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NPO-Blogparade #14 über die Plattform engagiert-in-deutschland.de

Das Blog von engagiert-in-deutschland.de (eiD) ist Gasthost der 14. Runde der Blogparade. Die Plattform will sich zu einem zentralen Marktplatz bürgerschaftlichen Engagements im Netz entwickeln, der es Nutzern ermöglicht, sich über Engagementthemen zu informieren, auszutauschen und Projekte durch eigene Mithilfe oder Geld-und Sachspenden zu unterstützen. eiD wird getragen vom Deutschen Verein für öffentliche und private Fürsorge, in dem Kommunen und Wohlfahrtsverbände zusammenarbeiten. eiD hat diverse Projekt- und Vernetzungspartner (s. die eiD-Startseite) und wird vom Bund gefördert.

Die primäre Zielgruppe von eiD sind laut eigener Aussage bürgerschaftlich Engagierte. Freiwillige Helfer sind als Gruppe sehr heterogen. Sie zeichnen sich durch unterschiedliche Interessen aus und nutzen auch das Internet unterschiedlich intensiv. Wie es im Blogbeitrag von eiD heißt, sinkt mit zunehmendem Alter die Präsenz der Menschen im Internet , wohingegen ihre Engagementquote relativ hoch bleibt.

Die Plattform-Macher stellen deshalb im Rahmen der Blogparade die folgenden Fragen zur Diskussion: welche Nutzungsgewohnheiten haben bürgerschaftliche Engagierte im Internet und wie kann die Plattform für alle Altersgruppen zu einem attraktiven Marktplatz werden?

Hier meine Antwort:

1. Die Konzentration von eiD auf die Zielgruppe der bürgerschaftlich Engagierten finde ich zu einseitig. Der Erfolg der Plattform hängt nicht nur von der Frage ab, wie man die bürgerschaftlich Engagierten auf die Seite bringt, sondern auch davon, ob eiD so viel Einrichtungen zu einer Kooperation bewegen kann, dass die Datenbank der Plattform viele Mitmachangebote umfasst. Das heißt, es ist wichtig, nicht nur die individuelle Seite des bürgerschaftlichen Engagaments zu betrachten, sondern auch seine institutionelle. Freiwilliges Engagement findet nicht im luftleeren Raum, sondern in Tausenden von gemeinnützigen, öffentlichen und privaten Einrichtungen speziell auf kommunaler Ebene statt. Es geht für eiD darum, diese lokalen Akteure für die Plattform zu gewinnen und ihre Rolle als örtliche Multiplikatoren der Plattform zu nutzen. Ohne die Kooperation eines Großteils dieser Verbände und Einrichtungen vor Ort wird die Plattform ihr Ziel, die zentrale Drehscheibe für bürgerschaftliches Engagements zu sein, nicht erreichen können.

Die Präsenz der Plattform auf sozialen Netzwerken wie Twitter und Facebook ist ein erster guter Schritt, um das Projekt im Internet ins Gespräch zu bringen und Unterstützer zu sammeln. Dennoch kann eine so große Community, wie die Plattform sie anstrebt, nicht von oben nach unten aufgebaut werden, sondern nur von unten – von der kommunalen Ebene her – nach oben.

2. Eben weil viele bürgerschaftlich Engagierte – speziell die Älteren – noch nicht im Netz sind und ohne Unterstützung vielleicht auch nie ins Netz kommen, insbesondere nicht in den interaktiven Bereich, ist es notwendig, die Nutzer dort abzuholen, wo sie sind, – in den (Partner) Einrichtungen, die vor Ort für das Projekt werben müssen. Auch deshalb muss das Hauptaugenmerk der Plattform auf einer gezielten und ganz massiven Vernetzung mit Institutionen/Orten des bürgerschaftlichen Engagements liegen. Mit dem Deutschen Verein im Rücken müsste eine so breite Vernetzung eigentlich möglich sein.

Über die örtlichen Einrichtungen hinaus braucht die Plattform aus dem gesellschaftlichen Bereich Freunde auf kommunaler Ebene, die für die Plattform werben und Offlinern in das Netz bzw. auf die Plattform helfen. Mein Bloggerkollege Hannes Jähnert schlägt Tandem-Gespanne aus jüngeren und älteren Engagierten vor, die Bürgern die Möglichkeiten von eiD aufzeigen. Denkbar ist auch, dass die Plattform die regionalen Ableger der Socialbar nutzt, um sich vor Ort bekannt zu machen.

3. Die Plattform muss Anreize schaffen, – sowohl für Bürger, damit sie die Plattform nutzen, als auch für institutionelle Partner, damit sie ihre Engagementangebote einstellen. Ich denke, Anreize für Nutzer sind schon da, wobei das Element der politischen Partizipation, d.h. die Verbindung zwischen den Diskussionen auf der Plattform und ihre Einspeisung in den politischen Betrieb noch fehlt, – was sehr schade ist, aber vom Träger möglicherweise so gewollt wird.

Die Anreize für die institutionellen Partner sind demgegenüber unklar. In der Regel haben Kommunen und viele Verbandsgliederungen schon ihre eigenen Freiwilligendatenbanken. Weshalb sollten sie diese Daten in eine zentrale Plattform einbringen, wo ist der Mehrwert für die Organisationen, die nach eigener Einschätzung mit dem bisherigen Modell ganz gut gefahren sind und aus Wettbewerbsgründen einer Daten-Aggregation kritisch gegenüber stehen?

Grundsätzlich finde ich, dass die Partner auf der Plattform zu kurz kommen. Die Plattform spricht primär die Nutzer an und blendet die institutionelle Seite der Partnerorganisationen aus, die im Plattformaufbau bzw. im Menü nicht präsent sind. Es dominieren die Themenräume, es fehlen die Sektoren. Und damit fehlen auch Möglichkeiten für die Vernetzungspartner, sich auf der Plattform nach außen hin zu präsentieren.

4. Die Bemühungen von eiD um Nutzer wird an die Grenzen stoßen, die dem Internet generell gesetzt sind, wenn es darum geht Menschen in den Online-Diskurs zu integrieren. Die Forschung zeigt, dass die Nutzung des Internets nicht nur vom Alter abhängt, sondern auch vom Bildungsgrad und dem sozioökonomischen Hintergrund. Das Internet bringt ohnehin schon aktiven Bürgern Vorteile. Die passiv-apathischen Gruppen, die der Ansicht sind, dass ihre Stimme generell nicht zählt, bleiben auch online stumm (siehe Kavanaugh u.a. 2008). Um diese Menschen online zu integrieren oder sie zu einem Besuch auf engagiert-in-deutschland.de und zu einem Ehrenamt zu bewegen, braucht es viel, viel mehr als Appelle und Anreize.

Live im Internet – sinnvoll für soziale Organisationen?

David Röthler von politik.netzkompetenz.at fragt im Rahmen der 13. NPO-Blogparade, ob synchrone Online-Tools wie Chat, Skype oder Online-Konferenz-Systeme sinnvolle Instrumente für NPOs sein können. David selbst ist als Organisator des Online-Webmontags und des Online-Frühstücks, ko-moderiert von meinem Blogger-Kollegen Christian Henner-Fehr, sehr erfahren im Umgang mit Webkonferenzen. Seine Passion für Live-Tools bringt er nun in die jetzige Blogparaden-Runde ein.

Ob Echtzeit-Instrumente für NPOs sinnvoll sind, hängt von deren Einsatzfeld ab. Wie Jörg Reschke es schon andeutet: für den Bereich der Entwicklungshilfe, der Katastrophenhilfe oder globaler Umweltinitiativen sollten Live-Tools zu den Instrumenten erster Wahl gehören, um intern die Abstimmung über Ländergrenzen hinweg zu erleichtern. Und um die weltweite Öffentlichkeit über Video-Live-Streams oder Online-Pressekonferenzen ausführlich zu informieren.

Für soziale Organisationen auf kommunaler Ebene (Pflegeheime, Beratungsstellen, Jugendhilfeeinrichtungen usw.), auf die ich fokussiert bin, zählen speziell die videobasierten Echtzeit-Tools im Moment nicht zu den Mitteln, die ich einer Einrichtung empfehlen würde. Und zwar aus fünf Gründen nicht:

  1. Für lokale Sozialeinrichtungen sind die örtlichen/regionalen Netzwerke sehr wichtig. Das heißt der örtliche Träger, die Lokalverwaltung, der Gemeinderat oder Kreistag, die lokalen Politiker, Bürger, Händler, Kirchen und Vereine. Zwar muss auch eine Abstimmung mit dem Dachverband und mit professionellen Fachverbänden erfolgen, aber ich denke nicht, dass es einen großen Mehrwert bringen würde, wenn man diese Face-to-Face-Kontakte in Online-Konferenzen verwandeln würde: so zeitaufwändig und kostspielig sind die zu überwindenden Distanzen nicht, verglichen mit der Situation internationaler Organisationen.
  2. Die IT-Ausstattung von lokalen Einrichtungen im Sozialbereich ist suboptimal: nur 60% der Mitarbeiter nutzen regelmäßig einen PC, wobei es 400.000-500.000 PC-Arbeitsplätze gibt (bei rund 1,2 Mio Mitarbeitern) (zu den Daten s. hier). Den örtlichen Einrichtungen fehlen im Moment die Ausstattung und das Know-How, um Online-Konferenzen durchführen zu könne. In dieser Umgebung hätten diese ziemlich futuristischen Charakter.
  3. Die sozialen Dienste sind erst im Web 1.0 angekommen. Webseite und Internetanschluss sind nun vorhanden. Aber der Auftritt ist häufig beim örtlichen Träger oder sogar beim Dachverband zentralisiert, d.h. die einzelne Beratungsstelle, die örtliche Diakoniestation oder das Pflegeheim verfügt häufig über keinen eigenen unabhängigen Webauftritt, sondern ist lediglich als Adresse oder standardisierte Unterseite auf der Webpage des Trägers präsent. Insofern existiert für viele Sozialeinrichtung im Viertel in der Regel nicht die Möglichkeit, sich online interaktiver zu präsentieren. Entsprechend gering ist deshalb auch ihr Interesse an Social Media, einschließlich synchroner Online-Tools. Man fühlt sich dafür nicht zuständig. Alles, was mit dem Internet zu tun hat und mit der Online-Kommunikation intern oder mit der ‘Außenwelt’ wird (aus Erfahrung heraus) als Sache des Trägers betrachtet.
  4. Der soziale Sektor ist ganz auf den Menschen hin ausgerichtet. IuK-Technologien werden als lästige Begleiter empfunden, nicht als wertvolle Hilfe. Sie halten vermeintlich von Beziehungen in der realen Welt ab, – und um diese geht es in den sozialen Diensten. Ich glaube nicht, dass sich die Mitarbeiter in den Sozialeinrichtungen mit Online-Konferenzen als Surrogat für echte Treffen zufrieden geben würden. In internationalen Zusammenhängen ist deren Mehrwert (Kostenersparnis usw.) für die Mitarbeiter leichter erkennbar.
  5. Auch in der Beratung würde ich für Textchats plädieren, weil dann die Schwelle für die Ratsuchenden niedrig gehalten wird. Je elaborierter die Formate sind, desto mehr Menschen werden von diesen ausgeschlossen. Derzeit existiert schon eine große Kluft zwischen den Social Media-Nutzern und jenen, die nicht wissen, um was es sich dabei handelt. Man sollte versuchen, diese Kluft zu verkleinern, indem man niedrigschwellige Tools einsetzt. “Putting social tech two clicks down” heißt ein Beitrag von David Wilcox, in dem er dafür plädiert, sich auf das Wesentliche von Social Media zu konzentrieren: auf die Beziehungen zwischen Menschen, nicht auf Technologien.

Aus meiner Sicht geht es im Moment darum, örtlichen Sozialeinrichtungen das Internet zu erklären, Interesse dafür zu schaffen und mit textbasierten Formaten (wie Blogs, Wikis, Twitter) den Einstieg ins Netz zu beginnen, – immer vorausgesetzt, der Träger macht mit und baut keine Hürden auf. Wenn das Interesse geweckt und die Kompetenzen gewachsen sind, kann sich eine Einrichtung an Live-Tools wie Chats und Online-Konferenzen wagen.

Wie Ludger Brenner erwähnt wäre es wünschenswert, wenn die öffentliche Hand die Social Media-Kompetenzen von gemeinnützigen Trägern fördern würde. Das capacity-building des Dritten Sektors sollte für den Staat ein wichtiges Thema sein, denn die Bürgergesellschaft braucht starke und kompetente Nonprofit-Organisationen, die zum Austausch mit ihrer Umwelt in der Lage sind. Von einer schwachen zivilgesellschaftlichen Infrastruktur kann unsere Demokratie nicht profitieren. (Vgl. hierzu die britischen capacity builders und ICT Champions).

Die Bereitschaft zum Zuhören oder Wann verhalten sich Organisationen responsiv?

Netzwerke und Partnerschaften leben vom Dialog. Wer nur die eigene Botschaft verbreitet und sich nicht auf die Sichtweise und Vorschläge des Anderen einlässt, wird in Kooperationsprozessen keinen langfristigen Erfolg haben. Die Gefahr, dass sich Partner frustriert abwenden, weil sie sich übergangen und überhört fühlen, ist zu groß.

Dies gilt auch dann, wenn man Beziehungen über das Internet aufbauen und pflegen möchte. Kern einer jeden Social Media Strategie muss das Zuhören sein und die Bereitschaft, in einen Dialog einzutreten. Wer im Internet nur Informationen sendet, aber keinen Dialog führt, nutzt die Potentiale des Mediums nicht adäquat bzw. transportiert seine traditionellen Kommunikationsformen in ein Umfeld, das eigentlich andere Chancen böte. Im Kulturmanagement-Blog weist C. Henner-Fehr auf die Grenzen hin, die monologischen Kommunikationsstrategien innewohnen, die auf das Senden hin ausgerichtet sind und dies durch Aggregationstechniken noch verstärken.

Wann verhalten sich Organisationen responsiv, – wann sind sie bereit, ihren Stakeholdern zuzuhören und ihnen zu antworten?

Die Studie von Thomas A. Bryer (2009) (abstract hier ) untersucht dies anhand von zwei empirischen Fällen in Los Angeles, in denen jeweils eine städtische Behörde mit bürgerschaftlichen Gremien, sogenannten Neighbourhood Councils , zusammenarbeitet. Diese Neighbourhood Councils – eine Art ‘Runde Tische’ – wurden gegründet, um die Kommunikation zwischen der Verwaltung , dem Stadtrat und der Bürgerschaft zu verbessern und um Bürgern mehr Mitsprachemöglichkeiten zu verschaffen. Die Neighbourhood Councils sollen Rat und Verwaltung bei der Entscheidungsfindung unterstützen und die städtische Politik aus der Einwohnerperspektive heraus kommentieren.

Mit der Schaffung entsprechender bürgerschaftlicher Gremien ist immer die Hoffnung verbunden, dass die Einwohner einer Gemeinde auf diese Weise mehr Gehör gegenüber Politik und Verwaltung erlangen. Aber diese Hoffnung erfüllt sich nicht automatisch, denn die Verwaltungen reagieren ganz unterschiedlich offen auf die Partizipationswünsche der Bevölkerung. Die Studie kommt zu dem Ergebnis, dass das Selbstbild der Behörde und ihre Wahrnehmung der bürgerschaftlichen Seite entscheidend dafür ist, wie responsiv sie sich verhält.

Wenn einer Behörde die interaktive, auf einen Dialog hin ausgerichtete Perspektive fehlt, wenn sie ihren eigenen Status als Experte betont und bürgerschaftliche Mitsprache als ‘Angriff’ auf die Neutralität und inhaltliche Überlegenheit des Amtes sieht, dann kann keine Partnerschaft zwischen der kommunalen Organisation und den bürgerschaftlichen Gremien aufgebaut werden. Letztere werden in diesem Fall lediglich als mögliche Multiplikatoren der Verwaltungsposition gesehen und nicht als wertvolle Ideengeber, die ihr Quartier und ihre Bedarfe am besten kennen.

Die Thesen, die Bryer aufgrund der empirischen Ergebnisse aufstellt, kann man als Richtschnur nehmen, wenn es darum geht, die Responsivität von Organisationen gegenüber ihren Stakeholdern zu bestimmen. Danach verhalten sich Organisationen – offline oder im Internet – umso aufnahmebereiter gegenüber den (Bürger-)Stakeholdern, je stärker sie

  • an langfristigen Beziehungen zu den Stakeholdern interessiert sind
  • den Stakeholdern vertrauen. Damit verbunden ist auch der Respekt für die Dialogpartner
  • Ziele mit den Stakeholdern teilen
  • von den Stakeholdern lernen wollen
  • bereit sind, Entscheidungen bottom-up zu treffen
  • und sie den strategischen Nutzen der Partnerschaften mit den Stakeholdern sehen

(vgl. Bryer 2009, 277).

Diese Voraussetzungen für Responsivität sollten gegeben sein, wenn Organisationen – zum Beispiel Nonprofits – den Schritt ins Internet machen. Wer mit einer monologischen Haltung ins Netz geht, wird vielleicht nicht scheitern, aber den Mehrwert des Internets nicht ausschöpfen können.

Meines Erachtens wird es zukünftig für jene Organisationen schwierig werden, die angesichts der Komplexität der Problemlagen noch glauben, auf die Anregungen der Stakeholder – seien es Bürger, Klienten, Angehörige Kunden usw. – verzichten zu können. Dialog und Partizipation sind anstrengend und erhöhen die Komplexität der Entscheidungsfindung. Aber sie erweitern den Horizont von Organisationen, können die Programmumsetzung verbessern und verschaffen einer Organisation neue Ressourcen und eine stärkere gesellschaftliche Integration.