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Wie verändert das Internet die Beziehungen zwischen NPOs und ihren Spendern?

Inspiriert von einem großartigen Beitrag vom britischen NCVO Third Sector Foresight über “charitable giving and fundraising in a digital world” möchte ich heute im Anschluss an meine Beiträge über Online Spenden-Plattformen das Verhältnis Spender-NPO nochmals genauer analysieren. Wie verändert das neue Mitmach-Netz diese Beziehung?

Das Web2.0 verändert die Machtverhältnisse zwischen Spendern und NPO. Während in der Vergangenheit die Kontrolle über die Botschaft, die Projekt-Informationen, die Projektgestaltung in der Hand der NPOs lagen und Spender zwar Geld geben, aber nicht partizipieren konnten, verschiebt das Internet die Machtbeziehungen zugunsten der Spender. Letztere entscheiden im Rahmen von Spenden-Plattformen immer differenzierter, wem sie ihr Geld geben und welchen Mehrwert (in Form von Informationen, persönlicher Ansprache, Mitwirkungsmöglichkeiten) sie dafür für sich persönlich erwarten. Immer mehr Spender werben auf ihren eigenen Webseiten oder in ihrem Netzwerk für eine NPO/ein Projekt. Diese Form des Fundraising über persönliche Beziehungen und Empfehlungen nimmt zu. NPOs haben darauf keinen direkten Einfluß.

Herausforderungen für Nonprofit-Organisationen:

  1. Viele Spendenwillige werden zukünftig häufiger direkt an ein Projekt spenden wollen und NPOs als institutionelle Träger umgehen, mit dem Argument: dann kommt das Geld unmittelbar zu den Bedürftigen und bleibt nicht zu einem Teil in der NPO-Verwaltung hängen. D.h. NPOs verlieren potentielle Spender an bürgerschaftliche Projekte und Initiativen. Es gibt mit GlobalGiving eine online Spenden-Plattform, die sich speziell an Spender richtet, die Hilfsprojekte direkt vor Ort unterstützen wollen.
  2. Spenden-Plattformen bieten solchen Projekten eine Chance, die inhaltliche Nischen abdecken. Das Internet mit seinen Suchmöglichkeiten sorgt dafür, dass Spender mit entsprechenden Interessen auch diese Nischenanbieter finden werden. D.h. es werden Gelder weg von den etablierten sozialen Dienstleistungen hin zu neuen Projekten und Diensten fließen.
  3. Da Spender immer gezielter nach einem Hilfsprojekt suchen können, das sie interessiert, werden bei NPOs die Spendenmittel für allgemeine Töpfe, die nicht projektgebunden sind, zurückgehen.
  4. Es wird für NPOs immer schwieriger werden, auf dem riesigen Markt an Projekten Spendenwillige für das eigene Nonprofit-Anliegen zu gewinnen. Welchen Content, welche Einflussmöglichkeiten muss eine NPO zukünftig Spendern bieten, um im Internet konkurrieren und bestehen zu können?
  5. Wie oben erwähnt: persönliche Empfehlungen zwischen Personen im Rahmen von online Netzwerken erlangen immer mehr Bedeutung. Die NPO hat darüber keine Kontrolle. Das traditionelle Modell der NPO “sitting at the centre of fundraising relationships is being challenged by ICT. Online activity such as blogs allow donors and recipients to directly share their own experiences with little technical knowledge, whilst online communities and networks mean messages can be spread horizontally between individuals rather than outwards from a central source.” (NCVO Third Sector Foresight)
  6. Die Öffentlichkeitsarbeit und das Marketing von NPOs werden sich ziemlich ändern müssen: weg vom Monolog (“is your fundraising a long, dull conversation?”), hin zum Dialog. Oder wie Jeff Brooks vom Donor Power Blog richtigerweise formuliert: es geht bei der Kommunikation mit den Spendern nicht darum, selbstreferentiell die eigene Botschaft zu präsentieren, sondern dem Spendenwilligen aufzuzeigen, wie die eigene NPO in das Leben des Spenders passt: “Fundraisers are fond of talking about themselves because their organizations have spent great effort being good at what they do. Why not tell everyone about that? they must figure. But just remember, it doesn’t work. Talk to the donor about the donor. The only things you say about yourself are the things that show how you fit into their world” (Jeff Brooks)
  7. Durch den Stellenwert, den das Thema ‘Online Fundraising’ erhält und die zunehmende Konkurrenz um Spenden besteht die Gefahr, dass NPOs sich auf Spender konzentrieren und andere Stakeholder, deren Ressourcen auf den ersten Blick nicht so offensichtlich sind wie im Fall der Spendenwilligen, vernachlässigt werden.
  8. Wenn Spender sich mehr in die von ihnen unterstützten Projekte einbringen wollen und nach inhaltlicher Mitbestimmung streben, dann taucht die Frage auf, wie unabhängig eine NPO noch arbeiten kann bzw. welche Gruppen mit welchem soziodemographischen Hintergrund mehr Einfluss auf die NPO gewinnen.

Online Fundraising-Plattformen, Teil II

Dank der Kommentare zu meinem letzten Beitrag über Fundraising-Plattformen im Netz habe ich mich noch einmal auf die Suche nach Plattformen gemacht, die hier in Deutschland bzw. im deutschsprachigen Raum Spender und gemeinnützige Organisationen zusammenbringen wollen. Bei npo-info.de bin ich auf eine Charity-Website-Analyse aus dem Jahr 2007 gestoßen, die u.a. die Reichweite von Spendenportalen untersucht und eine Liste mit hiesigen gemeinnützigen und kommerziellen Plattformen enthält. Diese Plattformen habe ich mir angesehen und wie folgt klassifiziert:

  1. Plattformen, die NPO-Verzeichnisse bieten mit Links auf die Webseite der jeweiligen gemeinnützigen Organisation, wo dann auch gespendet werden kann (das sind lediglich Fundraising-Plattformen im weitesten Sinne): hilfsorganisationen.de, charity-label.com, helpedia.org (im Aufbau)
  2. Plattformen, die für bestimmte Zwecke Spenden sammeln: gutetat.de konzentriert sich auf Sachspenden und ehrenamtliche Hilfe für kleinere und mittlere Hilfsprojekte, die auf individuellen Initiativen basieren. Der räumliche Schwerpunkt für die freiwilligen Helfer liegt derzeit noch auf Berlin und München. Wer in einem Projekt mithelfen möchte, muss zu den örtlichen Treffen kommen, d.h. es wird hier nicht alles online geregelt.
  3. Plattformen, die Spenden für registrierte Nonprofit-Organisationen sammeln: über spendenportal.de werden Geld- und Sachspenden direkt an gemeinnützige Organisationen geleitet. Es gibt auch die Möglichkeit, sich für ein freiwilliges Engagement zu melden. Originell ist die Ausgabe von Sozialaktien, falls man eine Einrichtung dauerhaft unterstützen möchte. Spendenbuttons und Plattform-Logo können auf private Webseiten geladen werden. Bei helpdirect.org kann ebenfalls direkt an eine Organisation gespendet werden. Wer sich für keine entscheiden kann, zahlt das Geld in thematisch gegliederte Spendenpools ein, deren Mittel dann vom Vorstand der gemeinnützigen Plattform an Hilfsprojekte verteilt werden. helpdirect erstellt zudem für Interessenten individuelle Spendenbutton, so dass man auf den eigenen Webseiten zeigen kann, welches konkrete Projekt man unterstützt (nicht nur welche Organisation). Spenden.de wurde von einem Softwareunternehmen gegründet. Es können sich hier gemeinnützige Organisationen eintragen, an die man über die Plattform direkt spenden kann.
  4. Plattformen, auf denen neben Organisationen auch Einzelpersonen ein Projekt vorschlagen können: betterplace.org. Für das jeweilige Projekt wird eine eigene Seite mit Projektblog, Photos, Unterstützer, Spendenbarometer etc. erstellt.
  5. Plattform, die Banner anbietet, welche auf die Seiten gemeinnütziger Organisationen verlinken (d.h. eine direkte Spende ist hier nicht möglich): web2help.de
  6. Einkaufs- und Auktions-Plattformen, bei denen der Spender gleichzeitig einen sozialen Zweck unterstützen kann: socialpower.net und ycare.de
  7. Plattformen, die nicht nur den Kontakt zu NPOs herstellen, sondern auch ein Netzwerk bieten, in dem man nach Unterstützern für eine gute Sache suchen kann: betterplace.org.

Laut der Charity-Website-Analyse von npo-info, die über einen vierwöchigen Zeitraum mit Hilfe von statbrain.com erstellt wurde (wie zuverlässig ist dieses Tool?), schneidet helpdirect.org als Marktführer bei den Spendenportalen ab.

Grundsätzlich hatte ich beim Durchforsten all der hier vorgestellten Seiten den Eindruck, dass sich hier noch vieles im Entwicklungsstadium befindet. Die Zahl der bei den Plattformen registrierten Organisationen ist noch bescheiden im Vergleich zu den amerikanischen Vorbildern, wo man z.B. bei change.org in einer Datenbank unter 1,5 Mio. Nonprofits auswählen kann. Ebenso bescheiden wird auf manch einer Spenden-Plattform das Spendenaufkommen sein. Auch hier schneiden amerikanische Plattformen sehr gut ab, siehe networkforgood.org, wo seit 2001 über 100 Mio. Dollar Spenden eingesammelt wurden.

Sicherlich ist die unterschiedliche Spendentradition in den USA hierfür mitverantwortlich und die hier weiter entwickelte Nutzung des Internets. In Deutschland waren im ersten Halbjahr 2007 die über 50-Jährigen für 70% der Spenden verantwortlich (vgl. Deutscher Spendenrat). Und diese Altersgruppe ist nicht durchgängig im Netz vertreten. Andererseits haben es die NPOs noch nicht geschafft, die Ressourcen der Jüngeren und der Menschen mit hohem Einkommen anzuzapfen. Für diese Zielgruppen, – die übrigens, wenn sie spenden, einen viel höheren Betrag geben als die ältere Generation, sind Spenden-Plattformen eine gute Einrichtung.

Nur: allein mit bürgerschaftlichen Projekten und Initiativen wird man nicht den Traffic auf die obigen Plattformen bringen bzw. das Spendenaufkommen erzielen, das sich alle wünschen. Hier in Deutschland ist der dritte Sektor (= der Nonprofit-Bereich) zu einem guten Teil verbandlich verfasst. Man muss demnach die großen Dienstleistungsanbieter ins Boot bekommen, wenn man eine große und erfolgreiche Plattform betreiben will. Wenn sämtliche Einrichtungen der Freien Wohlfahrtspflege in einer Plattform registriert wären, könnte man als Spender aus einer Datenbank mit rd. 100 000 Einrichtungen auswählen. In den USA gibt es mit guidestar.org eine riesige NPO-Datenbank, die mehreren Spenden-Plattformen zur Verfügung steht. Vielleicht würde ein solch umfassender Informationspool manche Spenden-Plattform attraktiver machen?

Fundraising im Netz

Matthias Schwenk von bwl zwei null hat in einem Kommentar zu meinem Blog-Beitrag “Are charities broken” die These aufgestellt, dass die Binnenorientierung von Nonprofit-Organisationen und ihre Abstinenz, was Web 2.0-Tools angeht, langfristig zu ihrem Scheitern führen wird.

Auch ich bin der Ansicht, dass NPOs unter einem großen Zeitdruck stehen. Wenn sie die interaktiven Instrumente, die das neue Web bietet, in den nächsten 5 Jahren nicht aufgreifen und für sich und ihre Stakeholder nutzen, dann werden sie in 10 Jahren nicht da stehen, wo sie eigentlich hin möchten. Sie werden vielleicht noch existieren, aber mehr schlecht als recht.

Warum drängt die Zeit? Weil Fundraising immer stärker über das Internet läuft. Und gemeinnützige Träger Ressourcen dringend brauchen: die Einnahmen aus öffentlichen Quellen schmelzen dahin und private Spenden konnten diese Lücke bisher nicht füllen. Nur zur Veranschaulichung: in den sozialen Diensten liegt der Spendenanteil an den Einnahmen bei rd. 5%, der Anteil öffentlicher Mittel ging von rd. 83% auf 65% zurück (Zimmer/Priller 2004).

In der Vergangenheit setzten Nonprofits beim Fundraising auf Spendenbriefe, die dem Adressat ungefragt ins Haus flattern. Es gibt m.E. einen Zusammenhang zwischen der Tatsache, dass Menschen über 60 Jahre den größten Teil des Spendenvolumens aufbringen (Kreuzer 2007) und jener, dass der Spendenbrief in Papierform von NPOs so stark eingesetzt wurde. Wer jüngere Menschen ansprechen will, muss online gehen. Wer viel Spenden akquirieren will, muss Web 2.0 Tools nutzen.

Denn im Netz bahnt sich eine riesige Umwälzung der Spendenpraxis an. Die Machtverhältnisse verschieben sich zugunsten der Spender. Unzählige Organisationen, Initiativen und Privatleute buhlen um die Aufmerksamkeit von Spendern auf Plattformen wie networkforgood, justgiving, change, kiva usw. Die Konkurrenz für Nonprofits hat sich drastisch erhöht, weil auf den meisten Plattformen auch Privatleute jederzeit eine Fundraising-Seite erstellen können, um für ihr Anliegen (das nicht in einer NPO beheimatet sein muss) Spenden zu sammeln. In Deutschland gibt es seit Neuem die Spenden-Plattform betterplace, wie im Blog kreative Strukturen zu lesen ist. Auch im Rahmen von Communities wie Facebook kann jedes Mitglied eine Spendensammel-Aktion starten Und jeder, der online publiziert, kann mit Widgets für eine gute Sache werben.
Fazit: Nonprofit-Organisationen verwalten nicht mehr alleine den guten Zweck und sind hier auch nicht die einzigen, die um Spenden bitten. Vielmehr gibt es für sie nun unendlich viel Konkurrenz. In Deutschland ist der Trend noch nicht ganz angekommen, aber er kommt. Der einzelne Bürger entwickelt sich zum Multiplikator für ein Anliegen und für NPOs muss es nun darum gehen, diesen Multiplikator für sich zu gewinnen. Auch das funktioniert in großem Maßstab nur online und über interaktive Instrumente wie Communities, Weblogs, Foren etc. Viele Gründe, die dafür sprechen, sich mit dem Internet zu befassen. Frage: wann wachen Nonprofit-Organisationen aus ihrer Starre (oder ihrem Tiefschlaf?) endlich auf?