Die Verflechtung von Staat und Verbänden im Sozialsektor und die Stellung der Bürger – am Rand

Auf den neuen Dialog- und Vernetzungsmöglichkeiten des Internets ruht die Hoffnung, dass sie auch zwischen Bürgern und dem gemeinnützigen Sektor einen engeren Austausch ermöglichen und Bürgern in den sozialen Diensten mehr Mitwirkungsmöglichkeiten verschaffen können.

Diese Hoffnung trifft allerdings auf institutionelle Strukturen im Politikfeld, bei denen die Bürger nur Randfiguren ohne essentielle Mitgestaltungsmöglichkeiten sind. Backhaus-Maul (2009) schildert in einem Aufsatz für das Archiv für Wissenschaft und Praxis der sozialen Arbeit prägnant, wer in unserem Land die wirklich wichtigen Player im Bereich sozialer Dienstleistungen sind: der Staat und die großen Wohlfahrtsverbände. Beide schließen gemeinsam Leistungsvereinbarungen für den Sozialbereich ab, in denen die Leistungsarten, die Leistungsmenge, die Preise, Qualitätsstandards, deren Messung und Evaluation festgelegt werden (S. 74). Und zwar in nicht-öffentlicher Runde. Diese Verhandlungen bestimmen faktisch darüber, wie sozialstaatliche Gesetze konkret umgesetzt werden. Bürger haben darauf keinen Einfluss. Es sind die freigemeinnützigen Träger, die “maßgeblich über politische Prioritäten beim Einsatz und der Vergabe öffentlicher Mittel entscheiden” (Backhaus-Maul, ebd.).

Die enge Verflechtung zwischen Staat und Verbänden erschwert Backhaus-Maul zufolge das Empowerment der Leistungsempfänger hin zu Bürgern und Ko-Produzenten. Aber auch für die Wohlfahrtsverbände bringt die Verflechtung nicht nur materielle Chancen und Wachstumsmöglichkeiten mit sich, sondern ebenso eine Bürokratisierung und Unterwerfung unter staatliche Vorschriften. Die Verflechtung mit dem Staat bedroht überdies die Legitimation der freien Wohlfahrtspflege, weil die Verbände zu Dienstleistungsunternehmen mutierten und ihre gesellschafts- und demokratiepolitischen Funktionen vernachlässigten. Aus der Verflechtung mit dem Staat kann die freie Wohlfahrtspflege keine Vision für die Zukunft entwickeln. Dienstleistungsunternehmen sind sie schon – was könnten Nonprofits im Sozialsektor aber darüber hinaus sein?

Neue Wege ergeben sich für soziale Dienste nur durch die Bürger und mit den Bürgern. Letztere dürfen nicht als Bedrohung professioneller Errungenschaften und der verbandlichen Autonomie betrachtet werden, sondern als Enabler, die freien Trägern helfen können, ein neues Selbstbild zu entwickeln. Aus der Sackgasse, in der sich Nonprofits befinden, wird man nicht durch mehr Professionalisierung und noch mehr betriebswirtschaftliche Konzepte herauskommen, sondern nur durch eine stärkere Demokratisierung, die Bürgern mehr Handlungsspielräume in den verbandlichen Einrichtungen und im Sozialsektor eröffnet.

Nonprofits reden – wie alle Entscheidungsträger in unserem Land – viel von der Förderung des bürgerschaftlichen Engagements. Sie reden aber – wie alle anderen auch – viel zu wenig von den demokratiepolitischen Dimensionen des Engagements. Die Hilfe der Bürger ist sehr erwünscht, – die inhaltliche Mitsprache weniger (siehe “Demokratie Macht Bürgergesellschaft” von R. Roth). Es wird nicht gesehen, dass es genau die – gefürchtete – Partizipation der Bürger ist, die den Wohlfahrtsverbänden in der Verflechtung mit dem Staat und jenseits von dieser neue Perspektiven aufzeigen könnte.

Social Media bieten der freien Wohlfahrtspflege die Chance, über das Internet enger mit den Bürgern in Kontakt zu kommen. Über Social Media können Bürger auch Mitwirkungsmöglichkeiten in Nonprofit-Organisationen erhalten. Und dennoch darf man nicht vergessen, dass die Technologien allein keine Partizipationsrechte und -pflichten begründen. Der Social Media- Einsatz bleibt vom guten Willen eines Trägers abhängig. Deshalb muss man über die Technologien hinaus sich um eine rechtliche Institutionalisierung von Partizipationschancen für Bürger bemühen. Die digitale Welt darf kein Surrogat für Mitwirkungsrechte sein, die man in der realen Welt der Institutionen, Gesetze und Politikfeld-Steuerung den Bürgern vorenthält.

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