürger aus seiner vermeintlichen Passivität zu locken.
Was aber, wenn die Bürger eigentlich gar nicht passiv sind, sondern sie sich nur nicht in festgefügte Organisationsstrukturen einordnen wollen, in denen eine inhaltliche Mitgestaltung sehr schnell an die Grenzen stoßen, die Professionen und Hierarchien setzen? Im Web 2.0 ist zu sehen, wie engagiert Menschen sein können, wenn sie das Gefühl haben, dass ihre Ideen auf Akzeptanz stoßen und sie als Partner auf Augenhöhe wahrgenommen werden. Unzählige arbeiten hier unentgeltlich an der Entwicklung neuer Software, schreiben Wikipedia-Artikel, betätigen sich als Fundraiser für eine gute Sache und starten Projekte für eine bessere Welt.
Die Aktivität oder Passivität von Bürgern kann nicht ausschließlich als ein persönliches Merkmal angesehen werden, das durch eine gezielte Öffentlichkeitsarbeit beeinflussbar ist, so wie es die oben erwähnten Initiativen sich erhoffen. Die Aktivität oder Passivität ist auch das Ergebnis des Umgangs zwischen Organisationen und Bürgern. Organisationsstrukturen und -programme formen die Bürger mit oder – wie es in der Policy Feedback Theorie heißt – “policies help make citizens” (Campbell 2003).
Strukturen und Programme können die Partizipation der Bürger fördern – oder auch nicht. Sie können Bürgern neue Kompetenzen vermitteln und sie stark machen, sie können Vernetzung und Integration fördern – oder das Gegenteil bewirken. Vermeintlich neutrale Organisationsstrukturen und -programme sind also nicht neutral, sondern sie drücken genau das aus, was denjenigen, die sie geschaffen haben, wichtig ist und was ihnen – unabhängig von ihren Statements – weniger wichtig ist.
Wenn Nonprofit-Organisationen und öffentliche Träger das bürgerschaftliche Engagement fördern möchten, dann müssen sie folglich genau überprüfen, wie engagementfreundlich die eigene Organisation eigentlich ist. Und damit nicht genug: es müsste zum Standard werden, dass bei der Formulierung von Programmen, ihrer Umsetzung und Evaluation die zivilgesellschaftlichen Folgen immer mitbedacht werden.
Während sich die Programmevaluation von Nonprofits heutzutage auf Fragen der Effizienz und Effektivität konzentriert, müssten zivilgesellschaftliche Aspekte, die “citizenship outcomes” (Wichowsky/Moynihan 2008), stärker berücksichtigt werden. Dies würde die Anbindung von Nonprofit-Organisationen an die Gesellschaft verbessern und ihre Legitimation erhöhen.
Nur durch eine solche Selbstüberprüfung, die ständig hinterfragt, welche Folgen das Handeln der eigenen Organisation für die Zivilgesellschaft hat, – und hier ist die Frage nach den Folgen für das bürgerschaftliche Engagement mit eingeschlossen, werden Nonprofit-Organisationen zu attraktiven Partnern der Bürger. Wo diese Selbstreflexion eines Trägers der Bürgergesellschaft gegenüber nicht gegeben ist, verzichtet manch einer lieber auf das ehrenamtliche Engagement und wendet sich organisationsunabhängigen Projekten zu, die im Internet leicht zu verwirklichen sind.
Mein Bloggerkollege Hannes Jähnert fragt in der 8. Runde der NPO-Blogparade, wie mehr Menschen zur Partizipation über das Internet bewegt werden können. Ich habe versucht darzulegen, dass Partizipation, gleichgültig ob online oder offline, partizipations- und dialogfreundliche Strukturen und Programme bei den Organisationen voraussetzt, die sich mehr Bürgerbeteiligung wünschen. Die Responsivität von Organisationen ist keine nachrangige Frage, sondern eine, an der sich zeigt, “what citizenship means in practice” (Soss, zit. nach Wichowsky/Moynihan 2009).
1. Die angesprochenen Initiativen/Projekte arbeiten meiner Meinung nach sehr wohl direkt mit Organisationen zusammen, in denen Engagement stattfindet. Der sog. Dritte Sektor ist gut über Organisationsstrukturen miteinander vernetzt und betreibt Engagementförderung direkt mit den aktiven Engagierten. Vielleicht ist das Problem eher, dass es für die von Ihnen angesprochene digitale Öffentlichkeit keine Organisation gibt und somit eine Vernetzung mit dem Dritten Sektor nicht stattfindet?
2. Die These, dass Bürger sich nicht in festgefügte Organisationsstrukturen einordnen wollen, stimmt so nur bedingt. Der Freiwilligensurvey zeigt, dass der größte Teil des Engagements in Vereinstrukturen stattfindet. Zwar steigt das projektbezogene Engagement, allerdings oft weiterhin in Vereinen/Strukturen. Hier sind die Netzaktiven vielleicht eine Ausnahhme?
3. Zur ARD-Themenwoche: sie hat gezeigt, dass bürgerschaftliches Engagement in den Medien nicht “sexy” ist – sowohl das “Gutmenschentum” als auch Fachdiskussionen. Wie also die Öffentlichkeit erreichen wenn nicht über Initiativen und Programme bzw. über Organisationsstrukturen.
4. Generell zur Förderung des bürgerschaftlichen Engagements (BE): eine direkte Förderung ist oft nicht hilfreich, da es sich hier um einen “staatsfernen” Bereich handelt. Vielmehr geht es um die Stärkung der “Rahmenbedingungen”.
Weiterhin: Der Hinweis, dass bei der Projektplanung/Formulierung von Programmen die zivilgesellschaftlichen Folgen mitbedacht werden müssen, ist wichtig. Hier braucht der Dritte Sektor mehr Struktur und systematische Annäherung an ein Thema.
Vielen Dank für Ihren Kommentar! Ich freue mich immer über Feedback!
Mein Anliegen ist folgendes: als engagierte Bürgerin/Bloggerin und Zeitungsleserin, die viel im Internet unterwegs ist, fällt mir auf, dass nirgendwo in der Öffentlichkeit eine selbstkritische, konstruktive Diskussion geführt wird über die Stärken und Schwächen von Nonprofit-Organisationen.
Dabei ist das Fehlen dieser Diskussion für jemanden, der außerhalb des engagementpolitischen Systems steht, ganz augenfällig. Aus Ihrer Binnenperspektive mag das anders aussehen, aber entscheidend ist, wie die ganzen Programme und Diskussionen zur Förderung des Bürgerengagements nach außen hin wirken.
Ich bin der festen Überzeugung, dass eine Diskussion, die sich nur auf die Seite des Bürgers bezieht und die Rolle von NPOs für den Erfolg des bürgerschaftlichen Engagements ausblendet, in die Sackgasse führt.
Um eine solche offene Diskussion – auch im Internet – zu führen, braucht es keine neue Organisation, wie Sie es unter Pkt. 1 erwähnen. Man kann diese Diskussion durchaus mit den vorhandenen Mitteln führen. Wenn NPOs offener mit ihrer eigenen Rolle umgehen würden, könnte auf den NPO-Webseiten selbst eine solche Diskussion mit den Lesern stattfinden. Neue Plattformen könnten der Selbstreflexion des Dritten Sektors dienen, eine Diskussion könnte auch über Blogs geführt werden.
Ich denke, die Responsivität von Organisationen wird in Zukunft eine immer wichtigere Rolle spielen. Wer sich dem selbstkritischen Dialog verweigert, wird es als NPO immer schwerer haben, Unterstützer und Spender zu gewinnen.
Während der sehr interessante Text von Frau Reiser die Art und Problematik der Erstkontakte von Ehrenamtlichen zu bzw. deren erste Schritte in caritativen Organisationen von der theoretisch-wissenschaftlichen Seite beleuchtet, habe ich dies in meinem neuen Blog muenga.wordpress.com von der praktischen, von der Erfahrungsseite aus getan. Die beschriebenen Beispiele belegen, dass vom kleinen Verein bis zur bundesweiten Einrichtung noch viele Defizite bestehen, und deshalb die Forderungen von Frau Reiser nicht oft und laut genug erhoben werden können.