Welche Rolle werden Nonprofits in Zukunft auf kommunaler Ebene spielen? Werden Sie angesichts der Zunahme von individuellen Fundraising- und Hilfsaktionen, von Nutzer-Kampagnen und selbstorganisierten Hilfen an Bedeutung verlieren oder warten neue Aufgaben auf gemeinnützige Organisationen?
Sicher ist, dass Nonprofits – und hier speziell die verbandliche Wohlfahrtspflege- in ihrer Rolle als soziale Dienstleister an Grenzen stoßen. Einerseits wird der der Autonomieanspruch professioneller Mitarbeiter von den Partizipationswünschen der freiwilligen Helfer und Klienten zunehmend herausgefordert. Andererseits bedrohen Bürokratisierung und Verbetriebswirtschaftlichung die Identität der sozialen Dienste. Weil sich Nonprofits auf ihre Rolle als Produzenten konzentrierten, haben sie ihre Integrationsfunktion (über das eigene Milieu hinaus) und ihre sozialanwaltschaftliche Funktion vernachlässigt. Was auf Bundes-, Landes- oder auf kommunaler Ebene an Interessenvertretung für die eigene Klientel unternommen wird, ist nicht effektiv genug und reicht nicht aus. Weil der Staat sich zunehmend aus den traditionellen Verhandlungssystemen mit der freien Wohlfahrtspflege zurückzieht, schrumpfen die Möglichkeiten für Nonprofits, Einfluß auf staatliche Institutionen zu nehmen.
Wie kann sich die freie Wohlfahrtspflege aus dieser Defensivposition befreien? Nur indem sie sich auf ihre Wurzeln besinnt, die im gesellschaftlichen Sektor liegen. Es wird also für Nonprofits darum gehen, sich auf kommunaler Ebene neu zu positionieren. Und zwar als Dienstleister mit den folgenden Aufgaben:
- sich mit der (örtlichen) Bürgerschaft und Nonprofit-Szene zu vernetzen
- Menschen in gemeinnützigen Einrichtungen Partizipationschancen zu bieten (Stichwort: Koproduktion )
- sich an kommunalen Entscheidungen zu beteiligen
- an der Umsetzung kommunaler Programme mitzuwirken
- als enabling nonprofit Menschen bei der Wahrnehmung ihrer sozialen und politischen Bürgerrechte zu unterstützen.
- Die Möglichkeiten des Internets bzw. von Social Media für die Vernetzungs-, Partizipations- und Integrationsaufgaben zu nutzen
Das Verhältnis zwischen gemeinnützigen Organisationen und der Kommune wird zukünftig mehrere Facetten haben. Einerseits werden Nonprofits als Dienstleister mit der Kommune kooperieren. Andererseits werden sie dort, wo ihre Interessenvertretungsfunktion tangiert ist, im Zweifel auch auf Konfrontationskurs zur örtlichen Verwaltung gehen. Es wird also von Nonprofits ein Mix aus "Insider"- Strategien (die auf Kooperation abzielen) und aus "Outsider"-Strategien (die im Widerspruch zum Kurs der Kommune liegen) praktiziert werden. Outsider-Strategien können notwendig werden, um die Funktionen und die Legitimität von Nonprofit-Organisationen langfristig zu erhalten. Es kann niemand Interesse daran haben, dass gemeinnützige Organisationen ihre intermediäre Rolle zwischen Staat und Gesellschaft verlieren, weil sie gegenüber ihren Stakeholdern an Glaubwürdigkeit einbüßen.
Die Kommunen ihrerseits sollten die Bedeutung starker Nonprofit-Organisationen für die örtliche Zivilgesellschaft anerkennen. Ihre Aufgabe wird darin bestehen, gemeinnützige Organisationen in ihrer neuen Rolle zu unterstützen und die Infrastruktur zur Verfügung zu stellen, die notwendig ist, um die Zivilgesellschaft weiterzuentwickeln. Dazu muss die Kommune Abschied nehmen vom Leitbild der autonomen Verwaltung, deren Professionalität und Expertise keine Beteiligung von außen duldet und die Zivilgesellschaft als Lückenbüßer begreift, auf den man zurückkommt, wenn es nicht anders geht.
Unabhängig von dem hier beschriebenen Zukunftsentwurf – wie sehen Kommunen und Wohlfahrtspflege selbst ihre gemeinsame Zukunft auf örtlicher Ebene und die Weiterentwicklung der Zivilgesellschaft?
Dazu liegen seit Januar die Eckpunkte des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge zum bürgerschaftlichen Engagement vor. Der Deutsche Verein ist ein Zusammenschluss der öffentlichen Träger der Sozialarbeit – insbesondere der Kommunen – mit den Spitzenverbänden der freien Wohlfahrtspflege.
Das Papier des Deutschen Vereins über das soziale Engagement im Gemeinwesen konzentriert sich auf die Rolle des einzelnen Bürgers. Die zivilgesellschaftlichen Organisationen stehen im Hintergrund (obwohl die Wohlfahrtsverbände an dem Papier mitwirkten…). Die sozialanwaltschaftliche Rolle der freien Wohlfahrtspflege wird an einer Stelle erwähnt, ebenso ihre Bedeutung für die Demokratie aufgrund ihrer integrativen Funktion. Aber diese beiden Punkte werden nicht mehr weiter ausgeführt.
Weil bürgerschaftlich Engagierte die Qualität sozialer Dienste erhöhen können, appelliert das Papier an die Einrichtungen und die professionellen Mitarbeiter, freiwillige Helfer stärker einzubeziehen. Gefordert wird konkret eine "hinreichende Beteiligungskultur" in den sozialen Diensten. Auch die Beteiligung der Bürger an kommunalen Entscheidungen soll gestärkt werden. Allerdings nicht zu Lasten der repräsentativen Demokratie.
Die politische Dimension des bürgerschaftlichen Engagements (auch im Sozialwesen) wird in dem Papier nicht näher beleuchtet. Gewürdigt wird die Rolle der Bürger als Koproduzenten sozialer Leistungen, aber nicht ihre Rolle als Interessenvertreter oder politische Akteure, die Strukturänderungen im Sozialsektor anstoßen könnten. Deshalb wirkt das Papier letztlich nicht ganz vollständig, weil es ausblendet, dass bürgerschaftliches Engagement nicht nur die "politische Kultur bereichert", sondern bestehende Institutionen auch vor große Herausforderungen stellen kann. Oder wie es anderswo formuliert wurde: "The diverse voice which make up a rich and vibrant society cannot be marshalled for the convenience of local or central government" (Unwin 2008 ).
Das Internet spielt in dem Papier übrigens keine Rolle, – von E-Partizipation, E-Government oder sonstigen Chancen, die Social Media für die Bürgergesellschaft bieten, ist hier nicht die Rede.