Alle Artikel von Brigitte Reiser

Nutzer-Partizipation in Nonprofits – neue Daten aus der Forschung

Welche Konsultations- und Partizipationsformen bieten gemeinnützige Organisationen ihren Nutzern an? Welchen Einfluss haben Nutzer auf  Entscheidungen von Nonprofits? Wie groß ist der Impact von Nutzern verglichen mit anderen Stakeholder-Gruppen, die für gemeinnützige Organisationen wichtig sind?

Diese Fragen untersucht die Studie von Lore Wellens /Marc Jegers, die im Frühjahr 2016 in der Zeitschrift Nonprofit Management & Leadership (Bd. 26, Heft 3, S. 295-312). veröffentlicht wurde . Die Forscher haben dafür die Antworten der Geschäftsführer/innen von 790 großen belgischen Nonprofit-Organisationen aus 14 Fachbereichen ausgewertet.

Der Studie zufolge bieten die meisten gemeinnützigen Organisationen ihren Nutzern Verfahren an, um deren Beschwerden oder Zufriedenheit abzufragen, nämlich 75% der Einrichtungen bzw. 67% (S. 300). Bedeutend weniger sehen einen Nutzerbeirat vor (31%) oder einen Sitz für einen Nutzer-Vertreter im Vorstand (22%). Wobei NPOs aus dem Gesundheits- und Sozialbereich führend sind, wenn es um Nutzer-Beiräte geht. 42% der Einrichtungen haben einen solchen Beirat, der allerdings auch immer häufiger vom Gesetzgeber vorgeschrieben wird.  Insgesamt gibt es viele gemeinnützige Einrichtungen (35%), die zwar keine formalen Verfahren anbieten, um Nutzer an ihrer Strategie- und Politikformulierung zu beteiligen, dafür aber informelle Beteiligungsmöglichkeiten. Generell wählen Nonprofits Verfahren mit geringem Personal- und Zeitaufwand, also eher Fragebögen als Beiräte (S. 299).

Trotz unterschiedlicher Konsultations- und Partizipationsverfahren schätzen die befragten Nonprofit-Geschäftsführer/innen den Impact der Nutzer auf die Entscheidungen einer NPO als geringer ein als den anderer wichtiger Stakeholdergruppen (S. 302):  51% der Befragten halten den Nutzer-Impact für wichtig/sehr wichtig/entscheidend.  Aber als noch viel wichtiger werden der Staat  (80%), der Vorstand (86%) und das Management (97%) wahrgenommen. Nur 7,3 % der Befragten sehen einen Impact von freiwillig Engagierten auf die Politikformulierung, ein interessantes Detail, das inhaltlich zu einem der letzten Artikel hier im Blog passt.

Die Autoren schließen aus diesem Ergebnis, dass es sich bei vielen der angebotenen Verfahren für die Nutzer-Partizipation und -Konsultation um symbolische Politik handelt, streng genommen sogar um eine “Zeit- und Geldverschwendung” (S. 308) seitens der Organisation und der Nutzer, wenn man allein den Impact der Verfahren im Auge hat.  Für die Autoren ist einer der Ansatzpunkte, um den Einfluss der Nutzer auf die Entscheidungen der Organisation zu erhöhen, die Qualität der Partizipations- und Konsultationsverfahren zu verbessern, um die es ihnen zufolge in Nonprofits nicht gut bestellt ist: “(…) the formal mechanisms in place are not perceived to be of good quality.” (Wellens/Jegers 2016, 302).

Gute Prinzipien für das Freiwilligenmanagement

Das Freiwilligenmanagement in gemeinnützigen Organisationen wird häufig an den Erkenntnissen ausgerichtet, die im betriebswirtschaftlichen Personalmanagement gesammelt wurden. Die Managementaufgaben im Umgang mit den Freiwilligen werden in die folgenden Phasen eingeteilt: Planung, Rekrutierung, Orientierung und Training, Supervision und Monitoring, Anerkennung, Verabschiedung/Trennung. Die Freiwilligentätigkeit wird in der Organisation so gehandhabt wie eine ganz gewöhnliche  betriebliche Beschäftigung.

Dieses “Arbeitsplatzmodell” des Freiwilligenmanagements wird dem Umstand nicht gerecht, dass es häufig in den Institutionen keine ganz klar abgegrenzten Aufgaben für einen Freiwilligen gibt, sondern diese in der Praxis ausgehandelt werden zwischen dem Freiwilligen, den bezahlten Mitarbeitern, der Führungsebene und anderen Stakeholdern der Organisation. Die Freiwilligen sind hier eher “Co-Worker” der professionellen Mitarbeiter als “Dienstleister” (Rochester 1999). In diesem Fall muss auch das Freiwilligenmanagement den Aushandlungsprozessen zwischen Freiwilligen und Mitarbeitern Rechnung tragen.

Sibylle Studer hat die Komponenten bzw. Prinzipien eines interaktionalen Freiwilligenmanagements in einem wissenschaftlichen Aufsatz  (2015) zusammengetragen. Sie hat dafür die relevante Fachliteratur und 399 ausgefüllte Fragebögen von Freiwilligenmanagern aus schweizerischen Nonprofit-Organisationen ausgewertet.  Was ist wichtig, um im Rahmen des Freiwilligenmanagements Aushandlungsprozesse zwischen Freiwilligen und Mitarbeitern, Freiwilligen und der Führungseben der Organisation und den Stakeholdern einer Einrichtung erfolgreich zu steuern?

  • Unterschiedliche Interessen und Werte müssen ausbalanciert werden
  • Für den Einsatz und die Wertschätzung von Freiwilligen ist in der Organisation Überzeugungsarbeit zu leisten
  • Freiwillige brauchen Partizipations – und Mitbestimmungsmöglichkeiten
  • Strategisches Commitment, d.h. die Führung der Organisation muss den Einsatz von Freiwilligen befürworten, diesen fördern und in die dafür zuständigen Organisationsstrukturen investieren
  • Koordination und Austausch in Freiwilligen-Angelegenheiten über Organisationsgrenzen hinweg
  • Rollenklarheit bei Freiwilligen und bezahlten Mitarbeitern schaffen
  • Den Teamgeist in der Organisation stärken
  • Respekt und Wertschätzung der Freiwilligen fördern

(Studer 2015, S. 10 und 11). Diese Prinzipien beeinflussen die Ergebnisse des Freiwilligenmanagements laut Studer positiv. Wobei hier die Ergebnisse “Rekrutierung” und “Erhalt” von Freiwilligen im Mittelpunkt der Betrachtung stehen. Lediglich die Komponenten “Partizipation und Mitbestimmung” bleiben ohne positive Korrelation mit dem outcome des Freiwilligenmanagements, – ein Ergebnis, das Studer verwundert (ebd., S. 17). Ihr zufolge könnte eine mögliche Erklärung dafür sein, dass Freiwillige, die mitgestalten wollen, gemeinsam mit anderen Freiwilligen ihre eigenen Projekte organisieren und nicht mehr beim klassischen Ehrenamt in Organisationen mitmachen (ebd.).  Schaut man sich die Ergebnisse des Deutschen Freiwilligensurveys 2014 an, dann sieht man tatsächlich, dass der Anteil derjenigen steigt, die in selbstorganisierten Gruppen aktiv sind, und der Anteil jener sinkt, die sich in formalen Organisationen  engagieren (Freiwilligensurvey 2014, S. 522). Gleichzeitig ist im Freiwilligensurvey aber zu lesen, dass die Mehrheit der Freiwilligen ihre Mitsprachemöglichkeiten in Organisationen als gut oder sehr gut bewerten, – wobei die Älteren die Dinge positiver sehen als die Jüngeren (Freiwilligensurvey 2014, S. 526).

Laut Studer eignen sich die obigen Prinzipien sehr gut, um organisationsintern das eigene Freiwilligenmanagement auf den Prüfstand zu stellen und zu schauen, inwieweit es den Prinzipien des interaktionalen Freiwilligenmanagements gerecht wird.

Studer hat ihre Forschungsergebnisse gemeinsam mit Schnurbein in einer deutschsprachigen Studie zusammengefasst, die Umsetzungshilfen und Checklisten für Nonprofits enthält:
Studer, S./ von Schnurbein, G.: Integrierte Freiwilligenkoordination, CEPS Forschung und Praxis Bd. 9, Basel: CEPS, 2013.

Ein Manko der  ganzen Untersuchung ist, dass die Komponenten für ein interaktionales Freiwilligenmanagement nur aus Organisations- und Wissenschaftsperspektive zusammengestellt wurden. Die Freiwilligen selbst wurden nicht befragt.

Netzwerke – Stärken und Schwächen

Auf lokaler Ebene bilden sich immer häufiger Netzwerke. Der Grund dafür sind knappe Budgets im öffentlichen und gemeinnützigen Bereich, komplexe Probleme, die De-Institutionalisierung sozialer Hilfen und eine zunehmende Sozialraumorientierung. Organisationen und Bürger schließen sich deshalb in immer mehr Fachbereichen zu Netzwerken zusammen. Auch das Bürgerengagement selbst findet zunehmend in Form von Netzwerken statt, ein gutes Beispiel sind hier die  Flüchtlingsfreundeskreise Stuttgart. Bürgerinnen und Bürger bilden auch über das Internet Aktions- und Hilfsnetzwerke, siehe die “refugees welcome”-Initiativen.

Netzwerke sind durch Freiwilligkeit und Kooperation gekennzeichnet. Die Bildung eines Netzwerks macht dann Sinn, wenn Ziele nicht alleine, sondern nur in Kooperation mit anderen umgesetzt werden können. Gerade im bürgerschaftlichen Bereich sind Netzwerke häufig nur gering formalisiert, d.h. es gibt hier keinen festen institutionellen Rahmen, keine offiziellen prozeduralen Regeln, keine hauptamtliche Steuerung, kein ausgearbeitetes Leitbild. – vielleicht nur einen informellen Code of Conduct. Welches sind die Stärken und Schwächen von Netzwerken?

Die Stärken von Netzwerken

  • sie bieten den Teilnehmern durch das Poolen und Teilen von Ressourcen (wie: Wissen, Kompetenzen, Räume, Kontakte, Gelder, Mitarbeiter usw.) neue Handlungschancen, um komplexe Probleme zu bewältigen
  • sie sparen durch Wissens- und Erfahrungsaustausch Entwicklungs- und Umsetzungskosten ein
  • sie bieten wegen der geringen Formalisierung Flexibilität und kurze Reaktionszeiten
  • sie ermöglichen einen Umgang auf Augenhöhe
  • sie fördern konsensuale Entscheidungen unter den Teilnehmern
  • sie fördern den inhaltlichen  Austausch über  Fach-, Sektoren- und Raumgrenzen hinweg
  • sie schaffen die Basis für gemeinsames Lernen durch horizontalen Wissenstransfer und damit gute Voraussetzungen für Innovation
  • Bürger und Organisationen, aber auch Themen, werden durch Netzwerke sichtbarer
  • Netzwerke können die Reputation ihrer Teilnehmer stärken

Die Auflistung ist sicher nicht vollständig, – je weiter man in die Netzwerkpraxis vordringt, desto mehr Netzwerk-Stärken werden sichtbar. Aber es gibt aufgrund der geringen Formalisierung auch Netzwerk-Schwächen und kritische Fragen nach ihrer Verbindlichkeit, Nachhaltigkeit und demokratischen Legitimation nach außen und innen.

Die Schwächen von Netzwerken

  • Verbindlichkeit – wie ernst kann man Netzwerk-Zusagen nehmen?
  • Nachhaltigkeit – wie lange wird das Netzwerk leben?
  • Demokratie im Innern – wie werden im Netzwerk Entscheidungen gefällt?
  • Repräsentation nach außen – wie demokratisch legitimiert ist die Vertretung nach außen?
  • Legitimität des Netzwerks als Ganzes – wer ermächtigt das Netzwerk, für ein Politikfeld zu sprechen?
  • Haftung – wer haftet für Entscheidungen des Netzwerks?
  • Transparenz – wie werden Mittel verwaltet?
  • Zielverschiebungen – wenn offizielle Leitbilder fehlen, wie kann dann eine Entwicklung in unzivile Richtungen verhindert werden?

Trotz ihrer Schwächen sind Netzwerke lokal auf dem Vormarsch. Viele engagierte Bürgerinnen und Bürger – mich eingeschlossen – schätzen sie wegen ihrer Flexibilität und weil sie das  unkomplizierte, effektive Arbeiten über Organisations- und Fachgrenzen hinweg ermöglichen.

Für öffentliche Förderinstitutionen und private Stiftungen stellt sich die Frage, wie mit Bürgernetzwerken umzugehen ist, die quer zu Bürokratie und Vergaberecht liegen.  Häufig können bürgerschaftliche Engagement-Netzwerke sich nicht um öffentliche Fördermittel bewerben, sondern nur Organisationen, die als gemeinnützig eingetragen sind, zum Teil auch nur Organisationen aus dem wohlfahrtsverbandlichen Bereich. Um dem Bürgerengagement in Netzwerkform Rechnung zu tragen, sollten inhaltliche Förder-Leitlinien ausgearbeitet werden, die Netzwerke in ihren Stärken stabilisieren und ihren Schwächen begegnen. Wie weit sind die öffentliche Hand und Stiftungen hier schon mit der Entwicklung zukunftsweisender Konzepte? Über Literatur und Hinweise freue ich mich.