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Web 2.0, Partizipation und die Blogosphäre

Wenn wir Blogger/innen über Web 2.0 schreiben, dann erwecken wir häufig den Eindruck, als wäre die Einführung von Social Media das Ziel und nicht der Beginn der eigentlichen Herausforderung: nämlich der Kooperation und des Meinungsaustausches mit den Stakeholdern, die via Internet mit einer Organisation in Kontakt treten.

Der Umgang mit der verstärkten Partizipation von Bürgern, Klienten, Kunden und die Steuerung der Kooperation zwischen Organisation und Stakeholdern, – das ist meines Erachtens die wirkliche Aufgabe, die Social Media mit sich bringen. Alles andere – die Technik, die Social Media-Strategie, die Auswahl der Instrumente, die Einführung der Tools – das sind nur die Vorbereitungen für das wirkliche Spiel, das beginnt, wenn die partizipativen Tools installiert sind.

In der Blogosphäre gibt es überraschend wenig Beiträge, die sich mit dieser Zeit nach der Einführung von Web 2.0 befassen. Die meisten Blogger haben nur die erste Phase im Blick. Wenige liefern Ideen, wie Partizipation und Kooperation online und offline erfolgreich gestaltet werden können.

Vielleicht haben die etablierten Organisationen wie Kommunen und Nonprofit-Einrichtungen eine Vorahnung über die Herausforderungen, die Web 2.0 mit sich bringt, wenn Hierarchie auf Netzwerke und repräsentative Systeme auf direkte Demokratie stoßen. Vielleicht erklärt sich so ihre Zurückhaltung bezüglich der Implementation von interaktiven Instrumenten.

Web 2.0 hat einen eminent politischen Charakter, – nicht nur wegen möglicher Machtverluste auf Seiten hierarchischer Organisationen, sondern auch deshalb, weil es das Verhältnis zwischen Bürger und Staat, Klient und professionellem Mitarbeiter, Nonprofits und Ehrenamtlichen usw. neu justiert.

Wird Web 2.0 angewandt, dann verkomplizieren sich die Politikformulierung und die Politikumsetzung (beides im weitesten Sinne), weil es den Kreis der Beteiligten ausdehnt. Je mehr Akteure mitsprechen, desto heterogener sind die Interessen, desto schwieriger ist die Entscheidungsfindung, desto weniger haben professionelle/fachliche Konzepte eine Chance, die sich plötzlich mit Vorschlägen von Laien konfrontiert sehen.

Es ist eine Fiktion, zu glauben, man könne in strittigen Fällen alles ausdiskutieren und früher oder später einen Konsens finden. In Wahrheit sind viele Positionen miteinander unvereinbar und es ist die Frage, ob Beziehungen, Projekte, Organisationen nicht an dieser schwierigen Entscheidungsfindung zwischen multiplen Akteuren – gefördert durch Social Media – zerbrechen können. Web 2.0-Anwendungen helfen uns aus diesem Dilemma nicht heraus. Lösungen sind nur aus der Weiterentwicklung partizipativer Konzepte und von Kooperationsverfahren zu erwarten.

Aus der Wissenschaft kommt das Feedback, dass das Phänomen der ‘Partizipation’ theoretisch und empirisch noch zu wenig erforscht ist. Zumeist beschränken sich Befürworter und Gegner auf Positionen, die ideologisch motiviert sind, aber nicht auf wissenschaftlichen Erkenntnissen beruhen (Fischer 2006 ).

Grundsätzlich zeigt aber die empirische Partizipationsforschung folgendes (vgl. Fischer 2006 ):

  • Partizipation ist kein Selbstläufer. Es handelt sich vielmehr um einen komplizierten Prozess, der sorgfältig gepflegt, moderiert und gesteuert werden muss.
  • Partizipation führt nicht per se zu inhaltlich guten Ergebnissen mit gesellschaftlichem Mehrwert. Die empirische Untersuchung von Newig/Fritsch in Bode/Evers (2009) zeigt, dass partizipative Verfahren im Umweltbereich nicht immer bessere ökologische Entscheidungen produzieren. In 15 untersuchten Fällen kam es nur in sechs Verfahren zu Verbesserungen, in 5 Verfahren hat die Partizipation die ökologische Qualität der Entscheidungen verschlechtert, – weil die persönlichen Interessen über fachlich bedeutsame Aspekte dominierten.
  • Partizipation ist ein Prozess mit ungewissem Ausgang. Man kann nicht von der Ausgestaltung des Partizipationsverfahrens automatisch auf dessen Ausgang schließen.
  • Es fehlt noch detailliertes Wissen darüber, wie Partizipation genau funktioniert. Bezüglich der Beteiligungsverfahren muss erst noch gelernt werden "what is good and what is bad, what works and what does not" (Cornwall/Jewkes, zit. nach Fischer 2006).
  • Es zeichnet sich aber jetzt schon ab, dass eine formale Theorie über Partizipationsverfahren nicht möglich sein wird, weil jedes Verfahren sehr stark von den beteiligten Akteuren und deren Ideen/Haltungen/Wünschen dominiert wird.

Angesichts der spärlichen Aufmerksamkeit, die in der Blogosphäre dem Thema ‘Partizipation in der Praxis’ zu teil wird (obwohl Web 2.0 das Thema höchst aktuell macht), freue ich mich über Webseiten wie die diese:

Partizipative Qualitätsentwicklung : Die Seite bietet allen, die in der "Gesundheitsförderung bei sozial Benachteiligten" aktiv sind, gutes Material über Partizipation und Kooperation.

Involve des people and participation.net, das eine interessante "Bibliothek" bzw. Linksammlung zum Thema Partizipation bietet.

Wegweiser-bürgergesellschaft.de, die unter dem Stichwort ‘Modelle und Methoden der Bürgergeteiligung’ auch Ressourcen für konkrete Partizipationsprozesse bieten.

Nachtrag: ein aktuelles empirisches Beispiel, die Kampagne ‘StopStarbucks’, die ich beim PR Blogger gefunden habe, veranschaulicht sehr gut die system- und strukturkritischen Potentiale von Social Media.

Wenn eine Organisation hofft, durch einen strategischen Social Media-Einsatz, der hinsichtlich der Tools dem state-of-the-art entspricht, Interessensunterschiede zwischen ihr und ihren Stakeholdern durch einen Online-Dialog einfach auflösen zu können, dann irrt sie. Im Gegenteil: durch Social Media werden Interessensunterschiede sehr schnell sehr deutlich und sehr öffentlich. Konflikte können nicht tabuisiert werden und Defizite innerhalb der Organistion auch nicht. Es kommt alles früher oder später auf den Tisch – wer an Organisationsstrukturen festhält, die Stakeholder nicht auf Augenhöhe behandeln, wird es mit Social Media schwer haben. Denn sie zielen auch auf strukturelle Veränderungen in einer Organisation.