Kategorie-Archiv: Strategie

Quartiersvernetzung fördern (Teil 9) – Leitfaden”Quartiersentwicklung”

Eine “Handreichung Quartiersentwicklung” zur praktischen Umsetzung sozialraumorientierter Ansätze in der Altenhilfe  hat das Kuratorium Deutsche Altershilfe (KDA) Mitte Juni 2016 veröffentlicht.

Die Handreichung soll den lokalen Akteuren dabei helfen, Quartiere und ihre Infrastruktur so weiter zu entwickeln, dass sie altersgerecht sind und Senioren möglichst lange in ihrem Umfeld wohnen bleiben können. Von barrierefreien Wohnungen, Einkaufsmöglichkeiten in der Nähe, guten ÖPNV-Verbindungen und Begegnungsmöglichkeiten profitieren dabei nicht nur alte Menschen, sondern auch andere Quartiersbewohner (Familien, Jugendliche, Zuwanderer, Bürger mit Behinderungen usw.).

Folgende Elemente sind für den Prozess der Quartiersentwicklung wichtig und werden im Leitfaden ausführlich besprochen:

  1. Ist-Analyse des Quartiers: Zuerst müssen die Stärken und Schwächen eines Quartiers erhoben werden. Daten dafür gibt es u.a.  in der Regionaldatenbank Deutschland und im Interaktiven Regionalatlas. Aber auch die Quartiersbewohner können Orte im Quartier kartieren, die für die wichtig sind. Versorgungslagen und -defizite können über Interviews, Fragebögen und Quartiersbegehungen abgefragt werden. Ein Musterfragebogen und diverse Checklisten, um das örtliche Versorgungsangebot zu erheben, sind in der Handreichung vorhanden.
  2. Projektmanagement: Der Leitfaden bietet Hilfen zu den Themen Projektvorbereitung, -planung, – durchführung und -abschluss und enthält unterschiedliche Checklisten wie bspw. eine Checkliste “Kick-off-Veranstaltung”, auf der das Konzept der altersgerechten Quartiersentwicklung den Bewohnern eines Stadtbezirks oder Stadtteils vorgestellt wird.
  3. Kooperation und Vernetzung: Altersgerechte Quartiersentwicklung setzt auf Vernetzung im Quartier, weil kein einzelner Akteur die Aufgaben stemmen kann, die mit einem sozialraumorientierten Ansatz einhergehen. Der Leitfaden beschreibt unterschiedliche lokale Netzwerkformen und den Nutzen von Netzwerken, erklärt, wie eine Stakeholder-Analyse gemacht wird und bietet Checklisten für den Netzwerk-Aufbau und die Arbeit in Netzwerken
  4. Partizipation: Bürger sollen in die Bedarfsermittlung, Planung und Umsetzung von altersgerechten Quartieren einbezogen werden. Der Leitfaden listet auf S. 90 unterschiedliche Bürgerbeteiligungsmethoden auf, die von der Quartiersbegehung bis zum Runden Tisch, Open Space-Veranstaltungen und Zukunftswerkstätten reichen.
  5. Nachhaltigkeit und Finanzierung: Um sozialraumbezogene Konzepte erfolgreich umsetzen zu können, braucht es dem Leitfaden zufolge ein professionelles Quartiersmanagement und eine längerfristige Finanzierung. Letztere wird oft durch eine Umlage oder Pauschale finanziert, die Bewohner des betreuten Wohnens oder Mieter von Wohnungsgenossenschaften zahlen, wie bspw. im Fall der “Freien Scholle” in Bielefeld.

Die Handreichung des KDA richtet sich an Fachleute. Obwohl auch Bürger einen wichtigen Anteil an der Quartiersentwicklung haben und oftmals Vereine oder Genossenschaften mit Quartiersprojekten beginnen, steht in dem Leitfaden eher die kommunale, in jedem Fall aber die professionelle Perspektive im Mittelpunkt.

Für mich bleibt zum Schluss die Frage ungeklärt, weshalb man das Konzept auf “altersgerechte Quartiere” konzentriert, wenn Barrierefreiheit und inklusive Strukturen nicht nur für alte Menschen, sondern auch für alle anderen Quartiersbewohner/innen wichtig sind. In diesem Fall wäre es doch besser, gleich von vornherein eine “inklusive Quartiersentwicklung” in den Blick zu nehmen und sich nicht strategisch und begrifflich auf eine Zielgruppe zu beschränken.

Gute Prinzipien für das Freiwilligenmanagement

Das Freiwilligenmanagement in gemeinnützigen Organisationen wird häufig an den Erkenntnissen ausgerichtet, die im betriebswirtschaftlichen Personalmanagement gesammelt wurden. Die Managementaufgaben im Umgang mit den Freiwilligen werden in die folgenden Phasen eingeteilt: Planung, Rekrutierung, Orientierung und Training, Supervision und Monitoring, Anerkennung, Verabschiedung/Trennung. Die Freiwilligentätigkeit wird in der Organisation so gehandhabt wie eine ganz gewöhnliche  betriebliche Beschäftigung.

Dieses “Arbeitsplatzmodell” des Freiwilligenmanagements wird dem Umstand nicht gerecht, dass es häufig in den Institutionen keine ganz klar abgegrenzten Aufgaben für einen Freiwilligen gibt, sondern diese in der Praxis ausgehandelt werden zwischen dem Freiwilligen, den bezahlten Mitarbeitern, der Führungsebene und anderen Stakeholdern der Organisation. Die Freiwilligen sind hier eher “Co-Worker” der professionellen Mitarbeiter als “Dienstleister” (Rochester 1999). In diesem Fall muss auch das Freiwilligenmanagement den Aushandlungsprozessen zwischen Freiwilligen und Mitarbeitern Rechnung tragen.

Sibylle Studer hat die Komponenten bzw. Prinzipien eines interaktionalen Freiwilligenmanagements in einem wissenschaftlichen Aufsatz  (2015) zusammengetragen. Sie hat dafür die relevante Fachliteratur und 399 ausgefüllte Fragebögen von Freiwilligenmanagern aus schweizerischen Nonprofit-Organisationen ausgewertet.  Was ist wichtig, um im Rahmen des Freiwilligenmanagements Aushandlungsprozesse zwischen Freiwilligen und Mitarbeitern, Freiwilligen und der Führungseben der Organisation und den Stakeholdern einer Einrichtung erfolgreich zu steuern?

  • Unterschiedliche Interessen und Werte müssen ausbalanciert werden
  • Für den Einsatz und die Wertschätzung von Freiwilligen ist in der Organisation Überzeugungsarbeit zu leisten
  • Freiwillige brauchen Partizipations – und Mitbestimmungsmöglichkeiten
  • Strategisches Commitment, d.h. die Führung der Organisation muss den Einsatz von Freiwilligen befürworten, diesen fördern und in die dafür zuständigen Organisationsstrukturen investieren
  • Koordination und Austausch in Freiwilligen-Angelegenheiten über Organisationsgrenzen hinweg
  • Rollenklarheit bei Freiwilligen und bezahlten Mitarbeitern schaffen
  • Den Teamgeist in der Organisation stärken
  • Respekt und Wertschätzung der Freiwilligen fördern

(Studer 2015, S. 10 und 11). Diese Prinzipien beeinflussen die Ergebnisse des Freiwilligenmanagements laut Studer positiv. Wobei hier die Ergebnisse “Rekrutierung” und “Erhalt” von Freiwilligen im Mittelpunkt der Betrachtung stehen. Lediglich die Komponenten “Partizipation und Mitbestimmung” bleiben ohne positive Korrelation mit dem outcome des Freiwilligenmanagements, – ein Ergebnis, das Studer verwundert (ebd., S. 17). Ihr zufolge könnte eine mögliche Erklärung dafür sein, dass Freiwillige, die mitgestalten wollen, gemeinsam mit anderen Freiwilligen ihre eigenen Projekte organisieren und nicht mehr beim klassischen Ehrenamt in Organisationen mitmachen (ebd.).  Schaut man sich die Ergebnisse des Deutschen Freiwilligensurveys 2014 an, dann sieht man tatsächlich, dass der Anteil derjenigen steigt, die in selbstorganisierten Gruppen aktiv sind, und der Anteil jener sinkt, die sich in formalen Organisationen  engagieren (Freiwilligensurvey 2014, S. 522). Gleichzeitig ist im Freiwilligensurvey aber zu lesen, dass die Mehrheit der Freiwilligen ihre Mitsprachemöglichkeiten in Organisationen als gut oder sehr gut bewerten, – wobei die Älteren die Dinge positiver sehen als die Jüngeren (Freiwilligensurvey 2014, S. 526).

Laut Studer eignen sich die obigen Prinzipien sehr gut, um organisationsintern das eigene Freiwilligenmanagement auf den Prüfstand zu stellen und zu schauen, inwieweit es den Prinzipien des interaktionalen Freiwilligenmanagements gerecht wird.

Studer hat ihre Forschungsergebnisse gemeinsam mit Schnurbein in einer deutschsprachigen Studie zusammengefasst, die Umsetzungshilfen und Checklisten für Nonprofits enthält:
Studer, S./ von Schnurbein, G.: Integrierte Freiwilligenkoordination, CEPS Forschung und Praxis Bd. 9, Basel: CEPS, 2013.

Ein Manko der  ganzen Untersuchung ist, dass die Komponenten für ein interaktionales Freiwilligenmanagement nur aus Organisations- und Wissenschaftsperspektive zusammengestellt wurden. Die Freiwilligen selbst wurden nicht befragt.

Inklusion durch Innovation

Am 30. Januar 2016 findet in München das zweite openTransfer CAMP Inklusion statt. Im Vorfeld laden die Macher von openTransfer in Kooperation mit der Aktion Mensch zu einer NPO-Blogparade ein über die Frage “Wie kommt Barrierefreiheit im Netz voran?”. Beiträge sind bis zum 28.1. 2016 willkommen.

Die Inklusion von Bürgern – mit und ohne Behinderung – in das örtliche Gemeinwesen kann durch innovative Praktiken vor Ort gefördert werden. Zu diesen Praktiken zählen:

  • der Aufbau von Netzwerken
  • der Wissenstransfer
  • die Förderung von Bürger-Ideen und Bürger-Projekten
  • das Bürgerengagement von Menschen mit und ohne Behinderung
  • die Nutzung des Internets

Die Bedenken mancher Kommune,  angesichts knapper Budgets und überlasteter Mitarbeiter/innen nur wenig Handlungsspielräume für die Realisierung eines inklusiven Gemeinwesens zu haben, sind viel zu pessimistisch. Geld ist nicht alles – wichtig sind auch neue Praktiken, die die vorhandenen Ressourcen besser nutzen und Menschen im Gemeinwesen über Fach-, Sektoren- und Quartiersgrenzen hinweg zusammenführen.

In vielen Gemeinden gibt es schon Arbeitsgruppen oder Beiräte, die sich mit dem Thema “Inklusion” befassen. Allerdings sind diese in der Regel nicht trisektoral (Zivilgesellschaft, Verwaltung, Wirtschaft),  – oft bleiben Bürger und die Stadt unter sich. Wenn ein Gemeinwesen aber inklusiver werden soll, dann müssen alle Bereiche einer Stadtgesellschaft an einen Tisch, – man kann es sich nicht leisten, einen Sektor außen vor zu lassen und damit auf Ressourcen und Handlungsmöglichkeiten zu verzichten.

Wer sich vor Ort mit inklusiven Maßnahmen auf den Weg macht, sollte offensiv darüber berichten und das Thema auf der Gemeinde- und Vereinswebseite bzw. in den örtlichen Publikationen nicht aussparen oder am Rand abhandeln. Nur wer regelmäßig über die örtlichen Inklusions-Schritte  und über Begegnungs- und Mitmachmöglichkeiten berichtet, kann damit rechnen, dass das Thema im Bewusstsein des Gemeinwesens ankommt und Mitstreiter für gemeinsame Aktivitäten gefunden werden.

Das Internet spielt eine wichtige Rolle, um Wissen zwischen Sektoren und über Gemeindegrenzen hinweg zu teilen und Wissensspeicher anzulegen, auf die alle zugreifen können, die Tipps brauchen, wie inklusive Strukturen aufgebaut werden können.  Auch Bürger-Ideen und freiwillig Engagierte können online gesucht werden. Dafür sollte man Freiwilligendatenbanken nicht nur technisch, sondern auch inhaltlich barrierefrei machen. D.h. in den Datenbanken müssen sich auch Informationen dazu finden lassen, ob Orte des Engagements barrierefrei sind und welche der ehrenamtlichen  Tätigkeiten  sich bspw. für Menschen mit Lernbehinderung eignen.  Auch die Möglichkeiten des Online-Volunteering sollten stärker ausgebaut werden. Das digitale Ehrenamt bietet gerade Menschen, die in ihrer Mobilität eingeschränkt sind, viele interessante Möglichkeiten, siehe hierzu den Beitrag von Henning Baden für die aktuelle NPO-Blogparade.

Bürger sollten ermuntert werden, eigene Ideen, die die Inklusion voranbringen, umzusetzen. Sie sollten dafür eine Infrastruktur zur Engagement-Förderung nutzen können, die bedarfsorientiert berät und unterstützt. In diese Beratung sind örtliche Experten aus allen Bereichen als Mentoren für Bürgerengagement einzubeziehen, – erfahrene Engagierte, Vereinsvorstände, Kirchengemeinde-Vertreter, örtliche Stiftungen, gemeinnützige Organisationen und Vertreter von Kommune und Wirtschaft. Professionelle Sozialeinrichtungen sind ebenfalls gefordert, sich über ihre unmittelbare Aufgabe hinaus als örtliche Berater für ein inklusives Gemeinwesen anzubieten.

Innovative Praktiken sind der Schlüssel für vieles auf lokaler Ebene, so auch für Inklusionsprozesse. Sie setzten vor Ort den Willen zur Kooperation und zum Lernen voraus.

Gerade Verbände und Initiativen von Behinderten sollten sich lokal ofensiv mit ihrem Umfeld vernetzen, um in Form einer lokalen Allianz das Thema Inklusion voranzutreiben.  An dieser Vernetzung untereinander und mit dem Gemeinwesen mangelt es noch häufig auf örtlicher Ebene.