Über soziale Innovationen wird derzeit in Blogs, die sich mit der Sozialwirtschaft befassen, viel diskutiert. Hannes Jähnert berichtet über soziale Innovationen und Digitalisierung beim Deutschen Roten Kreuz, über das DRK-Innovationslabor und denkt über Modelle sozialer Innovation nach. Hendrik Epe fragt, ob soziale Organisationen besondere Innovationsorte brauchen und auch Sabine Depew vom Caritasverband des Bistums Essen bloggt über die Idee eines InnovationsLabors.
“Soziale Innovationen” – was versteht man darunter? Man bezeichnet damit neue Lösungen für gesellschaftliche Probleme und Herausforderungen, wobei die Innovationen auf Produkte und Dienste, Prozesse oder Strukturen zielen können.
In den obigen Beiträgen, aber auch anderswo und selbst in der Forschung, konzentriert sich das Nachdenken über soziale Innovationen zumeist auf die Nonprofit-Organisation und ihre Beschäftigten. Zu wenig diskutiert wird die Frage, welche Rolle die freiwillig Engagierten für Innovationsprozesse im Dritten Sektor spielen, obwohl die “Freiwilligenarbeit als das konstitutive Wesensmerkmal der sozialen Dienste” angesehen wird (Nock/Krlev/Mildenberger 2013, 35). Gerade vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage: Wo sind die Konzepte zum Thema “soziale Innovationen in der Sozialwirtschaft”, die den Potenzialen der Freiwilligen in Nonprofit-Organisationen Rechnung tragen?
Schon 2013 untersuchte eine Studie des CSI der Universität Heidelberg “Soziale Innovationen in den Spitzenverbänden der Freien Wohlfahrtspflege”, aus der das obige Zitat stammt. Im Auftrag der Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege wurde in Experteninterviews auch nach der Rolle des Ehrenamts bei sozialen Innovationen in den Wohlfahrtsverbänden gefragt. Die Antworten waren zwiespältig: einige sahen im Bereich der Freiwilligen keine Innovationspotenziale, da diese vor allem im Kontext “einfacher, operativer Aufgaben” eingesetzt würden (Nock/Krlev/Mildenberger 2013, 35). Andere erkannten bei Freiwilligen die Fähigkeit, neuartige Impulse einzubringen, aber nur dann, wenn man ihnen auch Gestaltungsmöglichkeiten gibt und sie nicht , wie es noch oft geschieht, als “preiswerte Dienstleistungsunterstützung” einsetzt (ebd., 36). Von den Interviewten wurde vorgebracht, dass Freiwillige zwar gute Ideen haben können, ihnen aber die Expertise zu deren Umsetzung fehlt, so dass bei der Entwicklung und Implementation der sozialen Innovation das professionelle Know-how notwendig wird (ebd., 53).
Insgesamt ist das Thema, welche Rolle Freiwillige für soziale Innovationen in der Sozialwirtschaft spielen, in der Forschung viel zu wenig präsent. Ein aktueller Aufsatz vom Oktober will hier Licht ins Dunkel bringen: “Beyond Service Production: Volunteering for Social Innovation” (open access) von de Wit/Mensik/Einarsson/Bekkers (2017). Der Aufsatz geht aus einem von der EU geförderten Forschungsprojekt hervor (“ITSSOIN“) , das den Impact des Dritten Sektors im Bereich sozialer Innovationen untersucht und zwar in neun Ländern. Interessierte am Thema finden in der Publikationsliste des Projekts viel Material.
Die Forschungsfrage, die sich de Wit/Mensik/Einarsson/Bekkers (2017) stellten und im Rahmen von 26 Interviews mit Freiwilligenmanagern und Freiwilligen aus Nonprofit-Organisationen in acht europäischen Ländern untersuchten, lautete: Welche Faktoren in Nonprofit-Organisationen fördern und welche behindern den Beitrag Freiwilliger an sozialen Innovationen?
Durch ihre operative Arbeit, durch ihre persönlichen Netzwerke und Kontakte zu den Zielgruppen und in das Gemeinwesen hinein, bekommen Freiwillige viel Feedback von der Basis, oft mehr als die professionellen Mitarbeiter/innen selbst. Als “Augen und Ohren” der Organisation, wie die Wissenschaftler die Rolle der Freiwilligen bezeichnen, bringen sie Verbesserungsvorschläge ein. Ihre Kreativität wird gefördert, wenn sie Handlungsspielräume besitzen, d.h. wenn Organisationen nicht zentralisiert und hierarchisch sind. Wichtig sei ein “sense of ownership” seitens der Freiwilligen (de Wit/Mensik/Einarsson/Bekkers 2017, 10), d.h. sie müssen sich mit der Organisation identifizieren und das Gefühl haben, dass man ihre Beiträge wertschätzt. Eine innerverbandliche Plattform kann Innovationen dann sammeln und weiterverbreiten, um den Transfer ehrenamtlich initiierter Projekte zu ermöglichen.
Eingeschränkt wird den Wissenschaftlern zufolge das Innovationspotenzial von Freiwilligen u.a. wenn
a) die Profession Vorschläge ablehnt, weil sie nicht zum Profil der Organisation passen. Eine Lösung könnte hier sein, ein Projekt zwar nicht hausintern zu implementieren, aber als Ausgründung zu unterstützen (“supported by…”)(de Wit/Mensik/Einarsson/Bekkers 2017, 12). Die Förderung von Ausgründungen scheint aber bei den hiesigen Spitzenverbänden der Freien Wohlfahrtspflege keine strategische Option zu sein, wie die oben erwähnte CSI-Studie zeigt (Nock/Krlev/Mildenberger 2013, 55). Eine Haltung, über die man m. E. verbandsintern nochmals nachdenken müsste. Geförderte Ausgründungen wären eine Form der Förderung zivilgesellschaftlicher Aktivitäten, die viele Wohlfahrtsverbände für sich als Ziel definiert haben.
b) keine Ressourcen (Räume, Budgets, Materialien) für die Ideen von Freiwilligen bereitgestellt werden. Hier wird das Machtungleichgewicht zwischen Freiwilligen und Professionellen deutlich spürbar, – letztere kontrollieren die Ressourcen der Nonprofit-Organisation. Da jedoch auch die Profession sehr häufig von den Ideen Freiwilliger profitiert, d.h. sie diese aufgreift und weiterentwickelt (siehe de Wit/Mensik/Einarsson/Bekkers 2017, 15), müsste man hier m. E. stärker nach Win-Win-Modellen suchen, die beide Seiten Nutzen bringen.
Um dem Innovationspotenzial Freiwilliger Rechnung zu tragen, dürften einige Aufgaben auf das Freiwilligenmanagement in Nonprofit-Organisationen zukommen, – aber nicht nur auf das Freiwilligenmanagement, denn das Thema “soziale Innovation” betrifft alle Bereiche und Stakeholder in der Sozialwirtschaft und muss mit anderen Themen (wie Digitalisierung, Diversity, demographischer Wandel, interorganisationale Netzwerke, Partizipation usw.) systematisch verknüpft werden.