Kategorie-Archiv: Web2.0

Kommunalverwaltung 2.0, Bürgerbeteiligung und die Rolle von Nonprofit-Organisationen

E-Government wird von vielen lediglich als eine Elektronifizierung von Verwaltungsvorgängen verstanden. Dass das Internet auch dazu genutzt werden kann, um Bürger stärker an öffentlichen Entscheidungen zu beteiligen, wurde auf dem Government 2.0 Camp in Berlin thematisiert, wo sich Verwaltungsvertreter mit Teilen der Internetszene und der interessierten Öffentlichkeit trafen.

E-Partizipationsprojekte wie der Bürgerhaushalt Köln , der von Oliver Märker in einer Session vorgestellt wurde, oder der Online-Dialog zur Neugestaltung des Hamburger Domplatzes , vorgestellt von Rolf Luehrs und Bengt Feil , zeigen, welche Chancen das Internet bietet, um Ideen und Meinungen der Bürger abzufragen.

Die Grenzen von online – und offline – Verfahren zur Bürgerbeteiligung liegen aber darin, dass sie in der Regel nur bestimmte Gruppen erreichen. Eine Untersuchung des Bürgerbeteiligungsverfahren zum Bürgerhaushalt Berlin-Lichtenberg ergab, dass durch einen Methoden- und Medienmix zwar Jung und Alt, Frauen und Männer , Onliner und Offliner erreicht wurden, aber überwiegend Menschen aus höheren Bildungsschichten. Wer hierzu nicht gehört, bleibt außen vor. Man kann sich mit diesem Ergebnis abfinden, – oder man überlegt, wie die Integration und Beteiligung von Bürgern über die üblichen Kreise hinaus ausgeweitet werden kann.

Ich habe hierzu ein paar Thesen entwickelt und sie auf dem Government Camp zur Diskussion gestellt:

  1. Partizipationsangebote von staatlicher Seite bedürfen einer starken Zivilgesellschaft, wenn sie von vielen genutzt werden sollen.
  2. Es reicht nicht aus, mit den Beteiligungsangeboten einfach online zu gehen. Web 2.0 allein schafft noch keine breite Partizipationsbewegung. Partizipationsprojekte funktionieren dort am besten, wo es einen ausdifferenzierten und gut vernetzten Nonprofit-Sektor mit vielen Mitmachmöglichkeiten gibt, verglichen mit jenen Orten, wo die zivilgesellschaftliche Infrastruktur nur gering entwickelt ist (Pratchett/Durose/Lowndes 2009 ).
  3. E-Government-Strategien, die auf eine stärkere Einbindung von Bürgern zielen, müssen deshalb von Maßnahmen zur Förderung der Zivilgesellschaft flankiert werden. Bürger – und gerade die benachteiligten Gruppen – müssen die Möglichkeit haben, in ihrem Umfeld Partizipation einzuüben, um entsprechende Angebote von Verwaltungsseite auch nutzen zu können.
  4. Der Blick auf die Zivilgesellschaft macht überdies deutlich, dass Partizipation nicht auf das Verhältnis Bürger – Verwaltung beschränkt ist, sondern in vielen Partizipationsarenen auf lokaler Ebene stattfindet, – u.a. zwischen Bürgern, zwischen Bürgern und NPOs. Wer Partizipation fördern möchte, sollte sich nicht nur auf das Verhältnis Verwaltung – Bürger beschränken, sondern die Partizipationspotentiale in der Zivilgesellschaft stärken und ausweiten.
  5. NPOs spielen eine wichtige Rolle, weil sie auf örtlicher Ebene die Infrastruktur für Mitmachmöglichkeiten bieten. Derzeit schöpfen viele NPOs aber die die partizipative Dimension der Freiwilligenarbeit noch nicht aktiv genug aus (vgl. hier ). Dennoch könnte die Rolle als enabler von Partizipation NPOs ein neues Selbstbild jenseits des Dienstleistungs-Topos verschaffen.

(Für mehr Infos: meine Präsentation auf slideshare )

Derzeit sieht die nationale E-Government-Strategie eine Stärkung der Zivilgesellschaft als flankierende Maßnahme nicht vor, wie in einer Session des Bundesinnenministeriums zu erfahren war (s. hier ). Für das Thema Zivilgesellschaft ist ein anderes Ressort zuständig. So bleibt die E-Government-Strategie einer selektiven Perspektive verhaftet und wird der komplexen Realität nicht gerecht.

Update: Zum Zusammenhang zwischen sozioökonomischem Status und Partizipation s. Posterous.

NPO-Blogparade: sind jugendliche Zielgruppen wichtig und wie spricht man sie an?

Gerald Czech vom Redcross Sociologist-Blog fragt in der 10. Runde der NPO-Blogparade , ob es für große gemeinnützige Massenorganisationen, die inhaltlich nicht sehr fokussiert sind – Czech spricht von “diffusen Massenorganisationen” – Sinn macht, ganz gezielt junges Publikum anzusprechen, um dieses für die Werte der Organisation zu sozialisieren. Hier meine Antwort:

1. Ich bin der Ansicht, dass es für eine Nonprofit-Organisation lebensnotwendig ist, über Mitglieder und Unterstützer zu verfügen, die eine große Bandbreite an Altersgruppen umfassen, – sofern die NPO am eigenen Fortbestand interessiert ist und sie nicht irgendwann gemeinsam mit einer überalterten Anhängerschaft aussterben möchte.

In dieser Hinsicht für ein ausgeglichenes Altersgruppen-Portfolio zu sorgen, gehört zu den strategisch zentralen Aufgaben einer gemeinnützigen Einrichtung. Denn sie lebt von den Ressourcen ihrer Stakeholder, die finanzielle Mittel, Freiwilligenarbeit, politische Unterstützung, Ideen, neue Mitarbeiter usw. in eine NPO einbringen. Ohne starke Stakeholder ist eine Organisation nichts und ohne Stakeholder, die aus unterschiedlichen Altersgruppen kommen, engt eine NPO ihren Handlungsspielraum extrem ein, weil ihre Möglichkeiten in diesem Fall immer an eine bestimmte Alterskohorte gekettet sind, mit der sie leben und im Zweifel auch untergehen.

2. Jugendliche gezielt anzusprechen ist deshalb sehr wichtig. Die These, die im Fundraising dominiert, – dass Spenden eine Domäne der Älteren sei, was man an den Spendenergebnissen ablesen könne – halte ich für falsch. Die empirischen Ergebnisse belegen nur, dass man mit den bisherigen Fundraisinginstrumenten hauptsächlich die ältere Generation erreicht hat. Die empirischen Ergebnisse spiegeln damit die Qualität des Fundraising wider, sie können keine abschließende Aussage treffen über die Spendenbereitschaft der jüngeren Generation.

Tatsache ist, dass junge Menschen am Gemeinwesen interessiert sind sind und sich gerne und häufig engagieren. Ein Drittel der Jugendlichen zwischen 12 und 25 Jahren engagiert sich oft, weitere 42% engagieren sich gelegentlich für soziale und gesellschaftliche Zwecke, in erster Linie für jugendbezogene Fragestellungen, aber auch für sozial schwache und benachteiligte Menschen (15. Shell-Jugendstudie 2006 , S. 6). Diese Bereitschaft, sich einzubringen, sollten Nonprofits sich nutzbar machen.

3. Jede Generation muss so angesprochen werden, dass man ihre Art, die Welt zu sehen und die vorhandenen Medien zu nutzen, richtig trifft (einen guten Artikel über das ‘Generational Fundraising’ findet man hier ). Dazu braucht es eine gute Datengrundlage. Nonprofit-Organisationen sollten sich zusammentun, um entsprechende empirische Untersuchungen über die Unterschiede zwischen den Generationen finanzieren zu können. Die Ergebnisse könnten Nonprofits helfen, sich zu responsiveren Organisationen weiterzuentwickeln, die die Wünsche und Vorstellungen ihrer Stakeholder stärker abfragen.

Was die Jugend angeht, so zählen die Jahrgänge seit Ende der 80er Jahre zu den Digital Natives, die das Internet nicht nur nutzen, sondern in und mit ihm leben. Eine besondere Bedeutung für junge Menschen haben Online-Communities und die partizipativen Möglichkeiten des Netzes. Ludger Brenner arbeitet in seinem Blogparadenbeitrag diesen Mitgestaltungswunsch der Digital Natives gut heraus. Entsprechend muss die Antwort von Nonprofits aussehen, wenn sie nach Kommunikationsstrategien suchen bzw. nach Strategien für den Beziehungsaufbau im Hinblick auf die jüngere Generation.

5. Große Nonprofit-Organisationen wie bspw. das Rote Kreuz oder die Arbeiterwohlfahrt verfügen über eigene Jugendverbände wie das Jugendrotkreuz oder das Bundesjugendwerk der AW O. Tausende Jugendliche treffen sich in 5.5000 Jugendrotkreuzgruppen, auch in Österreich gibt es hunderte von Jugendgruppen innerhalb des Roten Kreuzes. Jugendliche sind also in großen Verbänden schon präsent. Wer ihre Zahl erhöhen und ihre Bindung an die NPO verstärken möchte, muss den Community-Drang der Jugendlichen aufgreifen und ihnen die Möglichkeit zum Austausch untereinander geben. Es wäre sinnvoll, wenn die Gruppen des Jugendverbandes sich im Rahmen einer Jugendverbands-Community oder im Rahmen einer Community des Gesamtverbandes im Internet organisieren könnten. Tatsächlich gibt es eine Online-Community des Jugendrotkreuzes , aber mit Themen-Foren und nicht mit der Möglichkeit, eigene Gruppen innerhalb der Community einzurichten.

6. Die Jugendlichen, die in großen Verbänden schon aktiv sind, können dabei helfen, Strategien zur Gewinnung neuer jugendlicher Unterstützer auszuarbeiten. Denn sie kennen das Lebensgefühl und den Mediengebrauch der jungen Generation am besten. Nonprofits haben in dieser Hinsicht die Experten für die Jugend schon im eigenen Haus.

7. Bei allen Bemühungen um Kommunikationsstrategien für Jugendliche darf nicht vergessen werden, dass eine Nonprofit-Organisation niemals nur nach Spendern suchen sollte, sondern immer nach Partnern, – mit allen Konsequenzen, die dieser Stakeholder-Status mit sich bringt (vgl. “Spender, Stakeholder und die Zukunft des Fundraising “)

Die Bereitschaft zum Zuhören oder Wann verhalten sich Organisationen responsiv?

Netzwerke und Partnerschaften leben vom Dialog. Wer nur die eigene Botschaft verbreitet und sich nicht auf die Sichtweise und Vorschläge des Anderen einlässt, wird in Kooperationsprozessen keinen langfristigen Erfolg haben. Die Gefahr, dass sich Partner frustriert abwenden, weil sie sich übergangen und überhört fühlen, ist zu groß.

Dies gilt auch dann, wenn man Beziehungen über das Internet aufbauen und pflegen möchte. Kern einer jeden Social Media Strategie muss das Zuhören sein und die Bereitschaft, in einen Dialog einzutreten. Wer im Internet nur Informationen sendet, aber keinen Dialog führt, nutzt die Potentiale des Mediums nicht adäquat bzw. transportiert seine traditionellen Kommunikationsformen in ein Umfeld, das eigentlich andere Chancen böte. Im Kulturmanagement-Blog weist C. Henner-Fehr auf die Grenzen hin, die monologischen Kommunikationsstrategien innewohnen, die auf das Senden hin ausgerichtet sind und dies durch Aggregationstechniken noch verstärken.

Wann verhalten sich Organisationen responsiv, – wann sind sie bereit, ihren Stakeholdern zuzuhören und ihnen zu antworten?

Die Studie von Thomas A. Bryer (2009) (abstract hier ) untersucht dies anhand von zwei empirischen Fällen in Los Angeles, in denen jeweils eine städtische Behörde mit bürgerschaftlichen Gremien, sogenannten Neighbourhood Councils , zusammenarbeitet. Diese Neighbourhood Councils – eine Art ‘Runde Tische’ – wurden gegründet, um die Kommunikation zwischen der Verwaltung , dem Stadtrat und der Bürgerschaft zu verbessern und um Bürgern mehr Mitsprachemöglichkeiten zu verschaffen. Die Neighbourhood Councils sollen Rat und Verwaltung bei der Entscheidungsfindung unterstützen und die städtische Politik aus der Einwohnerperspektive heraus kommentieren.

Mit der Schaffung entsprechender bürgerschaftlicher Gremien ist immer die Hoffnung verbunden, dass die Einwohner einer Gemeinde auf diese Weise mehr Gehör gegenüber Politik und Verwaltung erlangen. Aber diese Hoffnung erfüllt sich nicht automatisch, denn die Verwaltungen reagieren ganz unterschiedlich offen auf die Partizipationswünsche der Bevölkerung. Die Studie kommt zu dem Ergebnis, dass das Selbstbild der Behörde und ihre Wahrnehmung der bürgerschaftlichen Seite entscheidend dafür ist, wie responsiv sie sich verhält.

Wenn einer Behörde die interaktive, auf einen Dialog hin ausgerichtete Perspektive fehlt, wenn sie ihren eigenen Status als Experte betont und bürgerschaftliche Mitsprache als ‘Angriff’ auf die Neutralität und inhaltliche Überlegenheit des Amtes sieht, dann kann keine Partnerschaft zwischen der kommunalen Organisation und den bürgerschaftlichen Gremien aufgebaut werden. Letztere werden in diesem Fall lediglich als mögliche Multiplikatoren der Verwaltungsposition gesehen und nicht als wertvolle Ideengeber, die ihr Quartier und ihre Bedarfe am besten kennen.

Die Thesen, die Bryer aufgrund der empirischen Ergebnisse aufstellt, kann man als Richtschnur nehmen, wenn es darum geht, die Responsivität von Organisationen gegenüber ihren Stakeholdern zu bestimmen. Danach verhalten sich Organisationen – offline oder im Internet – umso aufnahmebereiter gegenüber den (Bürger-)Stakeholdern, je stärker sie

  • an langfristigen Beziehungen zu den Stakeholdern interessiert sind
  • den Stakeholdern vertrauen. Damit verbunden ist auch der Respekt für die Dialogpartner
  • Ziele mit den Stakeholdern teilen
  • von den Stakeholdern lernen wollen
  • bereit sind, Entscheidungen bottom-up zu treffen
  • und sie den strategischen Nutzen der Partnerschaften mit den Stakeholdern sehen

(vgl. Bryer 2009, 277).

Diese Voraussetzungen für Responsivität sollten gegeben sein, wenn Organisationen – zum Beispiel Nonprofits – den Schritt ins Internet machen. Wer mit einer monologischen Haltung ins Netz geht, wird vielleicht nicht scheitern, aber den Mehrwert des Internets nicht ausschöpfen können.

Meines Erachtens wird es zukünftig für jene Organisationen schwierig werden, die angesichts der Komplexität der Problemlagen noch glauben, auf die Anregungen der Stakeholder – seien es Bürger, Klienten, Angehörige Kunden usw. – verzichten zu können. Dialog und Partizipation sind anstrengend und erhöhen die Komplexität der Entscheidungsfindung. Aber sie erweitern den Horizont von Organisationen, können die Programmumsetzung verbessern und verschaffen einer Organisation neue Ressourcen und eine stärkere gesellschaftliche Integration.