Eine Bewegung formiert sich weltweit, die herkömmliche Führungsmethoden verändern will. “The Art of Hosting” zielt darauf ab, das Wissen, die Kreativität und die Mitwirkung des Umfelds einer Organisation zu nutzen. Statt Entscheidungen ohne Teilhabe des weiteren Stakeholder-Kreises zu treffen – in der Art des “einsamen Helden” (Hero) – sollen alle, die von einem Thema tangiert sind, Partizipationsmöglichkeiten erhalten. Die Methode, als “Gastgeber” (Host) zu agieren, der Bürger und andere Einrichtungen zum Mitdenken und Mitmachen einlädt, beruht auf der Erfahrung, “that people will only support those things they’ve played a part in creating” (Frieze/Wheatley 2011, 3).
Welches Potential die Einbeziehung von Betroffenen für Organisationen und die kommunale Ebene birgt, zeigt ein Aufsatz von Frieze/Wheatley (2011), die über Columbus, die Hauptstadt von Ohio/USA, berichten (via Michelle Martin). Dort wenden viele Institutionen – die Universität, die Kommunalverwaltung, die örtliche Ärztevereinigungen und Nonprofits wie Obdachlosen- und Jugendhilfeeinrichtungen sowie die regionale Lebensmittelhilfe (Foodbank)- den crowdsourcing-Ansatz an, der das Engagement und das Wissen von Betroffenen abrufen will.
Man nutzt dafür Methoden wie World Cafés, Gesprächskreise und Open Space-Technologien, bei denen jeder einen Input liefert.
So hat bspw. die regionale gemeinnützige Lebensmittelhilfe in Columbus mit der traditionellen, hierarchischen Art der Entscheidungsfindung gebrochen und 2005 hundert Stakeholder zu einem World Café eingeladen um die Frage zu klären, wie es der Einrichtung gelingen kann, nicht nur reaktiv mit dem Thema Armut und Hunger umzugehen, sondern etwas an den Ursachen dieses Problems zu verändern.
Die Ergebnisse dieses World Cafés, das die Ideen der Beteiligten abrief, führte u.a. dazu, dass sich die Lebensmittelhilfe für eine wohnortnahe Nahrungsmittelproduktion einsetzt, Community- Gärten anlegt und die örtlichen Tafeln so gestaltet, dass die Bürger, die Hilfe brauchen, Wahlmöglichkeiten erhalten (Frieze/Wheatley 2011).
Der kooperative Ansatz, Stakeholder in die Entscheidungsfindung einzubeziehen, wird von der Lebensmittelhilfe in Columbus in allen Bereichen genutzt – im Fundraising, bei Besprechungen des Führungspersonals und im Vorstand. Dazu Matt Habash, der Präsident und CEO der Foodbank: “I don’t hardly talk at board meetings anymore (…) I used to run them – you know, the world according to Matt. Instead, we move to a strategic level of conversation by using Café or sitting in circle” (Frieze/Wheatley 2011, 6).
Die Notwendigkeit, dass gemeinnützige Organisationen sich nach außen hin öffnen und das Wissen der Bürger und anderer Institutionen auf lokaler Ebene stärker nutzen, wird auch von der Wissenschaft bestätigt, derzufolge die Fähigkeit, über organisationale Grenzen hinweg zu arbeiten, an Bedeutung gewinnt. Das Selbstverständnis der Führungskräfte muss sich vom Fokus auf die eigene Organisation hin zum Netzwerk aus Bürgern und Einrichtungen entwickeln, die mit der eigenen Organisation verbunden sind (vgl. Paarlberg/Varda 2009, 609). Im letzten Blogbeitrag (“Vereine brauchen mehr Demokratie und Netzwerke”) habe ich schon erwähnt, dass die Fähigkeit zum Ressourcenaustausch wichtiger wird als der eigene begrenzte Ressourcenpool, – dies gilt speziell für den Bereich des Wissens.
Bezieht man Bürger in die Entscheidungsfindung mit ein, kann man mit mehr Unterstützern rechnen, – eine Perspektive, die insbesondere für Vereine, die mit dem Rückgang von ehrenamtlichem Engagement und der Bereitschaft zur Amtsübernahme konfrontiert sind, interessant ist. So wird es auch möglich, sich neue Unterstützerkreise zu erschließen. In diesen Tagen erst war zu lesen, dass die Diakonie zwar viele ehrenamtliche Helfer hat, die meisten aber über 60 Jahre alt sind. Zu wenig wurde unternommen, um junge Menschen oder mittlere Altersgruppen zu gewinnen. Verbände und Vereine müssen für “attraktivere Arrangements” (Röbke 2011) in ihrem Verbands- und Vereinsleben sorgen, – das Abrufen des Stakeholderwissens könnte ein guter Schritt dahin sein.
Häufig bilden das professionelle Selbstverständnis und der Unwille, an den bestehenden Macht- und Entscheidungsstrukturen etwas zu ändern, die größten Hindernisse auf dem Weg zu mehr Bürgerbeteiligung. Dies werden deshalb auch die größten “Baustellen” sein, an denen Gemeinnützige arbeiten müssen, wollen sie mehr Bürger zum Mitmachen gewinnen.
Die Art of Hosting-Community und die Open Space-Bewegung sind davon überzeugt, dass Bürger-Wissen wichtig ist und sich durch die gemeinschaftliche Bearbeitung von Themen komplexe Probleme eher lösen lassen als durch die traditionelle “Hero”-Vorgehensweise, bei der die Leitung Entscheidungen fällt, – ohne das Umfeld der Mitglieder, der Ehrenamtlichen, der Freunde und Unterstützer ausführlicher einzubeziehen.
Soziale Medien können die sogenannten “Co-Creation” (oder Koproduktions)- Prozesse unterstützen, – es gibt unzählige Tools, mit deren Hilfe man online zusammenarbeiten kann, – ein kleiner Überblick findet sich hier. Auch World Cafés selbst können online durchgeführt werden, – allerdings wird hier noch experimentiert, welches Tool bzw. welche Plattform sich am besten eignet, siehe diverse Erfahrungsberichte hier und hier.