Kategorie-Archiv: Bürgergesellschaft

Community Organizing – Theorie und Praxis

Die Stiftung Mitarbeit hat in Kooperation mit dem Deutschen Institut für Community Organizing und dem Forum Community Organizing e.V.  das “Handbuch Community Organizing, Theorie und Praxis in Deutschland” (2014) veröffentlicht. Die Publikation enthält vierzig Beiträge und Interviews zum Thema.  Ich habe den Band durchgearbeitet, um klarer zu sehen, was man unter “Community Organizing” hierzulande versteht.

Das Community Organizing (CO) hat seine Wurzeln in der amerikanischen Arbeiter- und Bürgerrechtsbewegung. In Deutschland fehlt diese Anbindung des CO an Soziale Bewegungen (Rothschuh, 26).

In unserem Land wird das CO eher als eine Methode der Gemeinwesenarbeit und der Bürgerbeteiligung verstanden, die Bürgern  – und zwar gerade jene in benachteiligten Vierteln – mehr Teilhabe verschaffen kann. Die Teilhabe wird durch eine Organisierung der Zivilgesellschaft in Form von “Bürgerplattformen” auf lokaler Ebene erreicht.  Die Bürgerplattformen treten als Verhandlungspartner gegenüber Wirtschaft, Verwaltung und Politik auf. Sie bestehen aus einzelnen Bürgern und/oder zivilgesellschaftlichen Gruppen, die unter sich ein dichtes und grenzüberschreitendes Beziehungsnetz knüpfen, um gemeinsam handlungsfähig zu werden (Penta/Düchting, 55). Konflikte mit Staat und Wirtschaft werden nicht gemieden,  sondern gesucht und offen ausgetragen, denn “ohne Auseinandersetzungen (…) wird es kaum Veränderung geben” (Müller/Szynka, 17).

Das Denken in Machtkategorien und Verteilungskonflikten prägt das klassische Community Organizing. Von der Gewerkschaftsbewegung wurde überdies die wichtige Bedeutung des Organisierens für soziale Bewegungen übernommen (“organize the organizations”). Dennoch versteht sich das CO als ein “parteipolitisch und konfessionell unabhängiger Ansatz der zivilgesellschaftlichen Selbstorganisation, um lösungsorientiertes, öffentliches Engagement auf breiter gesellschaftlicher Basis von unten aufzubauen” (Penta/Düchting, 53). Auf diese Weise soll unsere Demokratie revitalisiert werden.

In Deutschland wurden zwischenzeitlich einige Bürgerplattformen gegründet, zumeist auf Initiative des Deutschen Instituts für Community Organizing in Berlin (z.B. WIN-Wir in Neukölln, SO! MIT UNS im Südosten Berlins). Themen der Bürgerplattformen sind u.a. die Schaffung von Arbeitsplätzen, der Zustand des öffentlichen Raums, öffentliche Sicherheit, Bildung, Wohnraummangel und hohe Mieten, Verkehrsbelastungen, die Versorgung mit Haus- und Fachärzten, – kurz gesagt: Themen mit großer Bedeutung für die Bürgerschaft einer Kommune oder eines Quartiers.

Das CO setzt in seiner amerikanischen Tradition auf eine Distanz zum Staat und zur Sozialen Arbeit. Wichtig ist den Organizern auch eine staatsunabhängige Finanzierung ihrer Tätigkeit. Diese amerikanisch geprägte, staatskritische Perspektive blendet die Errungenschaften der Sozialstaatlichkeit und die Potentiale Sozialer Arbeit aus. Sozialarbeit kann vom Community Organizing lernen und ihre bürgerschaftliche, beteiligungsorientierte Dimension stärker betonen und fördern . Aber  “klar ist: CO ist nicht Sozialarbeit” (Oelschlägel, zit. nach Fehren, 66), sondern geht darüber hinaus und in den politischen Bereich hinein. Denn der Sozialen Arbeit und hier speziell den gemeinnützigen Trägern, fehlt aus CO-Sicht die Macht, um Probleme anwaltschaftlich lösen zu können. “Wir müssen erkennen, dass wir mit den Leuten, über deren Power, Dinge in Bewegung setzen können, die wir selber gar nicht umsetzen oder gar nicht in Bewegung bringen könnten” (Schaaf, 219).

Der Organizing-Prozess gliedert sich in die folgenden Phasen (Richers, 91):

  •  Zuhören:  wo liegen die Probleme? Welches Aktionsthema wird gewählt?
  • Recherche und Strategieentwicklung
  • Gemeinsames Handeln und Aktionen
  • Zivilgesellschaft nachhaltig, wirksam und demokratisch organisieren

Die Rolle des Organizers ist es, im Hintergrund zu bleiben und die Bürger selbst handlungsfähig zu machen (ebd., 92).

Einen interessanten Aspekt über die Chancen des Community Organizing bringt im aktuellen Sondernewsletter des BBE (01/2014)  Loring Sittler (Leiter Generali Zukunftsfond) ins Spiel.  Ihm zufolge könnte das CO zum wichtigen Treiber werden,  wenn es darum geht, im Rahmen des demografischen Wandels bürgerschaftlich organisierte Nachbarschaftshilfeprojekte aufzubauen.  Denn das CO setze auf  eine möglichst breite Beteiligung durch interkulturelle Arbeit und Integration sowie auf Selbstbestimmung. Und gerade die “wirksame Teilhabe” sei “das wichtigste Motiv für bürgerschaftliches Engagement” (Sittler, 2).

An diesem Beispiel kann man aber auch die Grenzen des Community Organizing erkennen. Man kann lokal viele gute Projekte anstoßen, aber in der Umsetzung erweist sich manches als schwierig oder zäh, weil die bestehenden institutionellen Regelungen Bürgerengagement bremsen oder nicht kompatibel sind mit den Zielen der Bürgerplattformen. Die Regeln, die in den Politikfeldern gelten, werden zumeist nicht lokal, sondern auf Bundes- oder Landesebene bestimmt, so dass sich vor Ort Handlungsfenster reduzieren oder öffentliche und bürgerschaftliche Aktivitäten parallel laufen, was die Effektivität des Bürgerengagements nicht wirklich fördert. Bevor z.B. das Community Organizing zum Treiber für zivilgesellschaftliche Nachbarschaftshilfeprojekte werden kann,  müsste erst die Pflegeversicherung von Grund auf reformiert werden. Die lokale Netzwerkbildung wäre zu fördern und eine Aufwertung der Sozialstationen als Vernetzer in den Familien und im Quartier müsste erfolgen, damit das professionelle System und die bürgerschaftlichen Aktivitäten auch sinnvoll zusammenpassen und sich ergänzen.

Andererseits kann erfolgreiches Organizing auf lokaler Ebene politische Prozesse in Bund und Ländern anstoßen, die Politikfelder verändern. Insofern lohnt es sich, als Bürger/in vor Ort mit der aktiven Partizipation im Rahmen von Bürgerplattformen zu beginnen.

Vereine stärken – ein Leitfaden für die Praxis

Vereine bilden die institutionelle Basis der Zivilgesellschaft, aus diesem Grund sollte der Zustand der Vereine in jeder Kommune ein wichtiges Thema bilden. Zwar gibt es auch neue Formen des zivilgesellschaftlichen Engagements – Netzwerke,  Initiativen, Bewegungen, digitale Plattformen usw. Aber diese Formen des Engagements sind aufgrund ihres informellen Charakters schwerer zu greifen. Sie sind “unter dem Radar” der Nonprofit-Forschung und öffentlichen Förderung aktiv.

Für Vereine und damit für den formalisierten zivilgesellschaftlichen Bereich hat das Bundesnetzwerk Bürgerschaftliches Engagement (BBE) eine Ressource ausgearbeitet, die sich besonders auch an die Kommunen richtet. Diesem Papier (“Vereine in der Kommune. Chancen und Herausforderungen”) wünsche ich eine große Verbreitung. Es enthält viele wichtige Anregungen, wie Vereine unterstützt und weiterentwickelt werden können und ist sehr praxisnah verfasst.

Das BBE-Papier basiert auf der Überzeugung, dass Vereine ein “nicht wegzudenkender Faktor in der lokalen Engagementkultur” sind (S. 3) und dass sie bestimmte Bedingungen brauchen, um zur örtlichen Partizipationskultur beitragen zu können. Viele Vereine stehen vor großen Problemen: der Nachwuchs fehlt, Ämter können nicht besetzt werden, der Verein überaltert. Hier sind die Vereine selbst gefragt, interne Prozesse und ihre Öffentlichkeitsarbeit zu verändern und sich lokal stärker mit anderen Organisationen zu vernetzen, um die eigene Effizienz und Effektivität zu steigern.

Gleichzeitig sind aber auch die Kommunen wichtige Unterstützer der örtlichen Vereinslandschaft, nicht nur wenn es um deren finanzielle Förderung geht. Auch methodisch und inhaltlich können örtliche Freiwilligenagenturen und ähnliche Einrichtungen die Vereine auf ihrem Weg begleiten. Diese Unterstützung sollte nicht als untergeordnetes Thema, sondern als Führungsaufgabe der kommunalen Spitze begriffen werden, wie es im BBE-Papier heißt, denn die Vitalität der örtlichen Zivilgesellschaft und das Ausmaß des Bürgerengagements ist eng mit der Vitalität und Leistungsfähigkeit von Vereinen verwoben.

Das BBE -Papier sieht in den folgenden fünf Bereichen Handlungsbedarf auf Seiten der Vereine:

  • Vereinsprobleme benennen und öffentlich machen, d.h. Probleme bei der Ämterbesetzung nicht verschweigen, sondern in das Gemeinwesen hineintragen, Unterstützung erbitten, um Mitglieder werben, auch über das Internet (eine digitale Präsenz ist bei vielen kleinen Vereinen und solchen mit älterer Mitgliedschaft nicht gegeben)
  • Nachwuchs gewinnen indem man auf die Bedürfnisse potentieller Freiwilliger eingeht, u.a. mit flexiblen Engagementmöglichkeiten und Engagement-Begleitern
  • Vorstandsaufgaben entlastend organisieren und attraktiv gestalten, indem man sie in Einzelaufgaben zerlegt, die Teamarbeit fördert und stärker auf Tandemlösungen setzt (Jung und Alt gemeinsam)
  • Ein gutes Miteinander aufbauen durch eine gute Kommunikationskultur und Beratungsangebote im Falle von internen Konflikten vorhalten.
  • Effizienz und Effektivität des Vereins stärken durch Vernetzung mit anderen Vereinen und Organisationen, um voneinander zu lernen und bestimmte Vereinsaufgaben (wie z.B. die IT-Betreuung) personell zusammenzulegen.  (Siehe hier auch die Chancen für Vereine durch Tauschnetzwerke unter Gemeinnützigen)

Die Kommunen sollten

  • die Bedeutung der Vereine für die örtliche Zivilgesellschaft herausstellen und das eigene Personal dafür sensibilisieren. Informationsportale der Kommune sollten zur Selbstdarstellung der Vereine geöffnet werden
  • Beratungs- und Vernetzungshilfen für Vereine bereitstellen und diese auch öffentlich kommunizieren
  • mit Vereinen partnerschaftlich zusammenarbeiten und sie in örtliche Beteiligungsprozesse einbeziehen

Die Länder können die örtlichen Aktivitäten durch Serviceeinrichtungen und Expertenpools und Plattformen für den Wissenstransfer fördern.

Viele Kommunen unterstützen schon die Weiterentwicklung der kommunalen Vereinslandschaft, in vielen Orten wird das Thema aber verdrängt oder ausgesessen. Obwohl gerade der demografische Wandel den Aufbau und die Pflege lokaler Netzwerke und des lokalen Engagements nahelegt. Neben den Vereinen sollten auch die oben erwähnten gering formalisierten bürgerschaftlichen Netzwerke eine Chance auf inhaltliche Unterstützung und finanzielle Förderung bekommen. Sie stehen derzeit noch nicht im Fokus der lokalen Engagementförderung.

Mehr Hilfen für Vereine, denen Ehrenamtliche fehlen, um Ämter besetzen zu können, bietet auch das Programm “Besetzung und Qualifizierung ehrenamtlicher Vereinsvorstände” der Robert-Bosch-Stiftung.  Vereine aus drei Bundesländern können hier mitmachen und sich um eine Aufnahme in das Programm bewerben.

Netzwerke im demografischen Wandel – Auswertung der 27. NPO-Blogparade

(Brigitte Reiser) Der folgende Beitrag gibt einen inhaltlichen Überblick über die Artikel, die von Bloggerinnen und Blogger für die 27. NPO-Blogparade geschrieben wurden. Das Thema lautete “Netzwerke im demografischen Wandel aufbauen – Chancen und Hindernisse?”. Hostblogs waren openTransfer und Nonprofits-vernetzt, in Kooperation mit Stefan Zollondz.

“Wir werden lebenslang arbeiten” – schreibt Uwe Amrhein von der Stiftung Bürgermut. Er lenkt in seinem Beitrag den Blick auf die finanziellen und sozialpolitischen Auswirkungen des demografischen Wandels. Diesen werden wir mit einer Verschiebung des Rentenalters “zwei Jahre nach oben oder nach unten” nicht bewältigen können. Was wir ihm zufolge brauchen, ist eine “neue Vision einer solidarischen und gerechten Gesellschaft” und einen neuen Begriff von ‘Arbeit’, der nicht nur auf ‘Erwerbsarbeit’ fokussiert, sondern die Freiwilligenarbeit und Familienarbeit mit einschließt. Bürgerschaftliches Engagement wird uns bis ins hohe Alter begleiten, – nicht als Zwang, sondern als Chance für den einzelnen, weil Mitmachen mehr Spaß macht als einsam in der Laube zu sitzen. Sind Kommunen und zivilgesellschaftliche Organisationen auf die Herausforderung, Alte und Hochbetagte als Freiwillige flexibel einzubinden, vorbereitet? Nein, das sind sie nicht, schreibt Amrhein. Zu wenig ausdifferenziert sind die Engagement-Angebote gemeinnütziger Organisationen, zu wenig geschätzt werden auch die Potentiale der Hochbetagten. Starre Altersgrenzen im Ehrenamt diskriminieren laut Amrhein jene, die teilhaben wollen.  Sein Fazit: “Vereine, Verbände und Initiativen, die sich nicht altersgerecht organisieren, werden untergehen. Sie werden umkippen wie Tümpel ohne Sauerstoffzufuhr.”

Netzwerke spielen im demografischen Wandel eine große Rolle, weil sie – als formale oder informelle Netzwerke – die Struktur bieten für viele gemeinschaftsbezogene Initiativen wie Nachbarschaftshilfen, Tauschringe im Quartier usw.  Ein Beispiel dafür, wie städtische Anonymität aufgebrochen werden kann und neue Nachbarschaften entstehen, zeigt Henrik Flor von openTransfer am Beispiel der Fischerinsel in Berlin-Mitte, wo der SeniorenComputerClub Berlin-Mitte mit seinen selbstorganisierten IT-Schulungen die Nachbarschaft vernetzt. Ältere machen hier den Schritt in den digitalen Raum und lernen sich gleichzeitig besser kennen, – ein Beispiel , das laut Flor Schule machen sollte. “Man wünscht sich noch viel mehr solcher Clubs in Deutschland”.

Auf die Potentiale digitaler Netzwerke im demografischen Wandel weist Angela Ullrich vom betterplace lab hin. Sie bezieht sich auf das britische Online-Netzwerk “The Circle” , das  älteren Menschen Hilfen vermittelt, die von Freiwilligen geleistet werden oder von bezahlten Nachbarschaftshelfern. Wer Hilfe leistet, verdient sich einen Gutschein, mit dem er im Netzwerk wieder andere Angebote abrufen kann. In vielen Londoner Bezirken und diversen Kommunen haben sich eigenständige “Circles” gebildet, die als Sozialunternehmen geführt werden.  Deren Finanzierung ist aber so prekär, dass vor kurzem der Londoner Circle schließen musste, was Ullrich bedauert:”Wenn es aber stimmt, dass dieses Netzwerkmodell den Gemeinden am Ende viel Geld einspart, sollte sich doch ein privater Investor finden, der zwischenfinanziert.” Anzumerken ist noch, dass der erste “Circle” im Rahmen eines Co-Design-Prozesses entstand, an dem über 250 alte Menschen mitwirkten.

Wer nach guten Praxisbeispielen zu Netzwerken im demografischen Wandel sucht, wird auf demographiekonkret.de der Bertelsmann-Stiftung fündig. Anke Knopp  von der Stiftung schreibt in ihrem (noch unveröffentlichten) Beitrag, dass hier schon 197 Projekte eingestellt wurden, nach denen man thematisch oder landes- bzw. gemeindebezogen suchen kann. Die Stiftung will das Portal noch ausbauen und lädt Initiativen zum Mitmachen ein. Das Portal diene – wie das openTransfer Camp ‘Demografie’ der Stiftung Bürgermut, das am 9. Mai in Köln stattfindet – dem Wissenstransfer. Knopp weist auf eine weitere Ressource der Bertelsmann-Stiftung hin: auf den wegweiser-kommune.de, “eine Online-Plattform, die für alle Kommunen Deutschlands mit mehr als 5.000 Einwohnern Daten, Bevölkerungsprognosen und konkrete Handlungskonzepte für die kommunale Praxis beinhaltet (…) Das Ganze gibt es auch noch visualisiert in Grafiken und Karten”.

Wie man Netzwerke unter Bürgern und unter Organisationen aufbauen kann, zeige ich in meinen beiden Beiträgen für die NPO-Blogparade. Um Bürgernetzwerke zu fördern, braucht man Netzwerk-Knüpfer und “Macher”, die entsprechend unterstützt werden sollten. Darüber hinaus müssen lokal Räume vorhanden sein, in denen sich Initiativen treffen können. Und professionelle Unterstützung sollte geleistet werden, wo sie gebraucht wird. Die Mitarbeiter des Dritten Sektors sind noch zu wenig auf diese Mentoren-Rolle vorbereitet bzw. darauf, lokale Selbstorganisations- und Vernetzungsprozesse zu unterstützen.  Auch Organisationsnetzwerke, die in vielen Kommunen in altersrelevanten Feldern entstehen, brauchen einen Netzwerk-Knüpfer. Durch Interaktion im Alltag wird das Vertrauen zwischen den Akteuren vertieft, die gerade im Sozialsektor sehr stark durch Konkurrenzdenken geprägt sind. “Das Ziel sollte ein Netzwerk sein mit gleichmäßig dichten Verbindungen bis in die Peripherie”.  Die Netzwerksteuerung kostet Zeit und Geld. Öffentliche Kostenträger sollten meines Erachtens diesen Aufwand in Leistungsverträgen und Förderprogrammen stärker berücksichtigen.

Einen wichtigen Aspekt bringt der Artikel von Stefan Zollondz in die Diskussion ein. Viele der Netzwerk-Initiativen im demografischen Wandel sind generationenübergreifend angelegt. Dadurch kommen die Potenziale von Älteren und Jüngeren zusammen und werden die klassischen Grenzen der Jugend- und Altenarbeit aufgebrochen. “Gleichzeitig bergen generationenübergreifende Projekte aber auch ein permanentes  Konfliktpotential, wenn sich die unterschiedlichen Generationen falsch verstanden fühlen”. Durch die Kommunikation kommt es zu Missverständnissen. Wertschätzung, durchlässige vertikale Kommunikationsstrukturen und ein Transparentmachen der persönlichen Werte der Beteiligten können Konflikte vermeiden: “Eine tragfähige Basis entsteht, wenn sich alle am Projekt Beteiligten über ihre gemeinsamen Werte im Hinblick auf die Projektziele bewusst sind und diese unterstützen.”

Julia Russau thematisiert am Beispiel der Berliner Kiezkassen benachteiligte Netzwerke. Sie zeigt auf, dass Netzwerke unterschiedlich ressourcenstark und durchsetzungsfähig sind. Benachteiligte Gruppen unterliegen meist im öffentlichen Wettbewerb um Fördermittel den durchsetzungsstarken Netzwerken, die so noch zusätzliche Ressourcen hinzugewinnen (“wer hat, dem wird gegeben”).  Sie schlägt u.a. vor, benachteiligten Bewohnern bei der Netzwerkbildung zu helfen und die Netzwerke in der Defensive mit Unterstützern zu stärken, die über “Erfolgs”Ressourcen verfügen wie Bildung, Geld, Sozialkontakte, Charisma usw. Für den Vergabeprozess der Berliner Kiezkassen liefert sie wertvolle Anregungen, die strukturelle Benachteiligungen reduzieren könnten.

Hannes Jähnert lenkt den Blick auf ganz Grundsätzliches: bei ihm geht es bei der Gestaltung des demografischen Wandels um die Gestaltung des “guten Lebens” (H. Rosa). Letzteres streben wir an, können es aber nicht erreichen aufgrund der maßlosen Beschleunigung unseres Alltags. Gerade  “unsere heiß geliebten technischen Errungenschaften (bescheren uns) — sozusagen als Nebenwirkung — eine soziale Beschleunigung”, so dass wir das, was wir wirklich wollen (“vielleicht Zeit mit den Lieben verbringen oder bloggend über die Welt nachdenken”), auf eine unbestimmte Zeit verschieben. Für all diejenigen, die viel Zeit brauchen, nämlich Kinder, Alte und Kranke, bleibt laut Jähnert nur noch eine “liebevolle Verwaltung” übrig. Mehr ist nicht drin, wo selbst das freiwillige Engagement nach immer mehr Effizienz strebt. Hannes plädiert dafür, den demografischen Wandel zum Anlaß für Entschleunigung zu nehmen, sich dafür auch politisch stark zu machen und entsprechende Netzwerke zu bilden.

Netzwerke sind im Kommen und sie sind notwendig, könnte man als Fazit aus den Beiträgen zur NPO-Blogparade über den demografischen Wandel ziehen. Der Wissenstransfer über gute Projekte, wie sie lokal aufgebaut und umgesetzt wurden, muss weiter gefördert werden. In jeder Gemeinde und über Gemeindegrenzen hinweg sollten die Aktiven sich untereinander austauschen und voneinander lernen. Die wichtigste Frage der kommenden Jahrzehnte wird Jutta Bott zufolge die sein, ob sich ausreichend “freiwillige Verantwortungsgemeinschaften” bilden und ob sie gerade dort entstehen, wo lokal der Bedarf am größten ist (Bott 2014, 12). Mit Blick auf Russaus Beitrag über die Ungleichheit von Netzwerken muss man damit rechnen, dass in benachteiligten Regionen auch nur schwache Hilfs-Netzwerke – oder gar keine – entstehen. Um dies zu verhindern, müssten lokale Verantwortungsgemeinschaften in strukturschwachen Regionen besonders gefördert und unterstützt werden.