Kategorie-Archiv: Ziele

Staat und Freie Wohlfahrtspflege – wie kommen freie Träger aus der Defensive?

Viele der gemeinnützigen Dienstleister im Sozialbereich fühlen sich gegenüber staatlichen Akteuren in der Defensive . Als belastend werden die eigene finanzielle Abhängigkeit, die Regulierungsaktivitäten des Staates und der schwindende Einfluss der freien Träger auf Politik und Verwaltung wahrgenommen.

Das Verhältnis zwischen Staat und Freier Wohlfahrtspflege wird häufig nicht als Partnerschaft auf Augenhöhe, sondern als ungleichgewichtige Beziehung empfunden. Dies war Thema meines letzten Blogbeitrages .

Wie kann sich die Freie Wohlfahrtspflege aus dieser Defensivposition befreien?

Schritt 1: Die freien Träger müssen sich ihrer Ressourcen und Potentiale bewusst werden.

In der Öffentlichkeit werden soziale Dienste als Organisationen wahrgenommen, die unter chronischem Geldmangel leiden. Diese Botschaft wird von den freien Trägern seit Jahrzehnten beständig wiederholt und hat sicherlich eine gewisse Berechtigung. Dennoch führt diese Fixierung auf monetäre Ressourcen dazu, dass andere Ressourcen unterbewertet werden und Verteilungsdiskussionen überwiegen.

Dabei hat nicht alles, was in Nonprofits geleistet wird, mit Geld zu tun. Vieles hängt mit Empathie zusammen, die unbezahlbar ist. Aber diese Potentiale von sozialen Trägern treten in den Hintergrund. In der Öffentlichkeit werden die Einrichtungen als Organisationen wahrgenommen, die immer nur den Mangel verwalten statt aus der Fülle zu schöpfen.

Dieses öffentliche Bild ist tragisch und kontraproduktiv, weil es mitverantwortlich ist für das defensive Selbstverständnis der freien Träger. Wer jeden Tag hört, dass er eigentlich keine oder zuwenig Mittel hat, der glaubt nicht mehr an seine eigenen Stärken oder unterbewertet sie zumindest.

Abhilfe kann hier nur dadurch geschaffen werden, dass Nonprofits sich auf ihre nicht-monetären Ressourcen und Stärken besinnen, – und in der Öffentlichkeit und speziell der Politik gegenüber auch von diesen Stärken reden. Dies setzt voraus, dass man die eigenen Stärken schätzt und nicht abwertet, weil sie vielleicht weniger messbar sind und weniger angesagt als andere.

Schritt 2: Die freien Träger brauchen ein klares Profil und klare Ziele

Durch die gesetzlichen Vorgaben für die sozialen Dienste gleichen sich die Profile der Träger einander an.

Die Einrichtungen vor Ort werden immer stärker betriebswirtschaftlich geführt und geben die Aufgabe der Interessenvertretung der eigenen Klientel an die Dachverbände ab. Letztere stehen vor der Herausforderung, die verbandliche Programmatik in den immer selbstständiger werdenden Einrichtungen durchzusetzen (Möhring-Hesse 2008).

Wenn die gemeinnützigen Einrichtungen aber in der Fläche immer unabhängiger von der verbandlichen Botschaft werden, dann schwächt dieses ihre Position als unverwechselbarer Anbieter gegenüber dem Staat. Denn soziale Dienstleister gibt es – auch im gewerblichen Bereich – genug. Es besteht für die öffentliche Hand dann keine Notwendigkeit, auf freie Träger zurückzugreifen, wenn diese keinen Mehrwert gegenüber den Gewerblichen bieten.

Eine klare Botschaft – "Who are we and what do we stand for" (Carson)- ist Voraussetzung für selbstbewusstes Handeln gegenüber staatlichen Trägern. Greenpeace zeigt, wie erfolgreich "high-profil groups" agieren können, ohne sich dabei aus der Kooperation mit der öffentlichen Hand zu verabschieden.

Schritt 3: Die freien Träger müssen nach außen hin stärker kommunizieren und sich vernetzen

Im letzten Jahrzehnt konzentrierte sich die freie Wohlfahrtspflege stark auf innere Reformen und auf ihre wirtschaftlichen Probleme angesichts der Sparpolitik der öffentlichen Träger. Darüber geriet der Austausch mit den nicht-staatlichen Stakeholdern und hier insbesondere der Bürgerschaft in den Hintergrund.

Es wird Zeit, dass sich die freie Wohlfahrtspflege in eine Kommunikations- und Transparenzoffensive stürzt, denn gute und breite Beziehungsnetzwerke verschaffen Nonprofits neue Ressourcen und Handlungsmöglichkeiten. Das Internet kann beim Beziehungsaufbau und der Pflege helfen.

An anderer Stelle habe ich berichtet, dass erfolgreiches Netzwerken auch mit der Mittelausstattung einer Organisation zusammenhängt (mehr dazu hier ). Und gemeinnützige Organisationen aufgrund ihrer prekären Mittelausstattung nicht zu den besten Netzwerkern gehören. Hier kann man einwenden, dass unentdeckte und unterbewertete Ressourcen in Nonprofits vorhanden sind und die subjektive Ressourceneinschätzung in vielen Fällen schlechter ist als die objektive Ressourcenlage.

Schritt 4: Die freien Träger müssen ihr Wissen verstärkt in die öffentliche Diskussion einbringen und besser vermarkten

Soziale Dienste sammeln täglich kostbares Wissen über die Vor- und Nachteile sozialer Programme und die Problemlagen der Bevölkerung. Dieses Wissen fließt nicht mehr an staatliche Institutionen zurück. Denn die freien Träger unterliegen zwar einer Berichtspflicht, aber die öffentliche Hand will diese Berichte in Form von Kennzahlen. Die komplexe Realität in den sozialen Diensten kann aber in Kennzahlen nicht abgebildet werden (vgl. Möhring-Hesse 2008).

Die Folge: Die freien Träger besitzen dadurch Wissen, über das der Staat nicht verfügt. Sie verbessern damit potentiell ihre Machtposition. Und sie erhalten die Möglichkeit, ihre in der Praxis gesammelten Erfahrungen öffentlich zu machen und sich die Bürgerschaft als Verbündete aufzubauen.

Dafür müsste die freie Wohlfahrtspflege aber aktiver im Internet sein und sich stärker gemeinsam – über Trägergrenzen hinweg – präsentieren. Das Wissen der Verbände hat nur dann strategischen Wert, wenn es öffentlich gemacht wird und nicht nur in Fachzirkeln kursiert. Schon vor einiger Zeit bemängelte Christian Kreutz , dass es keine öffentlichen Wissenssammlungen von Nonprofits im Rahmen von Wikis gibt. Am Beispiel von Entwicklungshilfeorganisationen zeigt er auf, dass alle über ein eigenes "information silo" verfügen. Schade, wie hier Aufklärungs- und Lobbyingmöglichkeiten ungenutzt bleiben, weil Wissen nicht transparent gemacht wird.

Impressionen vom BarCamp Stuttgart

Zwei Tage lang traf sich die Web 2.0-Szene in Stuttgart. Ich konnte nur heute das BarCamp besuchen und habe einige Anregungen mit nach Hause mitgenommen. Da war zum einen die Session von Oliver Gassner und Robert Basic , in der wir u.a. darüber diskutierten, ob und in welcher Form die deutsche Blogosphäre eine Plattform braucht, die den inhaltlichen Reichtum und die Bandbreite von Blogs aufzeigen kann. Die Diskussion war kontrovers: während die einen eine solch zentrale Institution für überflüssig halten, bin ich der Ansicht, dass die Idee was hat. Eine entsprechende Plattform könnte Außenstehenden den Einstieg in die Blogosphäre erleichtern und das Medium ‘Blog’ noch stärker als (politische) Institution etablieren.

Johannes Kleske hielt eine Session über die POST-Strategie von Forrester Research, die Organisationen bei der Auswahl von Web2.0-Tools hilft. POST ist mir bekannt, ich habe vor einiger Zeit hier einen Beitrag darüber geschrieben. Bei POST geht es darum, dass Organisationen einige Fragen klären, bevor sie konkrete Tools auswählen:

1. Inwieweit sind unsere Zielgruppen (People) schon im Netz aktiv? Sind sie überhaupt nicht im Internet vertreten? Gehören sie zu den Zuschauern? Oder zu den Nutzern, die in Communities mitmachen? Sind sie als Sammler unterwegs, die bookmarken? Schreiben sie Kommentare? Oder produzieren sie selbst Inhalte?

2. Welche Ziele (Objectives) möchten wir mit Hilfe von web 2.0 erreichen?

3. Welche Mittel bzw. mögliche Umsetzungsstrategien (Strategy) stehen uns zur Verfügung? Hier ist eine Beschäftigung mit den Vor- und Nachteilen der einzelnen Web 2.0-Instrumente notwendig

4. Erst zum Schluß erfolgt eine Auswahl der Tools (Technology)

Wichtig: die Technik wird zum Schluß ausgewählt und nicht am Anfang, wie viele Organisationen das machen. Laut Kleske wird jede Organisation scheitern, die sich zuwenig mit den neuen Medien auseinander gesetzt hat. Als Beispiel nannte er die Werbekampagne für den Chevy tahoe, die von vielen im Netz persifliert wurde. Das Problem ist, dass solche Fehlleistungen eines Unternehmens noch ‘ewig’ im Netz zu sehen sind. Deshalb die Empfehlung an alle interessierten Organisationen: erst die Regeln des Mitmach-Webs studieren und sich über die eigene Situation Gedanken machen und danach die Web2.0-Instrumente auswählen.

Die letzte Session, die ich besuchte, befasste sich mit Twitter, wo ich unter dem Namen npo_vernetzt vertreten bin. Es ging um die Frage, welchen Nutzen man aus Twitter ziehen kann und welche Perspektiven Twitter (gemeinnützigen) Organisationen eröffnet. Dazu aber ein anderes Mal mehr.

Insgesamt empfand ich das BarCamp als sehr gelungen. Darüber hinaus habe ich mich mit vielen netten Leuten unterhalten, die ich bisher nur aus ihren Blogs oder über Twitter kannte.

Nachtrag: wer sich näher mit der POST-Strategie befassen will, findet den Ansatz in dem folgenden Buch: Charlene Li und Josh Bernoff: Groundswell. Winning in a World Transformed by Social Technologies (2008).

Web2.0 – Marketing-Tool oder Konversationsinstrument ?

Auf Kivi’s Nonprofit Communications Blog ist eine kontroverse Diskussion zwischen Nonprofit-Bloggern entstanden. Die Diskussion dreht sich um die Frage, ob es legitim ist, wenn Nonprofits Online-Netzwerke zu Marketing-Zwecken nutzen. Oder ob in den Netzwerken nicht die Konversation mit den Stakeholdern im Vordergrund stehen sollte, d.h. das ‘Hören’ und ‘Lernen’ und nicht das ‘Werben’.

Kivi Leroux Miller selbst zählt zu den Marketing-Befürwortern und betont, dass insbesondere kleine Nonprofits mit geringem Budget auf Online-Netzwerke als Vermarktungskanal angewiesen sind. Beth Kanter hingegen neigt eher zu der idealistischen Haltung, die den Wert der nicht-nutzenorientierten Konversation mit den Stakeholdern betont.

Wie sieht – unabhängig von der Diskussion zwischen Bloggern – die Realität aus? Gibt es überhaupt eine breite Bewegung unter den Nonprofits, die Online-Netzwerke zu Marketing-Zwecken nutzt? Oder allgemeiner gefragt: Welche Ziele verfolgen Nonprofits mit Ihrer Internetpräsenz?

Die empirische Studie von Linda Jean Kenix ‘The Internet as a tool for democracy? A survey of nonprofit Internet decision-makers and Web users’ in der Juli-Ausgabe von First Monday bringt Licht ins Dunkel. Die Autorin hat fast 700 Personen aus kleinen amerikanischen Nonprofit-Organisationen befragt, darunter mehr als 400 Personen, die für die Web-Inhalte ihrer Einrichtung verantwortlich sind.

Die Studie zeigt, dass 41% der befragten 429 Online-Autoren aus NPOs den Hauptzweck ihrer Internetpräsenz darin sehen, Informationen bereitzustellen. 38,6% möchten für ihre Organisation werben. Nur 6,5% wollen über ihre Internetpräsenz in die Diskussion mit den Stakeholdern eintreten. Nur 3,5% zielen auf das Online-Fundraising (S. 7).

Obwohl die befragten Nonprofit-Akteure den Schwerpunkt im Internet auf die Information legen, nutzen sie laut der Studie die Möglichkeiten, die eine Webseite hier bietet, nur mangelhaft aus und versäumen es, Newsletter, freie Stellen, Protestformulare usw. ins Netz zu stellen. Gleichzeitig zeigt die Untersuchung, dass 81% der Befragten, die der Nonprofit-Organisation verbunden sind, ohne selbst Inhalte einzustellen, von den Informationen ihrer gemeinnützigen Einrichtung gar nicht profitieren, weil sie deren Internetauftritt nicht besuchen und sich Informationen über persönliche Kontakte beschaffen.

Letzteres macht deutlich, dass den befragten Nonprofits die Verbindung zu den Stakeholdern noch nicht gelingt und – wie oben erwähnt – diese Interaktivität auch kein vordringliches Ziel für die Verantwortlichen darstellt. Auch die angestrebte Werbung für die eigene Organisation wird in der Praxis so nicht umgesetzt. Nur ein Fünftel der befragten Nonprofit-Akteure, die Inhalte für das Netz erstellen, berichten, dass sie das Internet tatsächlich auch für Marketingzwecke nutzen (S. 11).

Das Fazit der Autorin:"Thus the Internet appeared to be primarily a tool for gathering and providing information for non-profit organizations, rather than contact with members, fund-raising or promotion" (Kenix 2008, S. 12).

Angesichts der beschränkten Zahl von untersuchten Nonprofits kann man das Ergebnis nicht verallgemeinern, aber die Tendenz herauslesen, dass NPOs die bestehenden Online-Netzwerke weder massiv für Marketingzwecke nutzen noch zur intensiven Konversation mit den Stakeholdern. Die kontroverse Diskussion in der Blogosphäre zu diesem Thema, die eingangs erwähnt wurde, spiegelt wohl eher die persönlichen Wünsche und Einstellungen der Autoren wider, statt die tatsächlichen Verhältnisse. Momentan scheinen Nonprofit-Organisationen noch im Zustand von Web 1.0 zu verharren (Informationsbereitstellung) und den Weg zur Interaktivität (Web2.0) noch nicht gefunden zu haben.