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Mobiltelefon und mobiles Internet, – Chancen für gemeinützige Organisationen

Welche Möglichkeiten bieten Mobiltelefone und das mobile Internet Nonprofit-Organisationen?

Amy Sample Ward zeigt anhand der Hilfe für Haiti auf, wie wichtig mobile Geräte und die mobile Internetnutzung für das Fundraising, Online-Volunteering und Mapping geworden sind.

Fundraising: Das amerikanische Rote Kreuz erhielt innerhalb von vier Wochen 31 Mio. Dollar an Spenden für Haiti per SMS. Auch in Deutschland wurden Spenden über das Mobiltelefon eingesammelt, allerdings noch in kleinerem Rahmen. Die Aktion Deutschland Hilft konnte mehr als 200.000 Euro per SMS und aus einem Aktionsportal akquirieren, – zusätzlich zu den Online-Spende, die über die Webseite eingingen. MobileActive.org listet eine ganze Reihe amerikanischer und europäischer Spenden-SMS für Haiti auf.

Den Kontakt zu den Spendern können NPOs ebenfalls mobil über Twitter, Facebook und andere soziale Netzwerke halten, um mit ihrer Botschaft präsent zu bleiben und Multiplikatoren zu gewinnen.

Freiwilliges Engagement: Bürgerschaftliches Engagement kann auch über das Mobiltelefon erfolgen. Amy Sample Ward schildert das Beispiel von The Extraordinaries, wo über eine mobile iPhone-Applikation das Micro-Volunteering möglich wird., das in den freien Minuten und Wartezeiten erledigt werden kann, die in jedem Tagesablauf vorkommen. Fast 30.000 Menschen machen bei den Extraordinaries mit und nutzen Wartezeiten und Pausen im Alltag, um sich online zu engagieren. Mehr als 240.000 Micro-Aufgaben wurden von den Extraordinaries mobil erledigt. Was für Aufgaben kommen in Frage? Übersetzungsaufgaben, die Verschlagwortung von Photos und Dokumenten, das Mapping von Plätzen/Einrichtungen, die Suche nach Fördermöglichkeiten für soziale Organisationen usw. Im Fall von Haiti sah die Hilfe der Extraordinaries so aus, dass aktuelle Aufnahmen von Menschen in Haiti von den Freiwilligen kategorisiert wurden (über 76.000 Fotos) um diese mit Vermisstenbildern abzugleichen und so herauszufinden, ob und wo die gesuchte Person noch lebt.

Oline-Kartierung: Über das Mobiltelefon können im Katastrophenfall die betroffenen Menschen Hilfeanfragen und Hilfsangebote per SMS, Twitter oder Mail übermitteln, die dann von einem Projekt wie Ushahidi in einer Web-Karte visualisiert werden, die öffentlich zugänglich ist. Ushahidi kartierte so über 2000 Hilferufe von Menschen im Anschluss an das Erdbeben in Haiti und jetzt – ganz aktuell – die Hilfsgesuche nach dem Erdbeben in Chile.

Diese Informationen “von unten”, d.h. von den Menschen, die von einer Katastrophe direkt betroffen sind, werden für die Steuerung eines Hilfseinsatzes immer wichtiger. Die Hilfsorganisationen entscheiden nicht mehr allein aufgrund ihrer Bestandsaufnahmen, sondern auch auf der Basis der eingehenden Informationen von Betroffenen darüber, welche Hilfsmaßnahmen zu ergreifen sind.

Nonprofits können desweiteren von kollaborativen Kartenprojekten profitieren, bei denen Nutzer über das mobile Web Räume kartieren, über die es noch kein oder nur unzureichendes Kartenmaterial gibt. So halfen bspw. über 2000 Freiwillige mit, die OpenStreetMap von Port au Prince in Haiti zu ergänzen. Die mobile Web-Karte, die so entstand, half den Hilfsdiensten, sich in der Stadt schnell zurecht zu finden. Ein anderes Beispiel ist das Projekt Map Kibera, bei dem Freiwillige mobil ein Slum in Nairobi kartieren. Auf crisscrossed.net finden sich noch weitere internationale Beispiele für ‘Maptivism’, wo Bürger und zivilgesellschaftliche Organisationen sich die räumliche Dokumentation von bisher nicht kartierten/vernachlässigten/mit Problemen belasteten Gegenden vorgenommen haben, um deren Stärken und Schwächen stärker ins Rampenlicht zu rücken.

Unabhängig vom Katastrophenfall sollten Nonprofits mobile Web-Karten nutzen, um ihr Leistungsangebot und dessen Lokalisierung von unterwegs aus abrufbar zu machen. Also Karten, die sämtliche Beratungsstellen, Sozialstationen, Krankenhäuser usw. eines Trägers lokalisieren und dem Nutzer beim Auffinden der Einrichtung helfen.

Ergänzend könnte man noch die folgenden Funktionen nennen, die über das mobile Netz möglich sind und auch NPOs Perspektiven eröffnen:

Netzwerkaufbau- und Pflege: Über das mobile Internet werden insbesondere die Seiten sozialer Netzwerke aufgerufen. In den USA gehen 91% der Nutzer mobiler Geräte online, um ihre sozialen Kontakte zu pflegen. Fast drei Stunden täglich nutzen Amerikaner das mobile Web. Der Kontakt mit dem eigenen Netzwerk kann mobil zu jeder Zeit und an jedem Ort gepflegt werden. Auch Nonprofits können von diesen Möglichkeiten profitieren, wenn es darum geht, die Beziehungen zu ihren Stakeholdern zu pflegen.

Hilfe über mobile Geräte: Über Mobiltelefone können Dienste für Hilfsbedürftige angeboten werden. Eine Vertreterin von MobileActive.org führt das Beispiel einer Organisation auf den Philippinen an. Diese mobilisiert für philippinische Arbeitsmigranten im Ausland im Fall von Missbrauch und Ausbeutung sofort Hilfe, wenn eine SOS-SMS eingeht.

Koordination: Die räumliche Koordination zwischen Menschen wird über geosoziale Netzwerke wie Foursquare oder GoogleBuzz möglich. Auch Twitter bietet das geo-tweeting an, das Kurznachrichten mit Orten versieht. Über die Koordination hinaus verbinden geosoziale Netzwerke Orte mit Informationen. So kann ein Bild darüber entstehen, was in einem bestimmten Viertel passiert bzw. wie es um die örtliche Community steht. Für Nonprofits eine interessante Perspektive.

Augmented Reality: über Mobiltelefone mit Internetzugang können Live-Bilder von der Umgebung mit Daten aus dem Netz versehen werden. Ein Beispiel: mit der augmented reality app acrossair kann man sich in London die U-Bahn, die dem eigenen Standort am nächsten ist, anzeigen lassen. Man fixiert mit dem iPhone ein Objekt in der Umgebung und bekommt automatisch die Informationen über den nächsten U-Bahn-Standort. Auch mit der Suchfunktion von Google googles, die nicht via Text, sondern über Bilder sucht, die dann mit Internet-Informationen kombiniert werden, kann man mehr über die eigene Umwelt erfahren. Zum Beispiel über Nonprofit-Einrichtungen in der eigenen Stadt, die im Internet mit Bild und Text vertreten sind und über google googles gefunden werden können.

Viele dieser mobilen Anwendungen sind im Nonprofit-Bereich außerhalb der Katastrophenhilfe und internationaler Organisationen noch nicht etabliert. Lediglich das Fundraising via SMS ist schon bekannter. Und dennoch, – “mobile matters”, das heißt: das mobile Netz sowie die ortsbasierten Dienste, die Standorte lokalisieren, gewinnen an Bedeutung.

Was speziell die ortsbasierten Dienste suspekt macht, ist ihre Gefahr für die Privatsphäre der Nutzer, siehe hierzu kritisch das Projekt PleaseRobMe. Und auch die Gesichtserkennung, die im Rahmen der Augmented Reality schon möglich ist, trägt erhebliche negative Potentiale in sich. Wie es in einem Blogkommentar heißt: “the market for masks and anonymizers will become huge”….

Unabhängig von diesen negativen Seiten müssen sich Nonprofits mit den neuen mobilen Diensten und Möglichkeiten auseinandersetzen und sich die Chancen herausgreifen, die der NPO und ihren Stakeholdern den größten Mehrwert bringen.

Chancen der webbasierten Kartierung für soziale Dienste und sozial engagierte Bürger

Nachdem Christian Kreutz von crisscrossed.net hier einen Gastbeitrag über die Kartierung durch Bürger und Nonprofits im Internet schrieb, habe ich das Thema auf dem Socialcamp Berlin ’09 in einer gemeinsamen Session mit Georg Neumann von Transparency International nochmals aufgegriffen.

Mein Part war es, die Potentiale von Geoinformationssystemen (GIS) bzw. von webbasierten Karten speziell für Nonprofits im Sozialbereich und für sozial engagierte Bürger aufzuzeigen: “If Pizza Hut can use GIS to figure out the best route to deliver pizza, why not use it as a tool for social justice?” (G.Mandayam).

Karten können sich zu einem wichtigen Management-Instrument für soziale Dienste entwickeln, wenn man das demographische/sozioökonomische Profil der Einwohner eines Stadtteils, ihre Problemlagen und ihre Ausstattung mit sozialer Infrastruktur visualisiert. Auf den ersten Blick werden dann unterversorgte oder fehlversorgte Viertel sichtbar und die sozialen Dienste können ihr Leistungsangebot inhaltlich und räumlich besser anpassen (vgl. Mandayam o.D.). Die Kooperation der Anbieter kann durch die Visualisierung von Daten einen Auftrieb erhalten, weil man sieht, wer im Viertel als Anbieter aktiv ist und welchen sozialen Dienst man aus anderen Vierteln hinzuziehen könnte. Ein Beispiel: HealthyCity.org bietet Karten für Los Angeles, die Bürger, NPOs und Entscheidungsträger über die soziale Infrastruktur und die demographische/gesundheitliche Verfassung der Bevölkerung informieren (zum Projekt s. Manzo/Pitkins 2009).

Nonprofits können webbasierte Karten nutzen, um auf soziale Probleme hinzuweisen, die in der öffentlichen Diskussion vernachlässigt werden. Ein gutes Beispiel ist der Armutsatlas des Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverbandes , der im Frühjahr veröffentlicht wurde und die Armutsquoten in den einzelnen Bundesländern aufzeigt. Wie weit entwickelt die webbasierte Kartographie hier schon ist, zeigt die Seite worldmapper.com (“the world as you’ve never seen it before”) u.a. mit ihrer animierten Weltkarte über die ungleiche Einkommensverteilung.

Sind die Karten interaktiv wie bei Healthycity.org, dann können auch Bürger bzw. die Zielgruppen von gemeinnützigen Organisationen in die Kartenerstellung mit ein bezogen werden, um von deren Ortskenntnis zu profitieren.

Karten verhelfen zivilgesellschaftlichen Organisationen in Verhandlungen mit der öffentlichen Hand zu mehr Überzeugungskraft. Bisher sind Karten eine Domäne der öffentlichen Verwaltung und ihrer Spezialisten in den Planungsämtern. Nonprofits, die auf der Basis von Karten argumentieren, befinden sich stärker auf Augenhöhe mit der öffentlichen Verwaltung (vgl. Manzo/Pitkins 2009).

Noch ist die webbasierte Kartenerstellung kein Thema in den sozialen Diensten, zumindest nicht flächendeckend und nicht öffentlich sichtbar. Datenschutzgründe, fehlende Daten, nicht-öffentliche Daten, mangelnder Datenaustausch , die Unkenntnis der neuen technischen Möglichkeiten usw., – dies alles sind Gründe, die der Kartierung in den sozialen Diensten entgegenstehen.

Bürger und bürgerschaftliche Organisationen werden die Kartierung über das Internet wahrscheinlich schneller schätzen lernen, weil Karten eine gute Möglichkeit sind (aber im Zweifel auch eine sehr manipulative…), um Bürgerwissen zu sammeln und Bürger stärker zu politisieren. Bürger können durch das collaborative bzw. social mapping über ihren Status als Adressaten staatlicher Politik hinauswachsen und ihre Interessenvertretung selbst in die Hand nehmen. Über gemeinsam erstellte Karten (Bsp. green map, open street map) können grundsätzlich auch die Mängel und die Ungleichverteilung sozialer Infrastruktur in der eigenen Kommune dargestellt werden. Verfallende Schulgebäude, Kitas mit Personalmangel, verwahrloste Spielplätze usw. können von Bürgern lokalisiert und – wo notwendig – mit Photos, Videos etc. dokumentiert werden.

Aber nicht nur die bedürfnisorientierte Sicht, die “need”-Perspektive, die zumeist bei Nonprofits und den städtischen Akteuren im Vordergrund steht, muss in Karten ihren Ausdruck finden. Auch die Ressourcen der Bürgerschaft können kartiert werden und so einen neuen Blick auf ein Stadtviertel eröffnen.

Durch webbasierte, gemeinschaftlich erstellte Karten erhalten Bürger die Möglichkeit, ihre Perspektive in den öffentlichen Diskurs einzubringen und durch das (bottom-up) gewonnene Wissen die (top-down) erstellten Karten bzw. Weltdeutungen der Verantwortlichen in Politik, Verwaltung und Nonprofits zu ergänzen.

Georg Neumann schilderte anschliessend in der Socialcamp-Session, wie aus der Perspektive von Transparency International bzw. der Korruptionsbekämpfung das mapping genutzt werden kann: um mehr Öffentlichkeit zu schaffen, wenn es um die Verwendung öffentlicher Gelder geht. Bürger und gemeinnützige Organisationen können die Umsetzung staatlicher Programme und Aufträge gemeinschaftlich begleiten und überwachen. So listet bspw. die Karte The Map of Bailout Recipients der gemeinnützigen Initiative ProPublica alle amerikanischen Finanzinstitute auf , die von den staatlichen Rettungskrediten im Zuge der Finanzkrise profitieren.