Der Nonprofit-Sektor benötigt einen Paradigmenwandel: weg von der Binnenorientierung und der Konzentration auf leistungsorientierte Ziele hin zu einer stärkeren Betonung der demokratischen Funktion von gemeinnützigen Organisationen. Nonprofits dürfen sich nicht nur als Dienstleister verstehen. Dies ist nur eine Facette ihrer Identität. Eine andere besteht darin, dass
- gemeinnützige Organisationen den Bürgern wichtige Partizipationsräume und -möglichkeiten bieten können
- sie Zugang zu benachteiligten Gruppen haben, denen sie mehr Mitwirkungsmöglichkeiten verschaffen können
- es die Aufgabe von Nonprofits ist, Missstände in unserer Gesellschaft und die Grenzen öffentlicher Programme anzusprechen und soziale Bewegungen zu initiieren, die sich dem Wandel verpflichtet fühlen.
Es geht darum, dass Nonprofits ihre politische Rolle und Verantwortung als Akteure der Zivilgesellschaft deutlicher sehen. Sie dürfen sich nicht allein auf ihre Dienstleistungen beschränken, denn diese werden immer häufiger auch vom Forprofit-Sektor angeboten. Das Besondere, das gemeinnützige Organisationen aus der Masse der Anbieter heraushebt, ist ihr zivilgesellschaftlicher Auftrag, der auch darin besteht, demokratische Strukturen und Prozesse zu fördern.
Die zentrale Voraussetzung für mehr demokratisches Engagement seitens gemeinnütziger Organisationen und in Nonprofit-Einrichtungen selbst ist die Vernetzung mit der Bürgergesellschaft, dem eigenen Stadtquartier, dem Gemeinwesen.
Und hier haben Nonprofits ihre Defizite, weil nicht jeder gemeinnützige Träger bereit ist, sich auf die Zusammenarbeit mit Bürgern und anderen Einrichtungen im Stadtteil einzulassen. In vielen gemeinnützigen Organisationen konzentriert man sich auf die eigene Community und dreht sich in gewisser Weise um sich selbst, anstatt sich neue Handlungsräume gemeinsam mit anderen Partnern zu erschließen.
Ohne eine breite Vernetzung mit den Bürgern und ohne die Schaffung von Mitwirkungsmöglichkeiten für Interessierte in den eigenen Einrichtungen können Nonprofits nicht (glaubwürdig) für mehr Demokratie und eine stärkere Einbindung von Bürgern, insbesondere von benachteiligten Gruppen, eintreten.
Mit mehr Beteiligungsmöglichkeiten in Nonprofits meine ich nicht, dass man als Bürger den Kuchen fürs Sommerfest und die Bastelarbeit für den Bazar mitbringen darf. Mit mehr Beteiligungsmöglichkeiten meine ich, dass Bürger und gemeinnützige Organisationen gemeinsam – und unter Mitwirkung anderer Partner wie den Kommunen, der örtlichen Wirtschaft – den Bedarf und die Umsetzung sozialer Dienstleistungen besprechen und planen.
Gemeinnützige Organisationen könnten aufgrund ihrer vereinsrechtlichen Strukturen und ihrer profitunabhängigen Mission zu ‘Schulen der Demokratie’ werden und zu Katalysatoren für mehr Mitsprache auch in anderen Bereichen der Gesellschaft.
Nonprofits haben sich jedoch in der Vergangenheit zu sehr auf innerorganisatorische und betriebswirtschaftliche Ziele konzentriert, so dass ihnen ihre zivilgesellschaftlichen Ziele aus dem Blick gerieten. Wirtschaftlichkeit ist wichtig, aber dieses Ziel eignet sich nicht zur normativen Steuerung des Nonprofit-Sektors. Gemeinnützige Organisationen sind in ein Korsett aus Regelungen seitens der öffentlichen Leistungsträger geschnürt. Aber auch diese Regelungen lassen Ermessensspielräume zu. Und falls sie diese Spielräume nicht mehr bieten, dann wird es Zeit, dass Nonprofits sich wehren. Hierfür braucht man Verbündete, – die Bürger könnten diese Verbündeten sein, wenn man sich stärker mit ihnen vernetzte.
Nonprofits müssen damit beginnen, einen demokratischen Diskurs ( vgl. Eikenberry 2009) als Gegengewicht zur Vermarktlichung des Sektors zu führen. Ich bin überzeugt, dass die Zukunft von Nonprofits in ihrer Rolle als zivilgesellschaftliche Akteure liegt, die Partizipationsmöglichkeiten bieten und einfordern, – und nicht in ihrer Rolle als Dienstleister.
Hallo Brigitte, das eine stärkere politische Ausrichtung von NPOs sinnvoller und zukunftsträchtiger ist als die aktuelle wirtschaftliche Denke, sehe ich ebenso. Wenn ich aber sehe, dass sich Soziale Arbeit immer mehr an wirtschaftlichen Prämissen ausrichten muss um sich gegen andere Professionen abgrenzen zu können (Lutz 2008, Perspektiven der Sozialen Arbeit, in APuZ), frage ich mich, wo der Anreiz dazu herkommen kann.
Polemisch könnte man sagen: Es geht doch! Wir verdienen Geld indem wir konkrete Aufträge aus Politik und Wirtschaft erfüllen – alles was darüber hinaus geht ist unbezahlte Mehrarbeit.
Gruß
Hannes
Ja, ich kann allen Punkten zustimmen, allerdings habe ich ähnliche Befürchtungen wie Hannes Jähnert. Warum sollten das NPOs machen, wo sie doch schon mit ihren jetzigen Tätigkeiten oft überfordert sind und an der Kapazitätsgrenzen angelangt sind? Partizipative Ansätze sind da ja nicht nur einfach ein neuer Bereich, der dazu kommt, sondern da spielen ja plötzlich Dinge mit rein, die bis jetzt gar keine Rolle gespielt haben.
Wenn ich nicht wüsste, dass das eine Illusion ist, würde ich sagen, es ist eigentlich die Aufgabe der Politik, die Verantwortung für unsere Zivilgesellschaft zu übernehmen. So wird daraus ein Gegeneinander und das ist im Grunde genommen auch nicht gut.
Hallo Birgit,
ein guter Artikel und starke Forderungen, allerdings gebe ich zu bedenken, dass jede Organisation mit einem bestimmten Vereinszweck gegründet wurde, eben um die “Verantwortung als Akteure der Zivilgesellschaft ” bestmöglich zu übernehmen. Sollte das Schaffen von Partizipationsräumen für Bürger diesen originären Vereinszweck (Bekämpfung von Armut, Bekämpfung von Krebs etc etc) also nicht deutlich befördern und somit für die Organisation eh eine wünschenswerte Strategie sein, kommt es auch m. E. zu einer Überforderung und einer Verzettelung in den NPOs…
Danke für Eure Kommentare!
@Hannes @Christian, die stärkere Vernetzung mit der Bürgerschaft, die Schaffung von Räumen für Partizipation und die mögliche Koproduktion sozialer Dienstleistungen bieten der Sozialen Arbeit neue Profilierungschancen (und damit eine Aufwertung): der Sozialarbeiter wird immer stärker zum ‘enabler’, der Bürger dabei unterstützt, ihre Angelegenheiten selbst in die Hand zu nehmen.
Für mich liegt die Zukunft der Sozialen Arbeit nicht in ihrer Verbetriebswirtschaftlichung, sondern in ihrer Fähigkeit, Menschen untereinander zu vernetzen und Kooperations- bzw. Austauschprozesse anzustoßen.
Tatsächlich sollte jemand diese Tätigkeit bezahlen, – in Form von Mehrarbeit ist diese “Umprofessionalisierung” (Dörner 2008) nicht machbar. Und hier kommt der Staat ins Spiel: die Leistungsverträge mit dem Dritten Sektor müssten so ausgestaltet werden, dass diese zivilgesellschaftlichen Aufgaben von Nonprofits bzw. die “citizenship outcomes” sozialer Programme eine stärkere Berücksichtigung finden (s. meinen Blogbeitrag zum Thema http://tinyurl.com/osvxgp) . Da der Staat an der Weiterentwicklung der Bürgergesellschaft interessiert ist – zumindest liest man dies in den Veröffentlichungen von Politik und Verwaltung – müsste diese Idee eigentlich überall auf Zustimmung stoßen.
@Christian, die Verantwortung der Politik für die Zivilgesellschaft existiert insoweit, als dass die Politik mitbauen sollte an einer Infrastruktur, die die Zivilgesellschaft fördert. Andere Länder wie Großbritannien und die USA betreiben eine solche Politik ganz offensiv. Ihr Ziel ist, wie es in britischen Publikationen immer so schön heißt, “a strong and vibrant Third Sector”, “a thriving civil society”.
@Thilo, die Partizipationsräume, von denen ich spreche, sind immer im Zusammenhang mit der Aufgabe bzw. dem Vereinszweck der NPO zu sehen, der letztere aber so weit ausgelegt, dass er die Grenzen einer Einrichtung und ihrer Community überschreitet und auch das Stadtviertel, die ganze Gemeinde in den Blick nimmt. Aus dem Blickwinkel “Wir versorgen pflegebedürfitge Menschen” wird dann die Perspektive “Wie können wir gemeinsam mit anderen die Situation pflegebedürftiger Menschen in unserem Stadtteil verbessern? Wie können wir Bürger einbinden, um unsere Aufgabe besser zu erfüllen?”.
Das Problem mit der Partizipation ist, dass sie die Abläufe verkompliziert, sehr viel Zeit kostet und ihre Ergebnisse nicht voraussehbar sind (wenn es sich um echte bottom-up-Prozesse handelt). Insofern ist die Forderung nach mehr Partizipation für Nonprofits eine große Herausforderung und nicht unbedingt “eine wünschenswerte Strategie”, wie Du es formulierst. Aber ohne mehr Partizipation wird es eben langfristig auch nicht gehen und zwar deshalb nicht, weil es für NPOs immer wichtiger wird, soziales Kapital aufzubauen, das Ressourcen birgt. Und das Nonprofits dabei hilft, sich gegenüber dem Forprofit-Sektor und anderer Konkurrenz abzugrenzen.
Ein Artikel, der die aktuellen Anforderungen auf den Punkt bringt. Zum einen erscheinen immer mehr NPOs mit First-Class-Kommunikationsstrategien auf dem Markt, die um den Spendeneuro werben, was zum anderen sind immer mehr NPOs verunsichert.
Das die Verantwortung für soziale Arbeit nicht ausschließlich in der Politik liegt, finde ich selbstverständlich. Demokratie heisst nicht nur Absicherung, sondern auch die Möglichkeit zur Entwicklung neuer Projekte mit dem “Risiko” zur Selbstverantwortung.
Als Fundraiserin, an die aus den Organisationen die Anforderung (mit allen Facetten der Vermeidungshaltungen) gestellt wird: “Besorg das Geld und frag nicht” zweigt sich dieser Paradigmenwechsel sehr deutlich. Fundraising ist nicht nur als Mittelbeschaffung zu verstehen, sondern auch als in dem Artikel angesprochener Organisationsentwicklung zum Paradigmenwechsel. Nachhaltiges Fundraising ist Teil einer Organisationsentwicklung und Kommunikationsstrategie. Letztendlich geht es genau darum: “Für mich liegt die Zukunft der Sozialen Arbeit nicht in ihrer Verbetriebswirtschaftlichung, sondern in ihrer Fähigkeit, Menschen untereinander zu vernetzen und Kooperations- bzw. Austauschprozesse anzustoßen.”
Es gibt nicht “die Spender” als Datensatz in der Spenderdatenbank, sondern “die Spender” als Teil der Organisation. Die eigene Organisation für diese Möglichkeit zu öffnen und teilhaben zu lassen, das ist ein Weg zum Erfolg einer NPO.
@Alexa Gröner: das sehe ich so ähnlich: die Aufteilung in die verschiedenen Bereich Fundraising, PR, etc. wird immer obsoleter. Und was ganz interessant zu beobachten ist: die einzelne Person, die in der Lage ist, sich in Netzwerken zu bewegen und zu kommunizieren, wird immer wichtiger.
Das sieht man sehr deutlich im Bereich Social Media: mittlerweile haben viele Organisationen ein Blog, eine Facebookseite und twittern. Aber wenn dann niemand da ist, der in der Lage ist, diese Kanäle mit Leben zu füllen, dann bringt das alles sehr wenig.
Vielleich ist es der Tatsache zuzuschreiben, dass ich hier in den neuen Bundesländern (Thüringen) Soziale Arbeit studiert habe. Die “gGmbHisierung” treibt hier — meiner Ansicht nach — bunte Blüten. Aller Ortens richten größere Vereine, die eigentlich einen sehr speziellen Zweck haben, gGmbHs ein, die die Satzung je nach Bedarf umschiffen, öffentliche Gelder “abgreifen” und wegen ihrer mehr wirtschaftlichen Ausrichtung kaum freiwilliges Engagement aufnehmen können.
Auch die Caritas gehört ohne Zweifel zu den NPOs, die in vielen Arbeitsfeldern immer mehr darauf achten muss, diese finanziell abzusichern. Doch der Verband ist eben nicht nur Dienstleister. Er sieht sich auch als Partner derer, die in der Gesellschaft gerne weggeschoben werden.
Die Befähigungsinitiative der vergangenen drei Jahre zielte darauf ab, diese Menschen fit zu machen, dass sie ein selbstbestimmtes Leben führen können und ihre Interessen in der Gesellschaft einbringen können. Die Weiterführung ist die Teilhabeinitiative, die die Caritas in diesem Jahr gestartet hat. Ziel ist hier, dass “alle Menschen gleichberechtigt die Chance haben, ihr eigenes Leben und das einer offenen Bürgergesellschaft mit zu gestalten”. Dabei ist klar, dass noch viele rechtliche, soziale, kulturelle und wirtschaftliche Barrieren abgebaut werden müssen, damit dies gelingt. Mehr Infos dazu gibts unter http://www.teilhabeinitiative.de.