Kategorie-Archiv: NPO

Nonprofits und der Aufbau von sozialem Kapital – Ziele für 2009

Unter sozialem Kapital versteht man die immateriellen/materiellen Ressourcen, die man aus sozialen Beziehungen gewinnen kann. Je besser und intensiver eine gemeinnützige Organisation mit anderen Menschen und Organisationen verbunden ist, desto stärker wird sie von deren Ressourcen profitieren können. Soziales Kapital wird langsam zu einem Thema in amerikanischen Blogs, die sich mit dem Nonprofit-Sektor befassen.

Vor dem Hintergrund der internationalen Finanzkrise, die amerikanische Nonprofits besonders hart trifft, wird jenes Kapital entdeckt, dass nicht aus Finanzmärkten, sondern aus menschlichen Beziehungen gezogen werden kann. Bei Beth Kanther heißt es: “Invest in Social Capital . It will be the only growing market in 2009″.

Michael Gilbert von den Nonprofit Online News thematisiert, dass gemeinnützige Organisationen sehr häufig das Ausmaß des sozialen Kapitals, über das sie verfügen, gar nicht genau kennen, weil bestehende Kontakte und Beziehungen nicht richtig ausgewertet werden. Zumeist wird nur eine Dimension eines Stakeholders wahrgenommen (des freiwilligen Helfers, des Spender usw.) und andere Kompetenzen und Handlungsoptionen, die er bietet, ausgeblendet. Gilbert fordert, sich im Jahr 2009 ganz auf die Entdeckung, die Pflege und den Aufbau von sozialem Kapital zu konzentrieren:

“We are sitting on top of social assets that we often ignore in the good times. We can no longer afford to do that. We must turn our attention, our resources, and our strategies to social capital. We must uncover the social capital we have, we must use it and nurture it, and we must grow more of it.”

Wichtig ist, dass gemeinnützige Organisationen diese Aufgabe nicht planlos angehen und es dem Zufall oder dem muddling through überlassen, wie gut der Aufbau von sozialem Kapital gelingt. Vielmehr muss dieses Ziel strategisch verankert werden und zwar auf allen Organisationsebenen, angefangen vom Dachverband bis hinunter zur Hilfseinrichtung vor Ort: “Social capital must be the strategic mantra of our organizations”, wie Gilbert formuliert.

Speziell die Einrichtungen vor Ort spielen beim Aufbau von Netzwerken eine wichtige Rolle, die unbedingt gestärkt werden muss. Dies kollidiert allerdings mit der Tendenz, die seit längerem im wohlfahrts-
verbandlichen Bereich zu beobachten ist: dass nämlich die Einrichtungen vor Ort immer häufiger als selbstständige Betriebe geführt werden, die sich auf ihr Kerngeschäft konzentrieren und von weiteren verbandlichen Aufgaben (wie Lobbying, Integrativen Funktionen usw.) befreit sind.

Es hängt dann vom Engagement der örtlichen Einrichtungsleitung ab, wie sehr man sich um Freiwillige bemüht und wie stark der Netzwerkaufbau mit dem lokalen Umfeld vorangetrieben wird. In den Verbänden gibt es deshalb die Forderung, die Öffnung zur Bürgerschaft und die Förderung des freiwilligen Engagements als verbandliche Ziele festzuschreiben. Nur so könne das bürgerschaftliche Engagement aus der randständigen Zone ins Zentrum rücken und eine erfolgreiche Vernetzung zwischen der Nonprofit-Organisation und ihrem Umfeld erzielt werden (Pott im BBE-Newsletter Nr. 25) .

Neue Ziele im verbandlichen Leitbild reichen aber nicht aus, um den Aufbau von sozialem Kapital voranzutreiben. Man benötigt auch die passenden Instrumente für deren Umsetzung. Gilbert fordert, alle IuK-Technologien und Managementmethoden, die eine gemeinnützige Organisation benutzt, daraufhin zu hinterfragen, ob sie der Pflege und dem Aufbau von Beziehungen dienen oder ob sie Beziehungen behindern, belasten, zerstören.

Sein Ratschlag lautet u.a.:

  1. Technologien und Methoden, die soziales Kapital beeinträchtigen, sofort einzustellen. Dazu gehören z.B. Kommunikationsabläufe, die Hürden aufrichten und den Dialog mit den Stakeholdern stören, statt ihn zu erleichtern.
  2. In Technologien, die soziales Kapital zwar nicht beeinträchtigen, aber auch nicht weiter voranbringen, nicht weiter zu investieren.
  3. Technologien und Methoden zu fördern, die soziale Beziehungen aufbauen und sichtbar machen können. Gilbert zielt hier auf Web 2.0-Technologien bzw. Social Media ab. Sie seien zwar nicht der einzige Weg, wie Beziehungen zwischen Menschen aufgebaut werden können. Aber im Unterschied zu anderen Medien sind die Beziehungen im Internet gut sichtbar und dementsprechend gut zu erheben und zu nutzen.

Aus meiner Sicht ist eine breite und intensive Vernetzung zwischen einer Nonprofit-Organisation und ihrem sozialen Umfeld (das dank Internet nicht auf einen Ort beschränkt bleiben muss) unabdingbar, um den Charakter einer gemeinnützigen Einrichtung zu erhalten. Denn das Besondere an Nonprofits sind nicht ihre sozialen Dienstleistungen – diese können in den meisten Fällen auch von gewerblichen oder staatlichen Trägern erbracht werden. Das Besondere sind vielmehr ihre Verbindungen zur Bürgerschaft, aus der Nonprofits ihre Energien und ihre Legitimation beziehen.

Wenn diese Verbindung zur Gesellschaft abreißt, kann eine Nonprofit-Organisation mit staatlicher Hilfe zwar weiterbestehen, aber sie verliert einen wichtigen Teil ihrer Identiät. Nämlich jenen, der darin besteht, eine Botschaft weiterzutragen und gemeinsam mit anderen an der Lösung von gesellschaftlichen Missständen zu arbeiten.

Staat und Freie Wohlfahrtspflege – wie kommen freie Träger aus der Defensive?

Viele der gemeinnützigen Dienstleister im Sozialbereich fühlen sich gegenüber staatlichen Akteuren in der Defensive . Als belastend werden die eigene finanzielle Abhängigkeit, die Regulierungsaktivitäten des Staates und der schwindende Einfluss der freien Träger auf Politik und Verwaltung wahrgenommen.

Das Verhältnis zwischen Staat und Freier Wohlfahrtspflege wird häufig nicht als Partnerschaft auf Augenhöhe, sondern als ungleichgewichtige Beziehung empfunden. Dies war Thema meines letzten Blogbeitrages .

Wie kann sich die Freie Wohlfahrtspflege aus dieser Defensivposition befreien?

Schritt 1: Die freien Träger müssen sich ihrer Ressourcen und Potentiale bewusst werden.

In der Öffentlichkeit werden soziale Dienste als Organisationen wahrgenommen, die unter chronischem Geldmangel leiden. Diese Botschaft wird von den freien Trägern seit Jahrzehnten beständig wiederholt und hat sicherlich eine gewisse Berechtigung. Dennoch führt diese Fixierung auf monetäre Ressourcen dazu, dass andere Ressourcen unterbewertet werden und Verteilungsdiskussionen überwiegen.

Dabei hat nicht alles, was in Nonprofits geleistet wird, mit Geld zu tun. Vieles hängt mit Empathie zusammen, die unbezahlbar ist. Aber diese Potentiale von sozialen Trägern treten in den Hintergrund. In der Öffentlichkeit werden die Einrichtungen als Organisationen wahrgenommen, die immer nur den Mangel verwalten statt aus der Fülle zu schöpfen.

Dieses öffentliche Bild ist tragisch und kontraproduktiv, weil es mitverantwortlich ist für das defensive Selbstverständnis der freien Träger. Wer jeden Tag hört, dass er eigentlich keine oder zuwenig Mittel hat, der glaubt nicht mehr an seine eigenen Stärken oder unterbewertet sie zumindest.

Abhilfe kann hier nur dadurch geschaffen werden, dass Nonprofits sich auf ihre nicht-monetären Ressourcen und Stärken besinnen, – und in der Öffentlichkeit und speziell der Politik gegenüber auch von diesen Stärken reden. Dies setzt voraus, dass man die eigenen Stärken schätzt und nicht abwertet, weil sie vielleicht weniger messbar sind und weniger angesagt als andere.

Schritt 2: Die freien Träger brauchen ein klares Profil und klare Ziele

Durch die gesetzlichen Vorgaben für die sozialen Dienste gleichen sich die Profile der Träger einander an.

Die Einrichtungen vor Ort werden immer stärker betriebswirtschaftlich geführt und geben die Aufgabe der Interessenvertretung der eigenen Klientel an die Dachverbände ab. Letztere stehen vor der Herausforderung, die verbandliche Programmatik in den immer selbstständiger werdenden Einrichtungen durchzusetzen (Möhring-Hesse 2008).

Wenn die gemeinnützigen Einrichtungen aber in der Fläche immer unabhängiger von der verbandlichen Botschaft werden, dann schwächt dieses ihre Position als unverwechselbarer Anbieter gegenüber dem Staat. Denn soziale Dienstleister gibt es – auch im gewerblichen Bereich – genug. Es besteht für die öffentliche Hand dann keine Notwendigkeit, auf freie Träger zurückzugreifen, wenn diese keinen Mehrwert gegenüber den Gewerblichen bieten.

Eine klare Botschaft – "Who are we and what do we stand for" (Carson)- ist Voraussetzung für selbstbewusstes Handeln gegenüber staatlichen Trägern. Greenpeace zeigt, wie erfolgreich "high-profil groups" agieren können, ohne sich dabei aus der Kooperation mit der öffentlichen Hand zu verabschieden.

Schritt 3: Die freien Träger müssen nach außen hin stärker kommunizieren und sich vernetzen

Im letzten Jahrzehnt konzentrierte sich die freie Wohlfahrtspflege stark auf innere Reformen und auf ihre wirtschaftlichen Probleme angesichts der Sparpolitik der öffentlichen Träger. Darüber geriet der Austausch mit den nicht-staatlichen Stakeholdern und hier insbesondere der Bürgerschaft in den Hintergrund.

Es wird Zeit, dass sich die freie Wohlfahrtspflege in eine Kommunikations- und Transparenzoffensive stürzt, denn gute und breite Beziehungsnetzwerke verschaffen Nonprofits neue Ressourcen und Handlungsmöglichkeiten. Das Internet kann beim Beziehungsaufbau und der Pflege helfen.

An anderer Stelle habe ich berichtet, dass erfolgreiches Netzwerken auch mit der Mittelausstattung einer Organisation zusammenhängt (mehr dazu hier ). Und gemeinnützige Organisationen aufgrund ihrer prekären Mittelausstattung nicht zu den besten Netzwerkern gehören. Hier kann man einwenden, dass unentdeckte und unterbewertete Ressourcen in Nonprofits vorhanden sind und die subjektive Ressourceneinschätzung in vielen Fällen schlechter ist als die objektive Ressourcenlage.

Schritt 4: Die freien Träger müssen ihr Wissen verstärkt in die öffentliche Diskussion einbringen und besser vermarkten

Soziale Dienste sammeln täglich kostbares Wissen über die Vor- und Nachteile sozialer Programme und die Problemlagen der Bevölkerung. Dieses Wissen fließt nicht mehr an staatliche Institutionen zurück. Denn die freien Träger unterliegen zwar einer Berichtspflicht, aber die öffentliche Hand will diese Berichte in Form von Kennzahlen. Die komplexe Realität in den sozialen Diensten kann aber in Kennzahlen nicht abgebildet werden (vgl. Möhring-Hesse 2008).

Die Folge: Die freien Träger besitzen dadurch Wissen, über das der Staat nicht verfügt. Sie verbessern damit potentiell ihre Machtposition. Und sie erhalten die Möglichkeit, ihre in der Praxis gesammelten Erfahrungen öffentlich zu machen und sich die Bürgerschaft als Verbündete aufzubauen.

Dafür müsste die freie Wohlfahrtspflege aber aktiver im Internet sein und sich stärker gemeinsam – über Trägergrenzen hinweg – präsentieren. Das Wissen der Verbände hat nur dann strategischen Wert, wenn es öffentlich gemacht wird und nicht nur in Fachzirkeln kursiert. Schon vor einiger Zeit bemängelte Christian Kreutz , dass es keine öffentlichen Wissenssammlungen von Nonprofits im Rahmen von Wikis gibt. Am Beispiel von Entwicklungshilfeorganisationen zeigt er auf, dass alle über ein eigenes "information silo" verfügen. Schade, wie hier Aufklärungs- und Lobbyingmöglichkeiten ungenutzt bleiben, weil Wissen nicht transparent gemacht wird.

Staat und Freie Wohlfahrtspflege – ein schwieriges Verhältnis

Staat und Freie Wohlfahrtspflege arbeiten in unserem Land seit über einem Jahrhundert eng zusammen. Soziale Dienstleister wie Caritas, Diakonie, Arbeiterwohlfahrt, Rotes Kreuz usw. erhalten einen Großteil ihrer Mittel von der öffentlichen Hand. Wie nehmen die gemeinnützigen Träger das Verhältnis zu staatlichen Institutionen wahr? Als Partnerschaft auf Augenhöhe oder als Beziehung, die durch ein Machtungleichgewicht zugunsten des Staates gekennzeichnet ist?

Von der Beantwortung dieser Frage hängt ab, wie selbstbewusst die freien Träger gegenüber ihrem Key Stakeholder – dem Staat – auftreten und wie offensiv sie Handlungschancen nutzen.

Aus empirischen Studien und Aussagen von gemeinnützigen Trägern geht hervor, dass sich die Freie Wohlfahrtspflege gegenüber staatlichen Einrichtungen in der Defensive fühlt. Als besonders belastend werden empfunden:

  • die finanzielle Abhängigkeit von der öffentlichen Hand
  • die gesetzlich auferlegte Ökonomisierung der sozialen Dienste
  • die staatliche Kontrolle der Leistungserbringung
  • und der Rückgang der politischen Einflussmöglichkeiten von Nonprofits (vgl. Zimmer/Priller 2004 )

Seit den 90er Jahren versucht der Staat, den Sozialsektor zu vermarktlichen. Er stellte gewerbliche Anbieter mit den freien Trägern gleich, er führte einen Wettbewerb um staatliche Aufträge ein und erwartet von den Dienstleistern wirtschaftliches Handeln und Effektivität. Durch diese Vermarktlichung konnte der Staat, so paradox es klingt, die Freigemeinnützigen noch stärker an sich ketten und sein Kontrollvermögen aufgrund der überbordenden Berichtspflichten auf Seiten der Einrichtungen noch ausbauen. Gleichzeitig ziehen sich die öffentlichen Vertreter aus der Kooperation mit den freien Trägern zurück, so dass die Freie Wohlfahrtspflege an Einfluss verliert (Möhring-Hesse 2008). Die Lage hat sich also aus Sicht der Wohlfahrtsverbände im letzten Jahrzehnt noch verschlimmert. Grund genug, sich als unterlegener Partner in dem Verhältnis mit der öffentlichen Hand zu fühlen?

Ganz sicher nicht. Denn eine Perspektive, die nur die Macht des Staates in den Blick nimmt, dessen Abhängigkeit von freigemeinnützigen Einrichtungen aber nicht thematisiert, ist unvollständig. Sie übersieht, dass Staat und Wohlfahrtspflege durch ein wechselseitiges Macht-Abhängigkeits-Verhältnis aneinander gebunden sind. Das heißt, auch die Freie Wohlfahrtspflege verfügt aufgrund ihres großen Hilfsapparates, ihrer Mitarbeiter, ihres Fachwissens, ihrer langen Tradition und ihrer Kontakte zur Bürgerschaft usw. über Ressourcen, von denen die öffentliche Hand abhängig ist.

Die freien Träger müssen sich über die eigenen Potentiale und Stärken sicherer werden. Es gibt keinen Grund, sich im Verhältnis zur öffentlichen Hand unterlegen zu fühlen. Die freien Träger produzieren so viele immaterielle Werte, die nicht messbar sind, aber unerlässlich für das Funktionieren einer Gesellschaft. Insofern werden sie auch nie durch gewerbliche Träger ersetzt werden können, die mit ihrer Forprofit-Perspektive die Werte von Nonprofit-Einrichtungen nicht vermitteln können. Die Abhängigkeit des Staates von freien Trägern ist ein Faktum – und sollte Nonprofits das entsprechende Selbstbewußtsein vermitteln.

Wenn man sich als schwacher Partner in einer Beziehung begreift, hat dies im Zweifel nichts mit einem objektiven Ungleichgewicht zu tun, sondern basiert auf dem eigenen Unvermögen, die Stärken und Handlungspotentiale, über die man verfügt, auch zu nutzen . In einer solchen Situation sehe ich die Freie Wohlfahrtspflege. Sie starrt auf den Staat und dessen vermeintliche Überlegenheit und vergisst darüber, die eigenen Potentiale zu aktivieren.

Aus dieser defensiven Haltung heraus kann man nicht effektiv Einfluß nehmen, weder auf den Staat noch auf die Wirtschaft oder auf die Bürgerschaft. Gerade die Bügerschaft wird aber als Handlungspartner von der Freien Wohlfahrtspflege dringend gebraucht.

Fazit: die gemeinnützigen Träger müssen sich als erstes ihrer Stärken bewußt werden und ihre Handlungspotentiale erkennen, wenn sie mit staatlichen Akteuren auf Augenhöhe kooperieren wollen.