Alle Artikel von Brigitte Reiser

Smart City – Smarte Partizipation?

Immer mehr Städte wollen sich zu einer “Smart City” weiterentwickeln, in der die städtische Infrastruktur, Einrichtungen und Dienste, Dinge und Menschen mit IuK-Technologien ausgerüstet und untereinander vernetzt sind. Ziel ist eine intelligente und nachhaltige Steuerung der Versorgungsströme in der Stadt: Energie, Wasser, Transport, die Versorgung der Bürger in den Quartieren, – alles soll so ressourcenschonend wie möglich und optimal aufeinander abgestimmt erfolgen. Durch die Weiterentwicklung zu einer Smart City wollen sich die Kommunen auch im wirtschaftlichen Konkurrenzkampf der Städte untereinander behaupten.

Smart City-Konzepte beziehen diverse Dimensionen einer Stadt in die Digitalisierung ein. Sie zielen auf: Smart Governance, Smart Citizens, Smart Education, Smart Living, Smart Mobility, Smart Environment und Smart Economy (Meier/Zimmermann, 2016).  Initiiert wurden Smart City-Konzepte von IT-Unternehmen, Universitäten, Regional- und Kommunalverwaltungen und der Politik. Die Entwicklung hin zu einer Smart City gilt als rational, wirtschaftlich und als gut für die Bevölkerung. Es handelt sich um Konzepte, die den Fokus auf Technologien legen und damit eher entpolitisiert sind. Zumeist sind sie deterministisch angelegt, d.h. ihnen zufolge wird die Smarte Stadt kommen, – sie ist sozusagen “unausweichlich” ( Valdez/Cook/Potter 2018). Als  “Top Performer” unter den europäischen Städten gelten Amsterdam, Barcelona, Kopenhagen, Helsinki, Manchester und Wien.

Smart City-Konzepte haben massive Auswirkungen auf die lokale Zivilgesellschaft. Deren Rolle wird wie folgt beschrieben: “Die Smart City bringt eine besondere Form der Zivilgesellschaft hervor: Bürgerinnen und Bürger sind sozial vernetzt und überzeugt, dass sie ihr Leben durch technische Innovationen besser gestalten können”(Meier/Zimmermann 2016, 5). Während zu Beginn der Smart City-Debatte Bürgerinnen und Bürger keine besondere Rolle spielten, wird zwischenzeitlich großen Wert auf die Partizipation der Bürgerschaft gelegt, auf deren Mitwirkung an der Co-Creation und Coproduction von Smart City-Produkten und -Diensten.

Wie sehen Partizipations-Projekte in der  Smart City aus? Wie sehr können Bürgerinnen und Bürger teilhaben? Hierzu gibt es nur sehr wenig Literatur. Eine inspirierende Analyse liefern Cardullo/Kitchin (2017): ” Being a ‘citizen’ in the smart city: Up and down the scaffold of smart citizen participation”. Die Studie untersucht anhand von Smart City-Initiativen in Dublin, wie die lokale Bürgerschaft einbezogen wird.

Die Autoren benutzen als Analyse-Instrument die “ladder of citizen participation in planning” von Arnstein (1969), die auf den drei Stufen

  • Nicht-Partizipation
  • Schein-Beteiligung
  • echte Partizipation mit Bürgermacht und -kontrolle

basiert. Cardullo/Kitchin erweitern dieses Raster jedoch erheblich: sie fügen eine neue Stufe ein (“Consumerism”), bestimmen mögliche Rollen eines Bürgers in der Smart City (Datenpunkt, Nutzer, Produkt, Konsument, Bewohner,  Vorschlagender, Co-Creator usw.). Sie listen auf, wie Bürger eingebunden werden können (als Feedbackgeber, als Konsument oder nur als Subjekt, das gesteuert und kontrolliert wird). Die Autoren beschreiben den politischen Rahmen von Smart City-Diskursen und deren Richtung (top down oder bottom up), wie bspw: Paternalismus, Neoliberalismus, Bürgerschaftliches Engagement, Deliberative Demokratie usw. Und schließlich ordnen sie den unterschiedlichen Stufen rund 20 praktische Smart City-Initiativen in Dublin zu.

Das Fazit von Cardullo und Kitchin: es dominieren in der Praxis top down-Beteiligungsverfahren, bei denen die Rolle des Bürgers die eines Konsumenten ist, der aus unterschiedlichen smarten Angeboten auswählt oder in einem smarten Haus / Viertel lebt. Ferner sind Bürger selbst “Produkte”, indem sie durch die Nutzung smarter Angebote Daten generieren, bewusst oder unbewusst bzw. automatisiert. Es gibt den Autoren zufolge nur wenig Beispiele, wo Bürger auf Augenhöhe mit den Smart City-Verantwortlichen agieren oder wo Bürger selbst Initiativen zum Thema gründen.

Generell verfolgen Beteiligungsprojekte in der Smart City eher instrumentelle Ziele (Feedback zu bestimmten Plänen einholen, Programmierung einer App usw.).
Es fehlt ein begleitender Diskurs zum Thema Bürgerrechte und über Alternativen zur Smart City.

Literatur, wenn nicht verlinkt:

Meier/Zimmermann (2016): Digitales Entwicklungsmodell smarter Städte, in: Meier/Portmann (Hrsg.): Smart City, Wiesbaden: Springer.

Die Macht der Internetkonzerne und die Rolle der Zivilgesellschaft

Das Internet hat sich in den vergangenen Jahren stark zentralisiert. Nutzer/innen, Organisationen und nicht-organisierte Massen und Schwärme sind hauptsächlich auf den Plattformen der folgenden vier Unternehmen aktiv: Google, Facebook, Amazon und Apple.

Mit ihren Diensten geben diese vier kommerziellen Anbieter die Handlungsmöglichkeiten der Nutzer in weiten Teilen des Internet vor. Sie regulieren mit ihrer Infrastruktur das soziale Handeln im Netz. Sie sind “Gatekeeper”, “Kuratoren”, Kontrolleure und Überwacher. Die ursprüngliche Hoffnung, dass das Internet dezentralisierte  Angebote befördert, wird durch Netzwerkeffekte konterkariert: Nutzer/innen bevorzugen jene Angebote, die die Masse nutzt, und nicht kleine Plattformen mit wenig traffic, selbst wenn letztere bottom up entwickelt, demokratisch und gemeinnützig sein sollten.

In dem neuen Buch Kollektivität und Macht im Internet von Dolata/Schrape (2018) kommt Ulrich Dolata deshalb zu folgendem Schluss:  “Nicht Dezentralisierung, Demokratisierung und Kooperation, sondern Konzentration, Kontrolle und Macht sind (…) die Schlüsselprozesse und -kategorien, mit denen sich die wesentlichen Entwicklungstendenzen des (kommerziellen) Internets angemessen erfahren lassen” (Dolata 2018, 101).  Durch die schiere Reichweite ihrer Plattformen und Angebote gewinnen Google, Facebook, Amazon und Apple im Internet Macht über a) Infrastrukturen und Regeln, b) Daten und c) ökonomische Macht durch Werbeinnahmen, Handel, den Geräteverkauf und Dienste, da sie in ihren Segmenten Monopolisten sind (Google im Bereich der Suchmaschinen, Facebook im Bereich sozialer Netzwerke, Amazon im Internethandel und Apple bei den multimedialen Geräten) (Dolata 2018, 123ff).

Die Abwanderung von Nutzern wollen die vier Monopolisten in jedem Fall vermeiden. Durch die Weiterentwicklung ihrer Angebote zu “soziotechnischen Ökosystemen” (Dolata) mit einer Vielzahl aufeinander abgestimmten Diensten und der Entwicklung “proprietärer technischer Systemwelten” (Dolata), die untereinander inkompatibel sind, soll der Wechsel zu einem anderen Anbieter für Nutzer erschwert werden. Die Stellung der Monopolisten wird noch gefördert durch

  • ihre hohen Investitionen in die bestehenden Plattformen und Dienste
  • ihre massiven Ausgaben für Forschung und Entwicklung
  • den Aufkauf von innovativen startups, um neue zukunftsweisende Angebote machen zu können

(Dolata 2018, 101ff).

Aber da die Netzwerkeffekte bzw. die Reaktionen der nicht-organisierten Massen und Schwärme nicht vorhersehbar sind, ist auch keiner der Monopolisten unangreifbar. Trotz aller Maßnahmen, die die Konzerne ergreifen, um eine Nutzerabwanderung zu verhindern: “Der Schwarm kann auch weiterziehen” (Dolata 2018, 111). Und darin liegt die Macht der Nutzer: in dieser kollektiven Dimension, nicht – so Dolata – in der Macht der Einzelpersonen. Erst als Masse haben Nutzer Macht und diese Masse baut sich dem Autor zufolge “unkoordiniert auf” (Dolata 2018, 12). Neben der Macht der Schwärme spielen auch die Staaten und ihre Verbünde eine wichtige Rolle als regulierende Instanz, um die Macht der großen Internetkonzerne einzuschränken.

Die Frage ist, weshalb der Autor die Macht organisierter Bewegungen nicht als Bedrohung für die Monopole sieht. Vielleicht deshalb nicht, weil auch organisierte soziale Bewegungen (und viele Nonprofits …) zwischenzeitlich ganz auf die kommerziellen Plattformen mit ihrer großen Reichweite setzen (Dolata 2018, 52). Schade, dass von Seiten der großen gemeinnützigen Organisationen – und ich denke hier speziell an die mächtigen Wohlfahrtsverbände – nie eine breite gesellschaftliche Debatte über alternative Wege und Tools im Internet angezettelt wurde oder man eine Bewegung initiierte, die auf die Regulierung und Kontrolle der Internetkonzerne zielt. Die großen Konzerne ihrerseits umgarnen die engagierte Zivilgesellschaft mit Förderprogrammen und Wettbewerben wie dem Smart Hero Award, den Facebook und die Stiftung digitale Chancen gemeinsam ausloben, die Google.org Impact Challenge, die von der Google Foundation und betterplace gemeinsam durchgeführt wird oder mit dem Förderprogramm “digital.engagiert”, einer gemeinsamen Initiative von Amazon und dem Stifterverband. Die drei Internetkonzerne drängen mit ihrer Infrastruktur gezielt in zivilgesellschaftliche Domänen, die zum Teil noch abgehängt sind von der Digitalisierung.

Eine solche Eroberung zivilgesellschaftlicher Räume durch die großen Plattformen sollte neben den Vorteilen, die mit der digitalen Infrastruktur einhergehen, auch deren Schattenseiten nicht verschweigen, um Bürgern und Nonprofits eine mündige Entscheidung darüber zu ermöglichen, welche Tools sie nutzen wollen und welche nicht. Ganz dringend müsste eine breite zivilgesellschaftliche Debatte darüber geführt werden, wie ein bürgerfreundliches Internet aussehen könnte, welche Anforderungen Bürger und zivilgesellschaftliche Organisationen an die großen Plattformen stellen und welche Forderungen an die Politik herangetragen werden müssten, um der Macht der Internetkonzerne Einhalt zu gebieten. Den großen Wohlfahrtsverbänden käme hier eine wichtige Rolle zu: gerade sie haben den Kontakt zu digital abgehängten Gruppen, gerade sie erreichen über ihre Nutzer und all die ehrenamtlich Engagierten große Teile der hiesigen Bevölkerung und zwar sowohl in der Stadt als auch auf dem Land, – denn Sozialeinrichtungen gibt es nahezu überall.

In Stuttgart hat sich im Sommer 2017 ein Netzwerk aus ganz verschiedenen Organisationen gebildet, um diesen kritischen Diskurs in Bezug auf die Digitalisierung der Lebenswelt zu führen (siehe die folgende Pressemitteilung). Das Netzwerk “Sozialer Zusammenhalt in digitaler Lebenswelt” will die Bürgerrechte und die Bürger-Teilhabe in der digitalen Gesellschaft stärken. Ein solches Netzwerk kann zur Gründung weiterer Netzwerke in anderen Bundesländern, Regionen und Kommunen anregen.

Macht und Abhängigkeit in Nonprofit-Beziehungen

Der letzte Blog-Beitrag befasste sich mit der Bildung von Kooperationen auf der lokalen Quartiersebene. Hier vernetzen sich gemeinnützige Organisationen häufig mit anderen zivilgesellschaftlichen Akteuren. Wo Organisationen und Initiativen zusammenarbeiten, entstehen auch Macht- und Abhängigkeitsverhältnisse. Darüber wird nicht so offen geredet und auch nicht viel geschrieben, obwohl es eigentlich sehr viel Literatur zum Thema Macht und Abhängigkeit gibt, wenn auch nicht bezogen auf den Nonprofit-Sektor,  sondern im Hinblick auf die gewerblichen Wirtschaft.

Wie kommt es zu Macht und Abhängigkeit in Kooperationen?

Organisationen brauchen Ressourcen, um zu überleben. Dafür gehen sie Austauschbeziehungen mit anderen Organisationen ein. Die Ressourcenabhängigkeit einer Organisation verschafft der anderen, die diese Ressource vorhält, Machtpotenziale. In freiwilligen Beziehungen und Netzwerken sind Abhängigkeitsverhältnisse aber zumeist nicht einseitig, sondern wechselseitig. Hier schließen sich Organisationen zusammen, weil sie voneinander Ressourcen brauchen, was beiden Seiten Machtpotenziale verleiht aber auch wechselseitige Abhängigkeiten schafft. Dies macht die Macht-Abhängigkeits-Beziehungen in mehrseitigen Kooperationen und Netzwerken sehr komplex.

In der Vergangenheit konzentrierte sich die Forschung auf die Untersuchung von Machtungleichgewichten in Austauschbeziehungen. Neuere Studien setzen nun einen anderen Schwerpunkt und konzentrieren sich auf die wechselseitige Abhängigkeit der Akteure.  Und hier  gibt es nun die interessante Erkenntnis, dass eine hohe wechselseitige Abhängigkeit die Kooperationspartner zusammen schmiedet, Vertrauen und Selbstverpflichtung wachsen lässt. Die Leistungsfähigkeit von Kooperationen ist bei Beziehungen mit einer hohen Abhängigkeit voneinander größer als bei Beziehungen, die auf Machtungleichgewichte setzen.  Die wechselseitige Abhängigkeit wird in erfolgreichen Organisationsbeziehungen sogar bewusst erhöht, um gemeinsam erfolgreicher zu werden.

Diese Forschungsergebnisse zitieren O’Brien und Evans (2017) in ihrem Aufsatz über “Civil Society Partnerships” in Voluntas, Bd. 28, Heft 4, S. 1399-1421 und untersuchen dann selbst Nonprofit-Partnerschaften im (internationalen) Bereich der Kinderrechtsorganisationen. Sie fragten 32 Vertreter/innen solcher Organisationen, welche Ressourcen sie in  Partnerschaften suchen und wie sie die wechselseitigen Macht-Abhängigkeits-Verhältnisse in Nonprofit-Partnerschaften einschätzen. Sie kommen zu folgenden Ergebnissen:

Nonprofits suchen bei anderen Gemeinnützigen in erster Linie Informationen und praktisches Wissen (Erfahrungen, Best Practice-Beispiele, transferierbares Know-how) (O’Brien/Evans 2017, 1409f). Finanzielle Interessen bleiben im Hintergrund. Die kommen erst wieder ins Spiel, wenn eine Kooperation nicht effektiv ist. Dann wird überlegt, wie man das Engagement reduzieren kann, um Ressourcen zu sparen. Aussteigen aus einer Kooperation? Das sei zumindest in diesem Politikfeld unüblich (ebd., 1411). Hier verlassen Nonprofits auch dann nicht die Kooperation, wenn ein Machtungleichgewicht zwischen Partnern herrscht. Dieses wird in Kauf genommen, wenn es dabei hilft, das gemeinsame Ziel zu erreichen.

Machtungleichgewichte werden von den Befragten gar nicht so sehr thematisiert, – in ihrem Fokus stehen ganz klar die wechselseitigen Abhängigkeiten. Diese bilden den Mittelpunkt, wenn es darum geht, Partnerschaften zu bilden und kollektive Ziele voranzubringen.  Machtungleichgewichte zu tolerieren wird von den Autorinnen als bewusste Strategie von Nonprofits in Partnerschaften bezeichnet (O’Brien/Evans 2017, 1417). Ungleiche Abhängigkeits- und Machtverhältnisse können, wie die untersuchten Organisationen zeigen, sogar zu Vorteilen für das Gemeinwesen führen.

Das sind Schlussfolgerungen mit erheblicher Tragweite. Die Frage bleibt, wie lebendig und effektiv solche Beziehungen sind, die nicht auf Augenhöhe stattfinden. Vielleicht werden sie nicht abgebrochen, aber haben keinen großen output mehr, verglichen mit Beziehungen mit hoher wechselseitiger Abhängigkeit und größerer Leistungsfähigkeit (siehe oben) . Die Frage ist auch, ob diese Ergebnisse auf andere Politikfelder und räumliche Ebenen übertragen werden können oder ob es sich hier um eine ganz spezielle Nonprofit-Community handelt. Interessant ist es aber, den Blick von den Machtverhältnissen weg und stärker auf die wechselseitigen Abhängigkeiten hin zu lenken.