Kategorie-Archiv: soziale Dienste

Was fördert und was hemmt die Social Media-Nutzung durch Nonprofits?

Welche Faktoren fördern und welche bremsen die Nutzung sozialer Medien durch gemeinnützige Organisationen?

Eine Studie aus den USA von Nah/Saxton, die im März 2013 in New Media & Society (Heft 2, 294-313) veröffentlicht wurde, untersucht anhand der 100 größten amerikanischen Nonprofits, welche Organisations- und Umweltfaktoren dazu führen, dass gemeinnützige Akteure soziale Medien nutzen.

Der Begriff “Nutzung” wird operationalisiert in “Präsenz in den sozialen Medien”, “Häufigkeit von Updates” und “Dialogorientierung”. Letztere wurde durch die qualitative Untersuchung von über 2400 Tweets und über 1000 Status Updates auf Facebook untersucht. Twitter und Facebook bilden die zwei Social Media-Plattformen, auf denen die Studie basiert. Der Untersuchszeitraum war in 2009.

Die Studie kommt zu folgenden Ergebnissen (siehe Nah/Saxton 2013, 306f):

Gemeinnützige Organisationen, die sich über Gebühren und Entgelte finanzieren, sind eher in den sozialen Medien aktiv. Ebenso wie jene Nonprofits, die von Spendern abhängig sind. Organisationen, die sich über staatliche Förderung finanzieren, sind in den sozialen Medien weniger aktiv. Auch Organisationen mit hohen Fundraising- und Lobbying-Ausgaben nutzen soziale Medien seltener und weniger dialogorientiert. In beiden Fällen stehen die hohen Ausgaben für offline-Aktivitäten, aber nicht für Online-Engagement.

Effiziente Organisationssteuerung und Social Media- Nutzung stehen in einem engem Zusammenhang. Ebenso spielt die Existenz einer Organisations-Webseite mit hoher Reichweite eine ganz wichtige Rolle: Nonprofits, die über eine solche Webseite verfügen, besitzen die Kompetenzen und Ressourcen, um auch den Schritt in die sozialen Medien zu unternehmen.

Gemeinnützige Organisationen, die auf Mitgliedschaft basieren und auf demokratischen Strukturen aufbauen, sind eher weniger im Social Web aktiv: die bestehenden Mitsprachemöglichkeiten für die eigenen Mitglieder machen eine Präsenz in den sozialen Medien und deren dialogorientierte Nutzung weniger wahrscheinlich.

Diesen letzten Aspekt finde ich sehr interessant. Zusammen mit der empirisch belegten Bedeutung einer Organisations-Webseite mit hoher Reichweite kann so die Social Media-Abstinenz vieler Vereine und Sozialverbände auf lokaler Ebene erkärt werden.

Da häufig Stadtteileinrichtungen von Verbänden oder Stadtteil-Gruppen über keine selbstverwaltete Webpräsenz verfügen – die Organisationswebseite wird vom (über)örtlichen Träger zentral gepflegt – fehlen in den Stadtteilen häufig die Kompetenzen, Mittel und Erfahrungen, die es für ein Engagement in den sozialen Medien braucht. So ist der Aufbau von sozialem Kapital über das Internet im Quartier für die dortigen Organisationen nicht möglich.

Ebenso wirkt sich die Konzentration auf interne Beteiligungsstrukturen wie Mitgliederversammlungen und Fachgruppen negativ auf eine Social Media-Präsenz aus und auf die Dialogbereitschaft gegenüber der gesamten Öffentlichkeit.

Umgekehrt bedeuten diese Ergebnisse, dass Vereine und Verbände lokal und stadtteilbezogen mehr in die Internetkompetenzen der Akteure investieren müssen. Und dass ihr binnenorientierter Blick sich zur Gesellschaft hin weiten muss, wenn eine Social Media-Präsenz angestrebt wird.

Die Studie zeigt am Schluss auch auf, dass es problematisch ist, von “den” sozialen Medien generell zu sprechen. Obwohl bspw. ein positiver Zusammenhang zwischen Spenderabhängigkeit und Social Media-Nutzung existiert, korreliert hier nur Facebook positiv, aber nicht Twitter (Nah/Saxton 2013, 304, 306), was bedeutet, dass die einzelnen Tools und die Organisationsmerkmale in ganz unterschiedlichem Zusammenhang stehen.

Wichtig ist, die Beschränkungen der dennoch hochinteressanten Studie nicht aus den Augen zu verlieren: untersucht wurden lediglich die größten Nonprofit-Organisationen, nicht aber kleinere und mittlere.

Collective Impact – gemeinsam mehr erreichen

Der folgende Text ist ein Beitrag für die NPO-Blogparade, die erfreulicherweise wieder einmal stattfindet. Gastgeber der Blogparade ist openTransfer.de in Kooperation mit Sebastian Volberg. Das Thema lautet “Voneinander lernen in der Zivilgesellschaft / offener Wissenstransfer”. Der Startartikel befindet sich hier. Die Blogparade läuft noch bis zum 26. Mai 2013, – machen Sie mit, Sie sind herzlich eingeladen. Hier ist erklärt, was die NPO-Blogparade ist.

Die meisten gemeinnützigen Organisationen und Dienstleister setzen auf ihre eigenen Konzepte, ihre eigene Organisation, ihre eigene Leistungsfähigkeit, kurz: auf ihre isolierte Wirkung, wenn es um die Lösung sozialer Probleme geht.

Staatliche Förderung und Stiftungen verstärken häufig noch diesen Trend. Wenn Projektmittel ausgeschrieben werden, bewerben sich Organisationen und müssen belegen, weshalb gerade sie und ihr Konzept die Mittel verdienen. Auf der Suche nach der innovativsten und effektivsten Organisation fördern Geldgeber den Mythos, dass eine Organisation alleine imstande ist, komplexe gesellschaftliche Probleme lösen zu können. Dies führt dazu, dass zu oft lediglich “Innovation belohnt (wird), weniger das Potenzial in Sachen Verbreitung” (Flor 2013).

Andererseits befördern auch die “scaling up”-Bemühungen von Geldgebern und Plattformen wie openTransfer.de den Mythos vom “isolated impact” leistungsstarker und innovativer Projekte – sofern der Vernetzung mit dem regionalen Umfeld über Fachgrenzen hinweg nicht ausreichend Rechnung getragen wird.

OpenTransfer.de, die “Plattform von Projektmachern für Projektmacher, die voneinander lernen und sich austauschen wollen” (Flor 2013) samt den dazugehörigen openTransfer CAMPs sind eine verdienstvolle Initiative, die in die richtige Richtung weist: Wissen teilen statt Wissen horten bringt das Gemeinwesen weiter. Gute Projekte, die sich an einem Ort bewährt haben, an einen anderen zu transferieren, ist effektiver, als in den Kommunen das Rad immer wieder neu zu erfinden.

Aber gute Projekte zu transferieren reicht nicht aus: “Achieving high impact is not just about building a great organization and then scaling it up site by site” (McLeod Grant/Crutchfield 2007), – obwohl der Hype um erfolgreiche Social Entrepreneurs und Skalierung gerade in diese Richtung zeigt, siehe auch die folgende Bertelsmann-Publikation. Was ebenso wichtig ist wie der Projekttransfer ist die Vernetzung von Projekten in den Kommunen mit anderen gemeinnützigen, gewerblichen und bürgerschaftlichen Akteuren. Je komplexer Probleme sind und je weniger von vornherein die Antwort feststeht, desto notwendiger wird diese Vernetzung und das gemeinsame Lernen der beteiligten Akteure.

In ihrem Aufsatz “Collective Impact” aus dem Jahr 2011 beschreiben Kania und Kramer die Erfolge großer Netzwerke, zu denen sich Organisationen zusammengeschlossen haben, die regional an dem selben Problem arbeiten. In diesen Netzwerken setzt man sich ein gemeinsames Ziel, man entwickelt gemeinsame Leistungsindikatoren, unterstützt sich gegenseitig und lernt zusammen.

Dieser Prozess setzt ein wechselseitiges Vertrauen unter den Beteiligten voraus, den Autoren zufolge ist diese Vertrauensbildung eine “monumentale Herausforderung”: “Participants need several years of regular meetings to build up enough experience with each other to recognize and appreciate the common motivation behind their different efforts” (Kania/Kramer 2011, 40). Auch der Heldenrat weist in seinem Blogparaden-Beitrag darauf hin, wie voraussetzungsvoll und komplex der Aufbau von Vertrauen und gemeinsame Lernprozesse sind.

Der Transfer guter Projekte ist wichtig, aber er reicht nicht aus, weil Dienstleistungen alleine nicht ausreichen. Notwendig ist auf lokaler Ebene die Bildung von Bewegungen. Da eine Organisation alleine Probleme nicht lösen kann, muss sie lokal eine Bewegung bilden aus Akteuren, die sich denselben Zielen verschrieben haben. “Advocacy” und Vernetzung sind deshalb ebenso wichtig wie gute Arbeit oder gute Ideen (McLeod Grant/Crutchfield 2007). Vielleicht sind das die zwei Aspekte, um die das Projekt openTransfer ergänzt werden könnte: eine Konzentration nicht nur auf den Wissensaustausch und das Verbreiten von Projekten, sondern auch eine Sensibilisierung für die Vernetzung im Quartier, die Bildung von Bewegungen und die gemeinsame Interessenvertretung.

Stefan Zollondz beschreibt in seinem Beitrag eindrücklich die finanzielle und mentale Sackgasse, in der sich die sozialen Dienste auf lokaler Ebene befinden. Dort ist der Gedanke des kollektiven Impacts noch nicht angekommen. Jede Organisation setzt auf die eigenen Konzepte und bewirbt sich damit um Fördergelder, mit dem Ergebnis, dass in Deutschland über eine halbe Million Nonprofits versuchen “to invent independent solutions to major social problems, often working at odds with each other and exponentially increasing the perceived resources required to make meaningful progress” (Kania/Kramer 2011, 38).

Diejenigen Nonprofits und Initiativen, die auf openTransfer.de mitwirken und erfahren, welchen Nutzen geteiltes Wissen entfalten kann, könnten vor Ort zu Multiplikatoren werden, die für den “collective impact” werben und mit der Vernetzung im Stadtteil beginnen, an der es häufig zuallererst mangelt, – siehe dazu auch Zollondz Zustandsbeschreibung.

 

Sozialraumorientierung und Gemeinwesendiakonie – “Kirche findet Stadt”

Mit dem ökumenischen Kooperationsprojekt “Kirche findet Stadt” wollen die evangelische und katholische Kirche gemeinsam mit ihren Wohlfahrtsverbänden -Diakonie und Caritas – die Rolle der Kirchengemeinden und der verbandlichen Arbeit auf lokaler Ebene neu ausloten.

Eine der Leitfragen lautet, in welcher Funktion sich die Kirchen in den Kommunen sehen und welchen Beitrag sie leisten für die Weiterentwicklung der Stadt und der örtlichen Zivilgesellschaft? Es sei wichtig, “nicht mehr nur einzelne Menschen oder Gruppen in den Fokus kirchlich-diakonischen Handelns zu stellen, sondern die Zukunftsfähigkeit ganzer Quartiere oder Dörfer zu betrachten” (Kirche findet Stadt). Damit rückt auch der lokale Netzwerkaufbau in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit, “denn eine integrierte Stadtentwicklung bezieht alle relevanten Akteure, Handlungsebenen und Handlungsfelder ein” (ebd.).

“Kirche findet Stadt” will die Diskussion zur Rolle der Kirche in den Bürgergemeinden anstossen und zeigt anhand von 36 kirchlichen Projekten auf, wie eine gemeinwesen- bzw. sozialraumbezogene Arbeit und Vernetzung in der Praxis aussehen kann.

Im Rahmen von “Kirche findet Stadt” wurden zehn Empfehlungen formuliert, die darauf zielen, die Kirchen und ihre Verbände als zivilgesellschaftliche Akteure in den Netzwerken der Stadtentwicklung zu positionieren. Darin heisst es unter anderem:

  • Kirchen und ihre Verbände sollten sich als Teil des lokalen Gemeinwesens verstehen
  • Sie sollten das Gemeinwesens aktiv mitgestalten
  • Netzwerke über fachliche Grenzen hinweg sind aufzubauen und Konkurrenzverhalten abzubauen
  • Die kirchlich-verbandlichen Infrastruktureinrichtungen und Raumangebote werden zum Gemeinwesen hin geöffnet
  • Beteiligungsmöglichkeiten für Bewohner/innen des Stadtteils werden angeboten
  • Die Kirchen und ihre Verbände brauchen ihrerseits im Verhältnis zu den Kommunen Mitgestaltungsmöglichkeiten
  • Damit ein gemeinwesenorientierter Ansatz praktiziert werden kann, muss Kirche in den lokalen Politikstrukturen verankert sein
  • Es gehört dazu auch eine enge Zusammenarbeit von Kirchengemeinde und kirchlichem Wohlfahrtsverband

Auf dem Caritas-Kongress 2013 wurden sozialraumorientierte Projekte vorgestellt, darunter der “Caritaspfad“, der das sozialräumliche Engagement von Kirchengemeinde und Caritasverband gemeinsam in einem Frankfurter Vorort aufzeigt.

Oder das Projekt “Constellationen” in Herten: in einem ehemaligen Kaufhaus bieten Caritas und Kirchengemeinde Bürger/innen Raum für Kunst, die beim gleichnamigen Festival präsentiert wird. Bürgerbeteiligung wird hier grossgeschrieben: die Festival-Angebote kommen durch crowdsourcing zustande. Der Hertener Caritasverband bietet zudem mit der Webseite Caritas-Plus einen Knotenpunkt für “neues denken und gestalten”, – in der Caritas, und darüber hinaus. Die Initiative freut sich über Unterstützer und weitere Vernetzung. Gelegenheit dazu gibt es zum Beispiel beim geplanten “Caritas-Plus-Camp” – einem Barcamp – am 20.6.2013 in Herten, auf dem über “soziale Entwicklungen und Trends” gesprochen werden soll, – näheres hier.

Der Punkt “Bürgerbeteiligung” ist in den Empfehlungen von “Kirche findet Stadt” nicht weiter ausgearbeitet, – das Papier spricht auch nicht von Bürgerbeteiligung, sondern der “Mitwirkung von Bewohner/innen”. In dieser Hinsicht bleiben die Empfehlungen noch vager als in anderen Reformkonzepten aus der freien Wohlfahrtspflege, wie bspw. von Seiten des Netzwerks “Soziales neu gestalten”.

Auch die Nutzung von Synergien für die Interessenvertretung wird zu wenig betont. Auf die “anwaltliche” Rolle der Kirchen wird eingegangen, aber nicht darauf, dass sich der Impact kirchlicher und wohlfahrtsverbandlicher Interessenvertretung erhöht, wenn man Ressourcen und Strategien bündelt. Die Kirchenarbeit sollte sich nicht in der Bildung von “Verantwortungsgemeinschaften” zur Koproduktion von Gemeinwohl erschöpfen, – sondern bei Bedarf auch Outsider-Strategien nutzen, um auf gesellschaftliche Mißstände hinzuweisen. Dass dies auf örtlicher Ebene auch ökumenisch und über Verbandsgrenzen hinweg gut funktioniert, zeigt ein Beispiel wie die Solidaritätstafel in Hannover.

Dass es noch ein weiter Weg ist, bis sich die Mehrzahl der Kirchengemeinden als Teil des lokalen Gemeinwesens verstehen, wird (leider nur anekdotisch) verdeutlicht durch den Wettbewerb um die “Gemeinde des Jahres”, zu der evangelische/katholische/freikirchliche Gemeinden aufgerufen sind: von den 135 Gemeinden, die sich beworben haben, fühlen sich nur eine handvoll dem Gemeinwesen-Konzept verpflichtet, – wobei das Programm “Kirche findet Stadt” wörtlich von keiner Gemeinde erwähnt wird (von Vieregge 2013, S. 4f). Genaue wissenschaftliche Daten über das Selbstverständnis der Gemeinden und ihre Praxis fehlen, – auch dies ein Punkt, der kritisiert wird (siehe von Vieregge 2013, S. 6), – denn wie kann man Kirche weiterentwickeln, wenn man gar nicht genau weiß, was vor Ort eigentlich passiert? (fehlendes Datenmaterial kennzeichnet den gesamten zivilgesellschaftlichen Bereich in Deutschland).

Wer über die Weiterentwicklung der Diskussion über “Gemeinwesendiakonie” informiert bleiben möchte, dem sei das Blog diakonisch.de von Martin Horstmann empfohlen, das u.a. eine große Ressourcensammlung zum Thema bereithält.