Wie kann man Partizipationsprozesse – gleichgültig ob online oder offline – so organisieren, dass sich möglichst viele Bürger einbringen?
Bürgerbeteiligung über das Internet oder in den Einrichtungen auf lokaler Ebene krankt häufig daran, dass nur wenig Bürger erreicht werden und zumeist auch nur bestimmte Bildungsschichten und soziale Milieus. Erst jüngst hat das WZB dargelegt, wie eng der Zusammenhang zwischen Einkommen und gesellschaftlichem Engagement ist und welche bedeutende Rolle das Bildungsniveau spielt, das Persönlichkeitsmerkmale fördert, die auf Beteiligung abzielen (wie Kreativität, Veränderungswille etc.)(Böhnke/Dathe 2010).
Wie kann man diese faktische Verengung der Bürgerbeteiligung aufbrechen? Wie können Partizipationsmöglichkeiten so ausgestaltet und unterstützt werden, dass sie über das “Empowering the Empowered” hinausgehen und möglichst viele Bevölkerungsgruppen ansprechen?
Es reicht offensichtlich nicht aus, online einen Aufruf mit der Bitte um Feedback, Teilnahme etc. zu starten oder auf lokaler Ebene Online-Konsultationen und ähnliches zu beginnen verbunden mit der Einladung an die Bevölkerung, sich einzubringen.
Der Rat von professioneller Seite, Partizipationsprojekte – in diesem Fall die E-Partizipationsmöglichkeiten auf lokaler Ebene – noch stärker zu bewerben, wird für den Erfolg von Beteiligungsprozessen nicht genügen. Wer nicht von klein auf gelernt hat, sich einzubringen, hat auch als Erwachsener keine guten Voraussetzungen, wenn es um die Wahrnahme von Partizipationsmöglichkeiten geht.
Ein sehr praktisches Tool, um den Wirkungsgrad von Partizipationsprojekten zu vergrößern, ist das CLEAR-Modell von Pratchett/Durose/Lowndes u.a. (2009). Wer an dem Aufbau von Partizipationsprozessen interessiert ist, die breite Bevölkerungsschichten erreichen, der kann mit Hilfe des CLEAR-Modells effektive Beteiligungsprojekte entwerfen oder bestehende Beteiligungsangebote auf ihre Stärken und Schwächen hin untersuchen.
Das CLEAR-Modell umfasst fünf Kriterien. Sie berücksichtigen die Seite der Bürger und die der Institutionen, weil beide Seiten in wechselseitiger Abhängigkeit voneinander stehen. Anders ausgedrückt: ohne responsive Organisationen läuft das Bürgerengagement ins Leere und ohne engagierte Bürger bleiben Partizipationsangebote von Institutionen ohne Feedback.
Die fünf Kriterien des CLEAR-Modells für effektive Partizipationsprozesse (s.S. 9ff):
1. Bürgern müssen die Kompetenzen vermittelt werden, die notwendig sind, um am Gemeinwesen partizipieren zu können (“Can do”). Dazu gehört auch, vor Ort für eine Infrastruktur zu sorgen, die Partizipation ermöglicht (Internetzugang, Bildungsangebote, Räumlichkeiten für Treffen usw.).
2. Bürger müssen darin befähigt und unterstützt werden, sich untereinander und mit Organisationen zu vernetzen. Ohne soziale Einbindung fehlt vielen das Motiv, sich an öffentlichen Angelegenheiten stärker zu beteiligen(“Like to”).
Hier muss noch ergänzt werden, dass die Netzwerke, über die der einzelne verfügt, ihm auch Kompetenzen und Unterstützung vermitteln können, die Beteiligung fördern.
Dieser netzwerkorientierte Aspekt des CLEAR-Modells ist sehr wichtig, weil er die dominierende bilaterale Sichtweise verlässt, die sich auf das Verhältnis zwischen Verwaltung und Bürgern oder zwischen Bürgern und NPOs konzentriert. Der Vernetzungsgrad von Bürgern bzw. die kollektive Dimension hat großen Einfluss darauf, ob Bürger sich beteiligen oder nicht.
3. Organisationen müssen Bürgern Partizipationsmöglichkeiten bieten (“Enabled to”). Wo zivilgesellschaftliche Einrichtungen und Beteiligungsmöglichkeiten fehlen, sinkt die Partizipationsbereitschaft der Bürger.
4. Organisationen müssen Bürger aktiv um ihre Beteiligung bitten. Die Mobilisierung von Bürgern durch ganz unterschiedliche Angebote ist wichtig, weil Bürger verstärkt partizipieren, wenn sie sich angesprochen fühlen (“Asked to”).
5. Organisationen müssen sich Bürgern gegenüber responsiv verhalten, d.h. sie müssen bereit sein zum Zuhören und Antworten (“Responded to”). Wo diese Bereitschaft fehlt, weil Entscheidungsprozesse hierarchisch gefällt werden oder anderen Stakeholdern mehr Gewicht beigemessen wird, erlahmt auch die Beteiligungsbereitschaft der Bürger.
Mit Hilfe des CLEAR-Modells können auch Defizite in der Social Media-Anwendung aufgezeigt werden. Der Schwerpunkt von Organisationen – auch den gemeinnützigen – liegt hier sehr häufig auf der versuchten Mobilisierung von Bürgern unter Vernachlässigung der ersten beiden Punkte, den Kompetenzen und der Vernetzung von zivilgesellschaftlichen Akteuren.
Wenn Social Media zur Interaktion und zum Dialog mit Bürgern führen soll, dann müssen die Beteiligungskompetenzen von Bürgern gefördert und muss ihre Vernetzung untereinander gestärkt werden. Social Media-Strategien, die diese beiden Aspekte berücksichtigen, werden auf Dauer erfolgreicher sein als jene, die auf solch unterstützende Maßnahmen verzichten.
Die digitale Inklusion und die politische Erwachsenenbildung müssen also durchaus ein Thema sein für alle, die sich von der Bürgerschaft mehr Partizipation erhoffen, ob online oder offline.
Danke für den Hinweis auf das CLEAR-Modell.
Die genannten fünf Punkte sind sicherlich richtig. Allerdings fehlt m.E. die von allen wichtigste Bedingung, nämlich dass mit der Zeit ein direkter Zusammenhang erkennbar sein muss zwischen Beteiligung der Teilnehmer (Input) und tatsächlicher Einflussnahme auf die jeweiligen Entscheidungen (Output). Letztendlich lassen sich Bürger auf Dauer nur zur Beteiligung motivieren, wenn die realistische Aussicht besteht, dass am Ende auch wirklich etwas bei dem Prozess herumkommt.
Das unter Punkt fünf erwähnte “Zuhören und Antworten” ist, wo es angemessen ist, ein guter Anfang, reicht alleine aber vermutlich nicht aus. Vielmehr kommt es darauf an, konsistent je nach Situation das richtige Maß an Beteiligung anzubieten und dabei nie die Erwartungen der Teilnehmer zu enttäuschen.
Der von Ihnen vermisste Zusammenhang zwischen Input und Output ist in Punkt 5 (“Responded to”) schon erhalten, weil es hier ja nicht nur um Kommunikation geht, sondern auch um veränderte Policy-Antworten. Pratchett u.a. (2009) haben diese policy-orientierte Perspektive ganz klar im Fokus, wenn sie formulieren: ” ‘Responded to’ captures the idea that for people to participate on a sustainable basis they have to believe that their involvement is making a difference, that it is achieving positive benefits” (S. 12).
Allerdings ist der Zusammenhang zwischen Input und Output der Bürgerbeteiligung in der Regel kein mechanistischer. Nicht immer werden die Forderungen der Bürger 1:1 umgesetzt werden. Es kommt für beide Seiten – für Bürger und Institutionen – darauf an, sich auf Diskurse und partizipative Verfahren einzulassen. Im Idealfall entstehen so Ergebnisse, die das Wissen und den Willen beider Seiten zusammentragen und den gesellschaftlichen Mehrwert von Entscheidungen verbessern, – verglichen mit Ergebnissen, die eine Seite alleine gefällt hätte.
Toller Beitrag.
Die 5 Ebenen machen klar, was noch alles vor uns liegt. Zumal nur die Hälfte der Deutschen regelmäßig das Internet nutzt. Gerade das Internet als Beteiligungsinstrument zu erleben ist sehr wichtig. Der Nutzen wird mir erst wirklich ersichtlich, wenn ich selbst partizipiere. Leider werden immer noch zu oft solche Möglichkeiten zur Partizipation als Mehraufwand gesehen, obwohl darin eine große Chance liegt hin zu mehr gemeinsamer Verantwortung und zur Vernetzung von Ideen.
…ja, es liegen noch viele Aufgaben vor uns. Und es ist sicher eine sehr verkürzte Sichtweise – die von vielen eingenommen wird – sich nur auf Web-Tools zu konzentrieren und das Can do in seiner gesamten Dimension sowie das Like to und Asked to auszublenden. Ich bin zwischenzeitlich überzeugt davon, dass die Bedingungen für den erfolgreichen Umgang mit Social Media im offline-Bereich wurzeln und es insofern keinen Mehrwert bringt, wenn man nur auf das Netz fixiert ist und reale Strukturen (in der Gesellschaft, in Organisationen, in den Gemeinden) aus dem Auge verliert.