Spricht man gemeinnützige Sozialeinrichtungen auf kommunaler Ebene auf die Möglichkeiten von Social Media an, so erhält man oft die Antwort: weshalb sollten wir bloggen oder twittern, – wer interessiert sich schon für unsere Themen und unsere Klientel? Auch im Sozialsektor gibt es Moden, das heißt Themen, die besser gehen als andere. Speziell von Nonprofits, die mit einer “randständigen” Klientel zu tun haben – seien es Drogenabhängige oder verhaltensauffällige Jugendliche – kommt dieses Feedback, niemand interessiere sich für die eigene Arbeit und auch Förderer finde man nicht, die seien längst zu jenen sozialpolitischen Feldern weiter gezogen, die populärer sind und den Unterstützern mehr Publicity verschaffen.
Aber nicht nur Nonprofits mit schwieriger Klientel, – auch viele ganz gewöhnliche Sozialeinrichtungen, die in der Altenhilfe oder der Mainstream-Jugendarbeit aktiv sind, tun sich schwer mit Social Media. Die Idee, in einen Dialog mit der Umwelt zu treten und offener über die eigene Organisation zu berichten, löst in vielen Einrichtungen Ängste aus: was ist, wenn man öffentlichen Geldgebern, örtlichen Politikern oder Vereinsmitgliedern mit einem ungefilterten Text vor den Kopf stößt? Welche Folgen kann das haben? Carsten Tesch, der wie ich auf einer Tagung der evangelischen Fachhochschule Darmstadt einen Workshop hielt, spricht von einer “PR der Verhüllung” statt einer “PR der Praxis” und der Transparenz, die in vielen Sozialeinrichtungen dominiere. Regional herrsche eine Öffentlichkeitsarbeit der Spatenstiche, der Scheckübergaben und der Tage der offenen Tür vor. Was ungesagt bliebe, sind all die wertvollen Geschichten und Erfahrungen aus dem Alltag der Pflege und der Sozialarbeit.
Die Fähigkeit zu erzählen nimmt in dem Maße ab, wie das Schicksal eines Menschen entwertet wird, so wurde vor kurzem Walter Benjamin in der SZ zitiert. Bezogen auf Sozialeinrichtungen könnte man formulieren: ihre Fähigkeit, offen aus der Praxis zu erzählen, hat in dem Maße abgenommen, wie sie sich und ihre Arbeit entwertet fühlen verglichen mit anderen Sektoren in der Gesellschaft.
Insbesondere im Vergleich mit der Wirtschaft, in den sich Nonprofits durch ihre Ökonomisierung drängen ließen, schneiden Sozialeinrichtungen im Hinblick auf Effizienz und Effektivität schlecht ab. Statt offensiv auf die Besonderheiten sozialer Dienstleistungen hinzuweisen und den Schulterschluss mit ihren Unterstützern aus der Bürgergesellschaft zu suchen, hat die freie Wohlfahrtspflege vor ihrer Verbetriebswirtschaftlichung kapituliert, – ja sie häufig sogar zu ihrem Ziel erklärt. Ein strategischer Fehler, der die gemeinnützigen Träger ihrer Glaubwürdigkeit beraubt und sie von ihren weltanschaulichen/spirituellen Wurzeln und Quellen entfernt. Wer im Sozial- und Pflegesektor die eigene Arbeit durch die Brille von Effizienz und Effektivität betrachtet, wird zwangsläufig irgendwann Minderwertigkeitsgefühle entwickeln, weil die eigene Arbeit an Grenzen stößt, die durch geringe Budgets und den Kooperationswillen der Klienten gesetzt sind. Es gibt eben nicht nur erfolgreiche Geschichten im Sozialsektor, sondern auch solche, die vom Scheitern und Versagen, von Konflikten, Ausstieg und Tod erzählen. So lange für diese Art von Geschichten kein Platz an der Öffentlichkeit ist, so lange werden Nonprofits sie nicht erzählen, sondern sie verhüllen und verstecken. Wenn von Politik und Teilen der Gesellschaft allein Effizienz und Effektivität beklatscht werden, dann werden sich Nonprofits auch noch langfristig schwer tun, mit Social Media aus der Praxis der Sozialarbeit zu berichten.
Sozialeinrichtungen können sich aus der vertrackten Situation, in die sie sich in den letzten Jahren hinein manövriert haben, – aus ihrem Sinn- und Zielvakuum und ihrer Defensivposition- , selbst nur schwerlich befreien. Besser kann ein Self-Empowerment der freien Wohlfahrtspflege gelingen, wenn Sozialeinrichtungen von ihren Unterstützer-Netzwerken Hilfe erfahren. Dies ist ein wichtiger Gedanke: wenn es darum geht, den gemeinnützigen Sektor zu stärken, sollten politische Konzepte immer auch das Netzwerk von Nonprofits in den Empowerment-Prozess mit einbeziehen. Die Organisationen dürfen nicht als singuläre Institutionen gedacht, sondern sollten immer im Zusammenhang mit ihren Stakeholdern betrachtet werden.
Für Sozialeinrichtungen ist insbesondere die Anbindung an die Bürgerschaft und an ihre Förderer/Unterstützer von großer Bedeutung. Nur im Diskurs und der Kooperation mit bürgerschaftlichen Kräften können Nonprofits Wege aus der Ökonomisierungsfalle heraus entwerfen und Ziele wie Solidarität, Integration, Dialog und Demokratisierung usw. neu beleben oder aufnehmen. Um die Unterstützung der Bürgergesellschaft für das eigenen Empowerment ausschöpfen zu können, müssen die bürgerschaftlichen Kräfte in Nonprofits mehr Handlungsspielräume erhalten. Nonprofits sollten sich also daran machen, das bürgerschaftliche Engagement für und in gemeinnützigen Organisationen zu stärken und zu fördern, – und zwar über die Sonntagsreden hinaus, im Rahmen eines realen Machtzuwachses für jene, die freie Träger unterstützen und fördern. So entstehen Verbündete, die Nonprofits neue Wege abseits der Ökonomisierung ebnen können.
Dies gilt auch für den Bereich der Kommunikation bzw. für den Social Media-Einsatz von Nonprofits: mit einem starken Bürger- und Unterstützernetzwerk im Rücken lassen sich manche Geschichten öffentlich leichter erzählen als ohne ein solches Netzwerk. Bürger können bei Nonprofits die Rolle digitaler Mentoren spielen und ihnen helfen, sich nach außen hin zu öffnen. Von bürgerschaftlicher Seite darf dabei nicht nachgelassen werden, mehr Transparenz von gemeinnützigen Organisationen einzufordern. Denn Intransparenz, eine PR der “Verhüllung”, mangelnde Dialogbereitschaft, hierarchische Steuerung, fortschreitende Ökonomisierung usw. werden langfristig die Legitimation des Dritten Sektors zerstören. Wie Carsten Tesch in seiner Präsentation ausführt: das kleine ‘g’ für gemeinnützig bei den gGmbHs muss den ganzen Unterschied zum privatwirtschaftlichen Sektor hin ausmachen. Es ist fraglich, ob das kleine ‘g’ die Legitimation des Dritten Sektors stützen kann, wenn ansonsten in den Einrichtungen der Unterschied zwischen der Privatwirtschaft und gemeinnützigen Trägern verschwimmt.
Ich fürchte, dass viele Professionals in sozialen Berufen ein ganz persönliches “Problem” mit Öffentlichkeit und Social Media haben. Beispiel: Ich kenne sehr viele Leute, die keinen Eintrag im Telefonbuch mehr wünschen – weder gedruckt noch digital – und sich erst recht scheuen, Details ihrer beruflichen Arbeit einsehbar zu machen. Hier spielen diffuse Ängste vor Datenmissbrauch und vor einem “gläsernen Menschen” eine große Rolle. Die Akteure vor Ort sind oft das genaue Gegenteil von dem, was sich ein PR-Fachmann wünscht… Wie sich die Aufgeschlossenheit fördern ließe, weiß ich leider auch nicht.
Die Einschätzung teile ich, dass viele Mitarbeiter in den sozialen Diensten selbst ein Problem mit mehr Offenheit und Transparenz haben, egal ob sie nun digital oder offline hergestellt werden soll. Diese ANGSTbesetzte Haltung gegenüber der Umwelt, die sich im Unwillen ausdrückt, sich nach außen hin zu öffnen , ist eine Folge der im Beitrag beschrieben negativen Selbsteinschätzung, dieser defensiven Haltung, welcher der Stolz auf die eigene Arbeit fehlt. Aber wie gesagt – die Gesellschaft ist nicht unschuldig an dieser Entwicklung: wenn man soziale Organisationen immer mehr presst und reguliert und Erwartungen an sie stellt, die sich vielleicht im industriellen Kontext aber nicht in der Produktion sozialer Dienstleistungen verwirklichen lassen, dann muss man sich nicht wundern, wenn das Ganze zu solchen Ergebnissen führt.
Gewinnt man das Vertrauen der sozialen Organisation und ihrer Mitarbeiter, kann man durchaus Verständnis für die Position erzielen, dass mehr Transparenz nach außen hin eigentlich ein Gebot der demokratischen Strukturen unserer Gesellschaft ist. Aber was sich Sozialeinrichtungen wünschen, das ist – auch von Seiten der Öffentlichkeit – mehr Verständnis für ihre Situation und konstruktive Kritik, keine destruktive. Am Anfang muss die Wertschätzung für die soziale Arbeit stehen, – alles andere findet sich dann.
Hallo zusammen, zum Thema angstbestimmte Kommunikation seitens der Nonprofits, kann ich euch nur zustimmen. Freiwillig oder hauptamtlich Mitarbeitende soziale Organisationen stellen sich schon viel zu lange unter die Knute der Ökonomie. Als “Sozis” verpönt werden sie so lange nicht ernst genommen, bis ihre professionelle Existenzberechtigung bis in die letzten Winkel der Massenmedien vorgedrungen ist — bis sie sich allen Kritikerinnen und Kritikern selbstbewusst zu verkaufen wissen.
Meiner Ansicht nach ist es das Selbstbewusstsein, dass in Nonprofits fehlt und das in weiten Teilen des Dritten Sektors auch noch so lange fehlen wird, wie es starre Organisationsformen mit konservativer “Spatenstich-Kommunikation” gibt.
Ja, das Selbstbewusstsein fehlt, und dieses wird der Sektor – das ist meine These – nicht alleine aufbauen können, sondern nur gemeinsam mit seinen Unterstützern. Aus der Gesellschaft heraus muss die Wertschätzung für NPOs kommen.
Notwendig ist dabei aber auch ein kritischer Dialog: es geht nicht darum, den Status quo von sozialen Organisationen ‘abzusegnen’, sondern darum, gemeinsam nach neuen Wegen zu suchen, wie soziale Dienstleistungen noch besser vernetzt mit der Gesellschaft angeboten werden können. wie Klienten ermächtigt und der ganze Bereich demokratisiert werden kann.