Kategorie-Archiv: NPO

Soziales Kapital und gemeinnützige Organisationen

Auf was zielen Vernetzungsversuche von gemeinnützigen Organisationen? Geht es nur darum, Kontakte zu sammeln oder geht es um mehr? Wie in meinem letzten Blogbeitrag beschrieben, kann die bloße Vernetzung nicht das Ziel sein, angestrebt werden muss vielmehr der Ressourcenaustausch innerhalb der Netzwerke. Wobei der Begriff ‘Ressourcen’ keineswegs mit finanziellen Mitteln verwechselt werden darf. Denn alles, was einer Organisation (oder einem Individuum) neue Handlungsmöglichkeiten eröffnet, gilt als Ressource, die in einen Austausch eingebracht werden kann.

Dass zur Vernetzung noch der Austausch hinzukommen muss, weil erst auf diese Weise soziales Kapital entsteht, ist ein wichtiger Gedanke, wenn es darum geht, den Erfolg von Social Media- Aktivitäten zu messen. Christian Henner-Fehr deutet in einem seiner aktuellen Blogposts schon an, dass Zahlen über Twitter-Follower, Facebook-Freunde oder Webseiten-Besucher möglicherweise nicht so aussagekräftig sein könnten, wie es die Anhänger quantitativer Messmethoden propagieren. Vernetzung allein kann ganz wirkungslos bleiben, wenn sie kein Handeln nach sich zieht. Auf den anzustrebenden impact von Social Media zielt auch Allison Fine ab, wenn sie schreibt, dass gemeinnützige Organisationen über “hits, clicks, and friends” hinaus denken sollten. Nonprofits müssten sich vielmehr der Frage widmen, ob und wie sie soziales Kapital aufbauen und messen können und wie überhaupt Vernetzung in Handeln münden kann.

Eine weitere Frage ist, wie eine gemeinnützige Organisation das soziale Kapital nutzt, das sie über Netzwerke aufbaut. Nutzt sie es nur für die eigenen Organisationsziele oder blickt sie bei der Nutzung über die eigene Community hinaus? Im aktuellen Forschungsjournal Neue Soziale Bewegungen (3/2009) stellt Sandra Seubert in ihrem Text nochmals heraus, dass soziales Kapital der Inklusion oder der Exklusion dienen kann. Im Fall einer Bürgerstiftung im Ruhrgebiet bedeutet ‘Exklusion’ : in ihr ist die lokale Elite versammelt und man bleibt unter sich, – ohne die Mitwirkung breiterer Bevölkerungsschichten oder Vertretern der Zielgruppen. Ludgera Vogt befasst sich in ihrer empirischen Studie im Forschungsjournal mit der Frage, wie es zu einem solchen Schließungsprozeß in der Bürgerstiftung kommen konnte und wie sich die soziale Schließung auf die Arbeit der Stiftung auswirkt.

Viele gemeinnützige Organisationen bilden mitsamt ihren Unterstützern, Klienten, Mitarbeitern und Webseiten solche relativ geschlossenen Communities. Diese Organisationen verfügen über soziales Kapital, das sie eng mit Gleichgesinnten verbindet. Man bezeichnet dies als ‘bonding capital’ (Putnam) . Das Sozialkapital, das Gruppen eng zusammenschweißt, ist wichtig für die alltägliche Arbeit von Nonprofits und für ihre Identität und Mission.

Und dennoch weist der Auftrag von gemeinnützigen Organisationen über den Aufbau von ‘bonding social capital’ hinaus. Ihr Auftrag muss darin liegen, Brücken zwischen Netzwerken, Gruppen, sozialen Schichten, Themenfeldern zu schaffen, um den gesellschaftlichen Mehrwert zu erhöhen. Das ist die Aufgabe für gemeinnützige Organisationen im 21. Jahrhundert: ‘bridging capital‘ (Putnam) aufzubauen bzw. soziales Kapital, das Netzwerke miteinander verbindet und damit gesamtgesellschaftlich integrativ wirkt und nicht exkludierend.

Wer dieses normative Ziel nicht teilt, lässt sich vielleicht durch ein nutzenorientiertes Argument überzeugen: die Netzwerkforschung zeigt, dass Organisationen, die als Brücken fungieren, strategische Vorteile gegenüber jenen haben, die sich nur auf ihre eigene Community konzentrieren. Denn natürlich erhöht das bridging social capital, über das eine gemeinnützige Einrichtung verfügt, auch ihre Zugriffsmöglichkeit auf die unterschiedlichsten Ressourcenbestände, die in den diversen Netzwerken existieren. Paarlberg/Varda (2009), deren Aufsatz ich im meinem vorherigen Blogbeitrag über ‘Vernetzung’ behandelt habe, verweisen auf die Thesen eines Forscherkollegen: strategische Vorteile haben in einer vernetzten Welt nicht jene Organisationen, die noch mehr vernetzt sind als ihre Partner oder Konkurrenten. Strategische Vorteile haben jene Organisationen, die besser vernetzt sind, d.h. die eine Brückenfunktion ausüben und Mehrwert für sich und die Allgemeinheit schaffen können.

Es wäre an der Zeit, dass gemeinnützige Organisationen im Sozialbereich – und hier denke ich insbesondere an die großen Wohlfahrtsverbände, die den Sektor dominieren – sich die Vernetzung und den Aufbau von sozialem Kapital, das Brücken schlägt, auf die Fahnen schreiben. Es gibt so viele Möglichkeiten für Vernetzungsprojekte, offline und im Internet. Das Beispiel von Talk2Croyden, einer britischen lokalen Plattform, die Bürger, NPOs und die Lokalverwaltung vernetzt mit dem Ziel, mehr Bürgerbeteiligung und Dialog zu schaffen zeigt, was man vor Ort alles machen könnte. Man muss es nur wollen. Aber der Glaube der Wohlfahrtsorganisationen an die eigene Webseite, die eigene Fundraising-Plattform, die eigene Spender- und Projektdatenbank ist ungebrochen. Obwohl das Zusammenführen von Daten und die Vernetzung von Interessierten über Organisations – und Netzwerkgrenzen hinweg das Gebot der Stunde wäre.

Vernetzung als Chance für gemeinnützige Organisationen

In Zeiten von Wirtschaftskrise und kommunaler Sparhaushalte sorgen sich gemeinnützige Organisationen um ihre Budgets. In der Regel wird ein linearer Zusammenhang zwischen den zur Verfügung stehenden Ressourcen und der Größe und Vitalität des Nonprofit-Sektors gezogen. Die Netzwerkforschung zeigt jedoch, dass es nicht so sehr auf den Ressourcenbestand ankommt, über den der Nonprofit-Sektor verfügt, sondern darauf, ob Ressourcen zwischen Organisationen ausgetauscht werden (Paarlberg/Varda 2009). Durch den Ressourcenaustausch erweitern Nonprofits ihre Handlungsoptionen, weil sie auf einen größeren Pool an Ressourcen zugreifen können, als wenn sie ausschliesslich über ihre eigenen Mittel und Möglichkeiten verfügen können.

Existieren in den Gemeinden Netzwerke zwischen gemeinnützigen Einrichtungen, örtlichen Institutionen und Bürgern, in denen Informationen und Wissen ausgetauscht, Kompetenzen und Ressourcen gebündelt und gemeinsame Projekte initiiert und umgesetzt werden?

Wie wichtig der Ressourcenaustausch zwischen Organisationen ist, zeigen Paarlberg/Varda zufolge auch die Beispiele der High-Tech-Gründerzentren Silicon Valley und Route 128: beide verfügten anfangs über eine ähnliche Ressourcenausstattung. Aber während das Silicon Valley aufgrund des hier existierenden Ressourcenaustausches zwischen Organisationen schnell prosperierte, hinkte das Projekt Route 128 in Boston hinterher. Die dort herrschende ‘Geheimhaltungskultur’ und die Selbstbezogenheit der Organisationen verhinderten einen regen wechselseitigen Austausch.

Wo Menschen der Zugang zu sozialen Diensten fehlt oder dieser Zugang erschwert ist, muss es sich laut Paarlberg/Varda nicht unbedingt um eine arme Gebietskörperschaft handeln. Der Mangel kann auch daran liegen, dass in der Kommune die gemeinnützigen Anbieter untereinander zu wenig im Austausch stehen bzw. sie ihre wechselseitigen Beziehungen nur mangelhaft steuern.

Wenn speziell der Austausch von Ressourcen einen Mehrwert schafft, dann rücken Beziehungen zwischen Tauschpartnern in den Vordergrund. Es geht dann darum, kommunale Netzwerke aufzubauen, die durch Wechselseitigkeit, Stabilität und Vertrauen gekennzeichnet sind. Aber viele Verantwortliche im Nonprofit-Sektor betrachten ihre Organisation als Solitär und investieren zu wenig in den Netzwerkaufbau (über ihr eigenes Milieu hinaus), weil sie noch daran glauben, den Weg alleine gehen zu können. Dass durch mangelhafte Kooperation langfristig nicht nur ihre Organisation Schaden nimmt, sondern der gesamte Dritte Sektor einer Stadt und das Gemeinwesen als Ganzes, ficht sie nicht an. Zu groß sind ihre Bedenken, wenn es um eine Öffnung nach außen geht, zu wenig wird von einer Kooperation erwartet. Letzteres kommt zum Teil daher, dass manche Kooperations- und Vernetzungsprojekte nicht wirklich soziales Kapital schaffen. Denn dieses entsteht nicht automatisch durch gemeinsame Sitzungen, sondern nur, wenn man Ressourcen aktiv untereinander teilt.

Netzwerke für den Ressourcenaustausch sind lebensnotwendig für gemeinnützige Träger, wenn sie wachsen, gedeihen und effektiv sein wollen. Netzwerke bilden das soziale Kapital von Nonprofit-Organisationen, weil sie über Netzwerke Ressourcen akquirieren können.

Die Netzwerk-Perspektive bildet laut Michael C. Gilbert vom Nonprofit Online News – Blog den neuen “frame of reference” für gemeinnützige Organisationen. Nimmt man die Welt aus der Netzwerk-Perspektive wahr, dann sieht man auch Spender oder freiwillige Helfer nicht als isolierte Wesen, die mit einer Nonprofit-Einrichtung Verbindung aufnehmen. Sondern man sieht sie ebenfalls als Teil von Netzwerken. Was bedeutet, dass man als Nonprofit-Organisation Spender und Freiwillige nicht nur über Einzelwerbung und -ansprache erreichen kann, sondern auch über die eigene Vernetzung mit anderen Institutionen.

Das Internet ist eine große Hilfe, wenn Vernetzung angestrebt wird. Man kann sich hier nicht nur mit anderen direkt verbinden, sondern – wie im Fall von Xing oder Twitter – auch (indirekt) auf die Netzwerke anderer zugreifen. Allerdings bringt die Vernetzung allein noch keinen Mehrwert. Soziales Kapital entsteht erst – wie oben erwähnt – durch den Austausch und das Teilen von Ressourcen.

Chancen der webbasierten Kartierung für soziale Dienste und sozial engagierte Bürger

Nachdem Christian Kreutz von crisscrossed.net hier einen Gastbeitrag über die Kartierung durch Bürger und Nonprofits im Internet schrieb, habe ich das Thema auf dem Socialcamp Berlin ’09 in einer gemeinsamen Session mit Georg Neumann von Transparency International nochmals aufgegriffen.

Mein Part war es, die Potentiale von Geoinformationssystemen (GIS) bzw. von webbasierten Karten speziell für Nonprofits im Sozialbereich und für sozial engagierte Bürger aufzuzeigen: “If Pizza Hut can use GIS to figure out the best route to deliver pizza, why not use it as a tool for social justice?” (G.Mandayam).

Karten können sich zu einem wichtigen Management-Instrument für soziale Dienste entwickeln, wenn man das demographische/sozioökonomische Profil der Einwohner eines Stadtteils, ihre Problemlagen und ihre Ausstattung mit sozialer Infrastruktur visualisiert. Auf den ersten Blick werden dann unterversorgte oder fehlversorgte Viertel sichtbar und die sozialen Dienste können ihr Leistungsangebot inhaltlich und räumlich besser anpassen (vgl. Mandayam o.D.). Die Kooperation der Anbieter kann durch die Visualisierung von Daten einen Auftrieb erhalten, weil man sieht, wer im Viertel als Anbieter aktiv ist und welchen sozialen Dienst man aus anderen Vierteln hinzuziehen könnte. Ein Beispiel: HealthyCity.org bietet Karten für Los Angeles, die Bürger, NPOs und Entscheidungsträger über die soziale Infrastruktur und die demographische/gesundheitliche Verfassung der Bevölkerung informieren (zum Projekt s. Manzo/Pitkins 2009).

Nonprofits können webbasierte Karten nutzen, um auf soziale Probleme hinzuweisen, die in der öffentlichen Diskussion vernachlässigt werden. Ein gutes Beispiel ist der Armutsatlas des Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverbandes , der im Frühjahr veröffentlicht wurde und die Armutsquoten in den einzelnen Bundesländern aufzeigt. Wie weit entwickelt die webbasierte Kartographie hier schon ist, zeigt die Seite worldmapper.com (“the world as you’ve never seen it before”) u.a. mit ihrer animierten Weltkarte über die ungleiche Einkommensverteilung.

Sind die Karten interaktiv wie bei Healthycity.org, dann können auch Bürger bzw. die Zielgruppen von gemeinnützigen Organisationen in die Kartenerstellung mit ein bezogen werden, um von deren Ortskenntnis zu profitieren.

Karten verhelfen zivilgesellschaftlichen Organisationen in Verhandlungen mit der öffentlichen Hand zu mehr Überzeugungskraft. Bisher sind Karten eine Domäne der öffentlichen Verwaltung und ihrer Spezialisten in den Planungsämtern. Nonprofits, die auf der Basis von Karten argumentieren, befinden sich stärker auf Augenhöhe mit der öffentlichen Verwaltung (vgl. Manzo/Pitkins 2009).

Noch ist die webbasierte Kartenerstellung kein Thema in den sozialen Diensten, zumindest nicht flächendeckend und nicht öffentlich sichtbar. Datenschutzgründe, fehlende Daten, nicht-öffentliche Daten, mangelnder Datenaustausch , die Unkenntnis der neuen technischen Möglichkeiten usw., – dies alles sind Gründe, die der Kartierung in den sozialen Diensten entgegenstehen.

Bürger und bürgerschaftliche Organisationen werden die Kartierung über das Internet wahrscheinlich schneller schätzen lernen, weil Karten eine gute Möglichkeit sind (aber im Zweifel auch eine sehr manipulative…), um Bürgerwissen zu sammeln und Bürger stärker zu politisieren. Bürger können durch das collaborative bzw. social mapping über ihren Status als Adressaten staatlicher Politik hinauswachsen und ihre Interessenvertretung selbst in die Hand nehmen. Über gemeinsam erstellte Karten (Bsp. green map, open street map) können grundsätzlich auch die Mängel und die Ungleichverteilung sozialer Infrastruktur in der eigenen Kommune dargestellt werden. Verfallende Schulgebäude, Kitas mit Personalmangel, verwahrloste Spielplätze usw. können von Bürgern lokalisiert und – wo notwendig – mit Photos, Videos etc. dokumentiert werden.

Aber nicht nur die bedürfnisorientierte Sicht, die “need”-Perspektive, die zumeist bei Nonprofits und den städtischen Akteuren im Vordergrund steht, muss in Karten ihren Ausdruck finden. Auch die Ressourcen der Bürgerschaft können kartiert werden und so einen neuen Blick auf ein Stadtviertel eröffnen.

Durch webbasierte, gemeinschaftlich erstellte Karten erhalten Bürger die Möglichkeit, ihre Perspektive in den öffentlichen Diskurs einzubringen und durch das (bottom-up) gewonnene Wissen die (top-down) erstellten Karten bzw. Weltdeutungen der Verantwortlichen in Politik, Verwaltung und Nonprofits zu ergänzen.

Georg Neumann schilderte anschliessend in der Socialcamp-Session, wie aus der Perspektive von Transparency International bzw. der Korruptionsbekämpfung das mapping genutzt werden kann: um mehr Öffentlichkeit zu schaffen, wenn es um die Verwendung öffentlicher Gelder geht. Bürger und gemeinnützige Organisationen können die Umsetzung staatlicher Programme und Aufträge gemeinschaftlich begleiten und überwachen. So listet bspw. die Karte The Map of Bailout Recipients der gemeinnützigen Initiative ProPublica alle amerikanischen Finanzinstitute auf , die von den staatlichen Rettungskrediten im Zuge der Finanzkrise profitieren.